Kluge „Feiglinge“!
Wie aber geht es uns noch besser? Indem wir den Tatsachen ins Auge sehen: Oft tun wir besser daran, Risiken in Kauf zu nehmen und etwas zu wagen, uns zu verändern und nicht so sehr an unseren kurzfristigen Gefühlen zu kleben, als immer den vermeintlich sicheren Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Vor allem wenn wir durchaus realistische Gewinnchancen haben und das Risiko überschaubar bleibt. Voraussetzung natürlich aber: Im Falle eines Verlustes darf keine (lebens)bedrohliche Situation für uns entstehen!
Nein, wir sollten also nicht unser gesamtes Geld beim Roulette auf nur eine Farbe setzen. Und wir hoffen, dass der Pilot vor unserem Flug in den Urlaub auch jedes Mal alle Instrumente checkt. (Auch wenn wir gerne mal unsere ganze Karriere bequem an einen einzigen Arbeitgeber knüpfen und im Auto mitunter den TÜV verpennen …) Denn je höher das Risiko, desto egaler wird die Wahrscheinlichkeit: Wenn es uns erwischt, sieht es düster aus – selbst wenn es uns nur ganz selten erwischt.
Wie traurig das ausgehen kann, zeigt sich hin und wieder wenn Menschen ohne wirkliche Sicherheiten hohe Fehlspekulationen getätigt haben – und plötzlich vor einem scheinbar nicht zu bewältigenden Scherbenhaufen stehen. Wäre also ein „gesundes“ Maß an „Feigheit“ beim Spekulieren vorher besser gewesen? Es scheint so.
Mögliche Lösung: nachdenken und abwarten
Also: zocken? Niemals, wenn das Risiko nicht weit genug gestreut und der Einsatz alles ist, was man hat! Andererseits: Warum nicht, wenn verlockende Gewinne winken und wir den Einsatz als Spielgeld betrachten können?
Deshalb: Auf welche Erfolgsfaktoren läuft all das hinaus? Zunächst auf eine gewisse Portion abstraktes Denkvermögen. Wir sollten nicht jedem Impuls blind folgen und uns auf unsere unfehlbare Intuition berufen. Ab und zu empfiehlt es sich, nachzudenken. Und es ist wichtig, Belohnungen aufschieben zu können und nicht immer sofortige Bedürfnisbefriedigung zu erwarten – denn morgen sind Befriedigungen oft noch schöner!
Malediven trotz Tsunami-Gefahr
Ich selbst bin übrigens auch nicht frei von „Feigheit“. Als wir für unseren Silvesterurlaub die Malediven aussuchten, geisterten mir nicht nur die Begriffe „Palmen“, „Sonne“, „blaues Meer“ und „Tauchen“ durch den Kopf, sondern vor allem auch der Begriff „Tsunami“! Immerhin waren am 26. Dezember 2004 auch die Malediven von einer der schlimmsten Tsunamikatastrophen der Geschichte betroffen gewesen. Sie denken sich nun womöglich: „Na der hat Probleme! Will auf die Malediven und macht einen auf Mitleid?“
Doch ganz im Ernst: Als ehemaliger Möchtegern-Rechtsmediziner (ja, lange Zeit wollte ich einmal ein „Quincy“ werden – ein paar Wochen Praktikum in der Berliner Rechtsmedizin reichten allerdings aus, um diesen Wunsch wieder zu zerstreuen …) assoziiere mit dem indischen Ozean genauso schnell „Tsunami-Opfer“ wie „Strandurlaub“ – tatsächlich habe ich noch etliche sehr realistische Erinnerungen an Menschen im Kopf, die ertrunken waren. Der Tod durch Ertrinken gehört für mich somit jederzeit in den Bereich realistischer Möglichkeiten. Gebrannte Kinder scheuen eben das Feuer.
Aber: Ich WOLLTE doch unbedingt auf die Malediven! Also half wieder der Stadionvergleich: 2004 starben von den 300.000 Einwohnern der Malediven durch den Tsunami etwa 100. Das ergab 0,0333 Prozent und somit 25 Bombenopfer im 75.000-Leute-Stadion – keine Chance, ich würde zuhause bleiben! Naja, zumindest ließ ich mir sehr viel Zeit mit der Bezahlung und schloss ausnahmsweise mal eine Reiserücktritts-versicherung ab… Geholfen hat letztlich die Überlegung, dass so ein schlimmer Tsunami nur alle paar Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte vorkommt. Und wann, das weiß letztlich keiner. Also gehen wir mal davon aus, die Bombe ginge nur in jedem 25. Spiel hoch (alle 25 Jahre, was hoffentlich nicht vorkommen wird), sind wir schon bei „nur“ einem einzigen Opfer pro Spiel – und dieses Risiko wiederum würde ich durchaus eingehen! So als echter Fußballfan. Außerdem hatte ich ja die Möglichkeit, mich zu informieren, was im Falle eines Falles zu tun sei: irgendwo festhalten, auf Dächer klettern und ähnliches.
