Auf Regnars Liegeplatz herrschte hektisches Treiben. Müde und noch halb betrunken von der Feierei in den Schenken schleppten seine Männer Lasten zum Schiff und beluden es, angetrieben vom lautstarken Gebrüll des Alten. Es kam nicht oft vor, dass er selbst diese Arbeiten beaufsichtigte, und das sagte ihnen, dass etwas Ernstes vorgefallen sein musste, und sie beeilten sich, ihm Folge zu leisten.
Althea saß mit ihren beiden Kindern am Rande, hielt die weinende Faye fest an sich gedrückt und sprach leise mit Bjarne. Als Kjell auf den Liegeplatz stürmte, stand sie sofort auf und fing ihn ab. »Kjell! Ich wusste, dass du herkommst.« Sie wollte ihn an sich ziehen, aber er stieß sie grob zurück.
»Was hast du getan?!«, schrie er außer sich. Seine Stimme überschlug sich dabei.
Himmel, er kam bald in den Stimmbruch, dachte sie und erkannte wehmütig, dass sie bereits ein wenig zu ihm aufsehen musste. »Es tut mir leid, Kjell. Ich konnte nicht dort bleiben, nicht zwischen all diesen Männern. Und nicht bei deinem Vater.«
Faye hatte sich unterdessen aufgerappelt und kam zu ihnen. »Kjell... bitte sei nicht so böse«, rief sie schluchzend. »Wir können nicht hier bleiben, versteh es doch. Er hat Mama wehgetan, so sehr.«
Es nahm Kjell den Zorn, seine Schwester so zu sehen. »Oh, kleine Fee, weine doch nicht. Ich bin nicht böse, nicht wirklich jedenfalls.« Ohne viele Umstände hob er sie hoch in seine Arme, und sie schmiegte den Kopf an seine Schulter. Diese Geste wirkte so vertraut, dass es Althea einen Stich versetzte. Kjell schnitt eine Grimasse in ihre Richtung. »Wo wollt ihr denn hin, hmm?«, fragte er Faye, um sie etwas zu beruhigen.
»Uropa nimmt uns mit.«
»Ich möchte nicht mehr mit eurem Vater in einem Haus leben, Kjell«, sagte Althea, und diesmal bebte ihre Stimme vor unterdrücktem Zorn. »Ich habe mein Leben riskiert, um zu euch zurückzukehren, und einen hohen Preis dafür bezahlt. Ich muss eine Weile fort von hier, Zeit und Ruhe haben, all dies zu überdenken und wieder zu Kräften zu kommen, und die habe ich hier nicht. Vielleicht kehre ich nach Saran zurück, aber vielleicht bleibe ich auch für immer fort.«
»Und was wird aus uns?«, fragte Kjell nicht ganz frei von Anklage.
»Nun, Bjarne und Faye kommen mit mir, sie wollen auch nicht hier bleiben. Wir werden zu unseren Verwandten nach Gilda reisen. Du kannst wie sie entscheiden, was du möchtest. Ich kann verstehen, wenn du bei deinem Vater und Großvater bleiben willst, auch wenn es mir schwerfällt.« Althea betrachtete ihn forschend, sein verschlossenes Gesicht, die zornig blitzenden Augen, die ganze Gestalt, die seinem Vater bis aufs Haar glich. Sie wollte ihn nicht drängen, spürte sie doch die Vorbehalte gegen sie genau. Das war Roars Werk, das ahnte sie, aber es war zu spät und er zu alt, um ihn wieder leicht davon abzubringen. Wenn Kjell mitkam, dann würde es lange dauern, bis sie wieder Vertrauen zueinander fassten.
»Du wolltest doch schon immer mal nach Gilda, Kjell«, sagte Faye flehentlich. »Bitte, bitte, komm doch mit.« Sie hing an beiden ihrer Brüder gleichermaßen und wollte sich nicht von einem trennen.
Ihm ging es offenbar genauso, denn Althea sah an seinem Gesicht, wie er mit sich kämpfte. Sie wagte nichts zu sagen, aber bevor Faye ihn noch weiter drängen konnte, erklangen Schritte hinter ihnen. Althea wandte den Kopf und erblickte Regnar.
»Wir sind fertig... was willst du denn hier?«, blaffte er Kjell an.
Diese unfreundliche Begrüßung stachelte Kjells Widerstand an. Instinktiv fällte er seine Entscheidung. »Meine Schwester wird nicht allein auf dein Schiff gehen und meine Mutter auch nicht. Ich komme mit!« Sprach’s und stapfte mit Faye auf dem Arm zum Schiff hinüber. Kein Gedanke daran, dass er all seine Sachen zurückließ, sein Pferd, seine Waffen, und kein Gedanke mehr an seinen Vater und Großvater. Bjarne folgte ihnen, denn das wollte er nicht verpassen, wie sein hochnäsiger Bruder das erste Mal Regnars Schiff betrat.
