Depesche 7 Das Schalentier I Depesche 7 Das Schalentier I Man stelle sich vor, ein Frevler böte Shirkan, unserem weißen Prinzen, Spargelschalen als Futter an! Unschwer lässt sich die Reaktion des Katers ausmalen. Er würde sich abwenden, Empörung in seinem schönen Antlitz: »Affront! Brüskierung! Skandal« Abfall anzubieten, vegetabilischen – fleischlosen!!! – Müll! Jaul! Man könnte eine Million darauf setzen, dass er die Spargelpellen nicht anrühren würde! Soweit die Phantasie. In der Realität sitzt Frauchen beim Spargel schälen, fünf Stangen für Elke, acht fürs Herrchen, und der weiße Kater überwacht mit seinen blauen Augen die Küchenarbeit. Auf einmal aber pirscht er sich vor, packt eine der Schalen mit den Zähnen und beginnt, sie zu verschlingen. Frauchen ist zunächst alarmiert, weil Shirkan es früher einmal fertiggebracht hatte, an einem Halm Katzengras fast zu ersticken; aber sie beruhigt sich rasch. Unser Katzenmann nimmt seine Rohkost – »Knack! Knirsch!« – vorschriftsmäßig in kleinen Bissen zu sich. Erstaunt beobachtet sie, wie der weiße Prinz einen ganzen spargellangen Schalenstreifen wegputzt, einen zweiten in Angriff nimmt, zur Hälfte verspeist, und sich dann zufrieden abwendet. Die Million wäre futsch gewesen!
Depesche 8 Kinderstimmen Depesche 8 Kinderstimmen Sita ist eine Dame mit Vergangenheit. Wir können nicht einmal raten, wo und wie sie gelebt hat, bis sie im relativ reifen Alter von acht bis zehn Jahren als Streunerin aufgegriffen wurde, ins Hamburger Tierheim kam und dort sterilisiert wurde. Anzunehmen ist, dass sie viele laute und leidenschaftliche Liebschaften hatte und Dutzende von stämmigen, schwarz–weiß gefleckten Bauernkatzenkindern in die Welt setzte. Weil sie darben musste und häufiger, als ihr lieb war, am Tag nur eine winzige Maus oder ein paar Heuhüpfer erbeuten konnte, ist sie heute ein solch stets heißhungriger Raffzahn. Durch Zufall erhielten wir kürzlich einen kleinen Einblick in Sitas geheime Vergangenheit: Elke ließ auf ihrem Smartphone ein paar Klingeltöne dudeln. Darunter war zufällig auch das Piepsen von ganz kleinen Katzenbabies. Sita fuhr wie von der Tarantel gestochen aus dem Tiefschlaf hoch und fing aufgeregt an, in der ganzen Wohnung die hilflosen Kleinen zu suchen.
Depesche 9 Das Schalentier II Depesche 9 Das Schalentier II Die Spargelschalen müssen Shirkan gemundet oder die physiologische Wirkung entfaltet haben, die der Kater sich von ihnen erhoffte; denn er hat wieder zugeschlagen beziehungsweise –gebissen. Als Elke sechs Tage nach der ersten Asparagus–Äsung erneut das Gemüse der Könige auftischen wollte, war Shirkan zur Stelle, kaum, dass sie das Schälmesser ergriffen hatte! Dieses Mal verzehrte unser weißer Prinz zwei komplette Schalenstreifen – gegenüber dem ersten Mal eine Dosissteigerung um 33 Prozent! Und das Schönste: Frauchen hatte diesmal die Kamera schussbereit und hat das bizarre Mahl dokumentiert. Da muss ich mir nicht mehr wie Baron Münchhausen vorkommen! Das Grübeln aber bleibt. Warum äst der Kater plötzlich Spargelpellen? Es ist ein Rätsel. Behandelt er sich selber mit einem Inhaltsstoff der Wurzelsprossen, den er als therapeutisch angezeigt identifiziert hat? Viele Tiere »therapieren« sich selber, das ist bekannt, gegen Schmerzen, Entzündungen und sogar Malaria. Oder liegt der Reiz des Asparagus in seiner Farbe? Wir wissen, dass seine Majestät eine Vorliebe für weiße Nahrung hat. Ob er meint, damit etwas für seine exklusive Fellfarbe zu tun?
Depesche 10 Wolf-Alarm!!! Depesche 10 Wolf-Alarm!!! Frauchen malt am Küchentisch, Sita liegt auf dem Stuhl neben Elke und schnarcht. Nichts stört das häusliche Idyll. Da erklingt aus dem Fernseher, dessen Geräuschkulisse Frauchen für ihre Kunst braucht, fernes Wolfsgeheul. Kaum sind die Gesänge der Kontratenöre der Taiga in Sitas Gehör angelangt, schießt unsere Dickmadame in die Höhe, stößt ein basstiefes Knurren aus, das von einem Bären stammen könnte, springt vom Stuhl und setzt sich ab. Ich reibe mir die Augen: Woher kennt Sita Wolfsgeheul, woher weiß sie, dass mit den musikalischen Graupelzen nicht zu spaßen ist? Wieder ein Einblick in das Leben Sitas, der aber alles nur mysteriöser macht. Kommt unsere Oberkatze etwa aus Sibirien?