Sprich: Das Risiko wurde durch nachdenken bewusst und erschien durch weitere Informationen begrenzbar. Es ist demnach um das Vierfache wahrscheinlicher, am Passiv-Rauchen zu sterben als durch eine Monsterwelle! Oder wollte ich den Urlaub einfach zu sehr? Rationalisiere ich hier nur? Naja, egal: Ich muss Ihnen wohl nicht verraten, wo wir unseren Silvesterurlaub verbrachten – es war traumhaft! Und wir würden jederzeit wieder hinfliegen.
Feigheit? Mut? Es kommt drauf an!
Also, was bleibt? Wir haben immer noch keine Ahnung, was die Zukunft für uns bringt. Aber – vor Entscheidungen gestellt – können wir nun einen groben Algorithmus herleiten:
Wenn wir nicht wissen, wie die Dinge für uns ausgehen, sollten wir
erstens – unsere Chancen so realistisch wie möglich einschätzen! Oft steht es gar nicht so schlecht um unsere Gewinnwahrscheinlichkeit.
Zweitens: Machen wir uns klar, welche Risiken wir mit jeder möglichen Entscheidung eingehen! Oft droht uns schließlich der größte Verlust, wenn wir überhaupt kein Risiko eingehen. Ist der Einsatz also überschaubar, spricht nichts gegen ein wenig Mut – denken wir lieber optimistisch und langfristig!
Aber drittens: Je größer unser Einsatz wird, desto eher wird Risiko zur Dummheit – vor allem bei schlechten Chancen. In diesem Falle: Finger weg! Wir sind ja nicht blöde.
Na, wie sieht es nun mit Ihnen aus? Sind Sie ein „Feigling“? Ich jedenfalls nehme mir die Freiheit auch in Zukunft hin und wieder einer zu sein. So wie ich ebenfalls in Zukunft immer wieder gewagte Projekte beginnen werde. Und zwar beides zu recht. Es kommt eben drauf an.
Wovon hängt eigentlich ab, wie leistungsfähig wir sind? Ja, ja, ich weiß: Viele Faktoren bestimmen die momentane Leistungsfähigkeit. Zum Beispiel unser Talent, unsere Tagesform, die Laune unserer Mitarbeiter und Kunden, unsere aktuellen Kenntnisse und Fähigkeiten, die Wirtschaftskrise, der Blutalkoholspiegel vom Vorabend, unsere Gene, unser Umfeld, nicht bewältigte (oder besonders gut bewältigte) Kindheitstraumata, und, und, und.
Talent, Trauma, Gene?
Aber welche Faktoren lassen unsere Leistung so richtig explodieren? Nur Talent kann es kaum sein – schließlich kennen wir alle den Typus des erfolglosen „ewigen Talents“. Wäre dieses eben „nur“ systematisch entwickelt worden …
Auch die Kindheitstraumata alleine sind nicht schuld – im Gegenteil: Wussten Sie zum Beispiel, dass der Verlust eines Elternteils während Kindheit und Jugend sogar zum Lebenserfolg beitragen kann? Traurige Tatsache: Etliche A-Persönlichkeiten waren oder sind Waisen – Caesar, Kopernikus, Michelangelo, Napoleon, Washington, Newton, Bach, Händel, Darwin, Nietzsche, Louis Armstrong, Mahatma Ghandi, Charlie Chaplin, Bill Clinton, Madonna, Bono, Paul Mc Cartney, John Lennon, und viele mehr. Warum? Nun, manchmal scheint gerade das Erleben äußerster Verwundbarkeit das Gefühl zu wecken, nicht sicher zu sein im Leben – und sich dann in höchste Leistung umzuwandeln: „Je besser ich bin, desto sicherer lebe ich.“ Ja, Traumata können motivieren: Was so weh tut, darf schließlich nie wieder passieren!
Und wie sieht es mit den Genen aus? Alles weist darauf hin, dass diese zwar eine Rolle spielen können, aber längst nicht müssen.
Was das Lernen von Musikinstrumenten über Leistung verrät
Einen Riesenschritt zur Lösung unseres Rätsels hat der Psychologe Gary McPherson gemacht („Commitment and Practice: Key Ingredients for Achievement during the early Stages of Learning an Musical Instrument“, in Council for Research in Music Education 147, 2001): McPherson untersuchte 157 zufällig ausgesuchte Kinder, die ein Musikinstrument lernten. Ziel der Untersuchung: Welche Kinder wurden dank welcher Faktoren besonders gut?
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