»Du magst ihn nicht?«, rutschte es Althea unwillkürlich heraus.
»Hmpf! Später. Lass uns sehen, dass wir fortkommen, sonst blockiert uns dein Dummkopf von Ehemann noch die Hafenausfahrt.« Regnar nahm sie untypisch sanft beim Arm und führte sie an Bord, vielleicht, weil er ahnte, dass sie diesen Schritt nicht leichten Herzens tat.
Keine der Wachen auf dem Bollwerk der Hafeneinfahrt wagte es, Regnar aufzuhalten, auch wenn klar war, dass diesmal ungewöhnliche Passagiere mit ihm fuhren. Sie hätten es sich wohl nicht im Entferntesten vorstellen können, wer da mit ihm segelte, denn die Gerüchte aus der großen Halle waren noch nicht zu ihnen vorgedrungen, und sie hielten es auch nicht für nötig, ihre Hauptmänner zu benachrichtigen. Zu ungewöhnlich waren Regnars späte Ankunftszeiten und oft überraschende Aufbrüche, als dass es ihnen wichtig erschien.
So erreichte Jeldrik die Botschaft über Regnars plötzlichen Aufbruch nicht. Als er sich nach einer turbulenten Verhandlung, aus der sich Harcon nur mit Mühe retten konnte und die in der Ächtung von Sigurd endete, endlich aus der großen Halle entfernen konnte und nach Hause zurückkehrte, musste er feststellen, dass es verlassen war. Leer. Ohne Leben. Er wusste sofort, was geschehen war, und seine Hoffnung, sie möge hier auf ihn warten und er hätte Gelegenheit, alles zu erklären und sich mit ihr zu versöhnen, zerbarst zu Staub. Voller Zorn heulte er auf, wie schon sein Sohn vor ihm. Sie konnte nicht hierbleiben, nein, er wusste, das konnte sie nicht. Viel zu gut kannte er sie, als dass ihr eine andere Möglichkeit blieb.
Verwundert sahen die Bewohner Sarans Jeldrik hinterher, wie er außer sich zu Regnars Liegeplatz stürmte und dort seinen Verdacht bestätigt fand. Die Wachen der Hafeneinfahrt berichteten ihm kurz darauf, dass Regnar vor einigen Stunden überraschend aufgebrochen war.
Jeldrik ließ sie ohne einen Dank oder auch nur einen Gruß stehen und kehrte wie betäubt in sein Haus zurück. Dort saß er lange und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Immer wieder stieg ihr Bild vor ihm auf, wie sie die lange Gasse zwischen den Männern herunterkam, das fremdartige Gewand, die Haare und Haut golden schimmernd wie von einer fremden, wunderschönen Königin. Sie sah aus, als käme sie aus einer anderen Welt. Was ja auch stimmte. Jahre der Hoffnung und der Sehnsucht brachen nun aus ihm heraus und machten der Verzweiflung Platz. Jeldrik konnte dem nicht mehr standhalten. Er verkroch sich in seiner Kammer, ließ all seine Beherrschung fahren und ertränkte seinen Kummer im Met.
Tagelang wurde er nicht gesehen, bis Roar der Kragen platzte. Er brachte ihn wieder auf die Beine, unter wüsten Beschimpfungen und mit Hilfe Syljas, die ihre ganz eigenen Methoden mit trunkenen Kerlen hatte.
Später saß Jeldrik mit dröhnendem Schädel in der Küche seines Hauses und ließ sich von Sylja ein Mahl bereiten, und währenddessen schimpfte sie auf ihn ein, nun schon seit Stunden, so kam es ihm vor.
»Nun lass es doch endlich gut sein! Sie ist fort, das ist nicht mehr zu ändern«, stöhnte er in der Hoffnung, so dem Redeschwall zu entkommen.
Aber weit gefehlt. Sylja legte jetzt erst recht los. »Du bist ein Feigling und ein Schwächling! Was meinst du wohl, warum sie fort ist?«
»Weil sie denkt, dass ich etwas mit Sigurd hatte? Das denkt ihr doch alle!«, grollte er und rieb sich stöhnend die Schläfen. »Verfluchte Sigurd, verfluchter Harcon! Niemand interessiert sich für meine Version der Geschichte!«
»Ach?« Sylja wandte sich vom Herd um, den Schöpflöffel drohend erhoben. »Gibt es die denn? Oder sind das nur Ausflüchte?«
»Nun, ich...«
»Komm mir jetzt nicht mit ›ich war betrunken und ich wollte nicht...‹«, keifte sie, doch dann sah sie Jeldriks gequälten Blick, und ihr Herz schmolz dahin, wie es das schon früher getan hatte. Sie legte den Löffel fort, setzte sich zu ihm und griff seine Hand. »Was ist denn passiert, hm? Sprich endlich darüber, Junge!«
Читать дальше