Depesche 11 Bäumchen wechsle dich Depesche 11 Bäumchen wechsle dich Es ist unbestreitbar, dass es gewisse Unterschiede gibt zwischen den Tischmanieren der Hauskatzen und denen ihrer zweibeinigen und mehr oder weniger felllosen Dosenöffner. Letztere verzichten beispielsweise in der Regel darauf, ihr Futter vom Teller und über den Fußboden zu zerren, oder die Esswaren zwischen die Zähne zu nehmen und durchzuschütteln. Oft übersehen wird eine weitere Verhaltensvariante der Samtpfoten – der Platzwechsel während des Sättigungsvorgangs. Dieser sei hier dokumentiert, am Beispiel eines ganz normalen Dinners unserer Dreierbande. Der Übersichtlichkeit halber werde ich die einzelnen Phasen dieser Unart tabellarisch auflisten. 1 Elke serviert den Haustigern eine ihrer unzähligen Mahlzeiten. Vor den drei Porzellanschüsselchen stehen von links nach rechts die dicke Sita, der mittlere Shirkan und die filigrane Rani. Die Katzen beginnen zu schlingen, zum Napf des Nachbarn schielend. 2 Die sensible Rani ist satt (oder hat aufgrund der bereits fühlbaren Aggression oder der zu erwartenden Schubserei den Appetit verloren) und schnürt davon. 3 Shirkan steppt nach rechts und nimmt Ranis Platz ein, obwohl sein Geschirr noch keineswegs leer ist. 4 Sita steppt nach rechts und nimmt Shirkans Platz ein, obwohl ihr Teller noch ziemlich voll ist. 5 Shirkan leckt Ranis Napf sauber und geht, als er sieht, dass Sita seine eigenen Reste verschlungen hat. 6 Sita kehrt von den leergefressenen Schüsseln Shirkans und Ranis zu ihrer Portion zurück und vernichtet auch diese. Zwei Dinge gibt es da anzumerken: Was Wunder, dass Sita so rund ist, und wie gut für Genuss und Magenschleimhaut, dass es in Hotel und Restaurant kein Bäumchen–wechsle–dich nach Katzenart gibt!
Depesche 12 Rennwagen und rote Rosen Depesche 12 Rennwagen und rote Rosen Die Hauskatze (felis silvestris) und das Fernsehen – Affinität zu Programmen, Einschaltfrequenz und Verweildauer unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse des Sexualdimorphismus« – wäre das keine schicke Dissertation? Ich nehme hier – zugegebenermaßen unwissenschaftlich – das Studienergebnis vorweg: Katzen sind auch nur Menschen. Und so kam mein Schluss zustande: Katzen können nicht fernsehen, dachte ich immer. Aber während Sita sich vorurteilskonform verhält, haben mich unsere beiden British Shorthair–Miezen eines Besseren belehrt. Rani schaut in trauter Zweisamkeit mit Frauchen Nachmittags–Serien wie »Rote Rosen« und »Sturm der Liebe« – Damensachen eben mit viel Herz und Schmerz, Liebe und Trieben, Schweiß und Schmalz. Und woran ist Shirkan interessiert? Zweimal dürfen Sie raten. Ja, richtig: Der Kater klebt mit seinen blauen Herzensbrecheraugen immer dann am Bildschirm, wenn Flugzeuge und Rennautos darüberhuschen. »Rote Rosen? GÄHN!!!« Shirkan ist eben ein Junge ...
Depesche 13 Äääh Depesche 13 Äääh Zwei Toiletten für Katzen gibt es bei uns, und zwei für Menschen. Während die Dreierbande sich nach Lust und Laune die beiden Abtritte teilt, haben Frauchen und Herrchen je ein »privates« Klo. Elke thront nur selten alleine, da die kleine Rani ihrem Frauchen überall hin folgt. Unlängst gab die Spülung von Gerds stillem Kämmerlein den Geist auf, und er musste wohl oder übel das »falsche« Klo frequentieren. Als Rani dessen ansichtig wird, schreit sie Zeter und Mordio. »Äääh!«, brüllt sie in ihrem Kinder–Diskant, »Bäääh! Määäh!« und durchbohrt den Frevler mit Blicken. Die Übersetzung bereitet keine Schwierigkeiten. »Äh!« bedeutet: »Das ist Frauchens Klo! Verstoß gegen die Hausordnung! Klo–Raub! Verschwinde!«
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