"Sie wollen mich gegen einen verdammten Computer austauschen, einfach wegrationalisieren, wegen eines Haufens Blech und Silikon?"
Das Gesicht des Chefs verzog sich zu einer verquollenen Lügenmaske.
"Hören Sie doch mal zu, ich bitte Sie, das nicht falsch zu verstehen. Mein Sohn hat vor zwei Jahren sein Studium abgeschlossen. Er war für einige Monate in Amerika, um dort Erfahrungen zu sammeln und wird Ihren Job übernehmen, er ist Wirtschaftsingenieur und Computerfachmann. Niemand vergleicht Ihre Arbeit mit der eines Computers. Aber Sie müssen bitte verstehen, jeder Mitarbeiter kostet meinem Unternehmen enorm viel Geld und meine Firma ist ein Familienbetrieb. Mein Sohn wird das Geschäft einmal übernehmen. Ich werde mich für Sie verwenden, es gibt unter Umständen eine Möglichkeit, bei der Konkurrenz ..."
"Geben Sie sich keine Mühe, ich brauchte niemals Almosen. Machen Sie meine Papiere fertig. Sie haben ja selbst gesagt, mein Vertrag ist abgelaufen, dann ziehen Sie auch die Konsequenzen."
Das Gespräch war jäh beendet, wenn auch nicht alles gesagt war. Er konnte die Verlängerung des Vertrages nicht erzwingen, das wusste er. Hier wurde nur ein Arbeitsverhältnis nicht ausdehnt, so einfach war das.
Kein neuer Abschluss, kein Aufstieg auf der Karriereleiter mehr, was nun kam, war beklemmende Leere.
Der Prokurist fühlte sich plötzlich wie erstarrt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war er verunsichert, nicht mehr erfolgreich und souverän. Warum nur hatte er nicht früher um eine Verlängerung des Vertrages gebeten? Warum hatte der Chef nicht ein Wort darüber verloren? Er, der Erfolgreiche, hatte sich getäuscht, einen kolossalen Fehler gemacht und in all den Jahren in trügerischer Sicherheit gelebt.
Die schwere Tür fiel dumpf und mächtig hinter ihm in den Rahmen hinein, als verschlösse sich für immer ein Schrein. Dahinter versank die Sekretärin mit ihrem verbindlichen Lächeln und ihren Phrasen. Der Chef hing vermutlich schon wieder am Telefon und scherte sich einen Dreck um den Prokuristen.
Der frisch Entlassene stand einige Sekunden wie eine unterkühlte Rauchschwade benommen im Korridor, ging dann langsam auf die Treppe zu, die Stufen hinunter und je tiefer er stieg, umso mehr verließ ihn das Gefühl, auf sicherem Boden zu gehen.
Der Prokurist durchschritt den langen Flur, den er unzählige Male betreten hatte. Wie fremd plötzlich alles war... Er sah auf die vielen Türen. Er entdeckte hier und dort Dinge, Schrammen und Schnitzer, alles Merkmale, die er bisher nicht bemerkt hatte. Sinnlose, banale Dinge; seltsam, dachte er, dass sie ihm gerade jetzt auffielen. Er versuchte nachzudenken, wenigstens die letzten Meter, die ihn von seiner Bürotür trennten, er wollte für wenige Atemzüge Klarheit erlangen. Es war nicht möglich, die Anarchie in seinem Kopf zu ordnen.
An der Bürotür stand in großen Buchstaben: PROKURIST, darunter sein Name, den bald jeder in dieser Firma vergessen haben würde. Ein unwichtiger Name, wie viele andere Schriftzüge einfach zu entfernen von der Oberfläche des Glases, leicht durch einen anderen auszutauschen. Alles erwies sich letztendlich als vergänglich und ersetzbar, auch er selbst. Er war nur eine Aneinanderreihung von Buchstaben auf einer Bürotür, solange während wie ein Augenauf- oder Niederschlag.
Er öffnete die Tür, langsam und bedächtig. Was vor wenigen Minuten noch selbstverständlich, einfach Bestandteil seines Lebens gewesen war, trat vor der neuen Realität zurück und versank im endgültigen Raum der Vergangenheit. Er war praktisch nicht mehr berechtigt, einen Aktenordner zu öffnen und hineinzuschauen oder eine Unterschrift zu leisten. Sein Namenszug zerfiel zu Staub in diesen Minuten und hatte keine Wichtigkeit mehr. Aus, einfach vorbei!
Er ging an den Schreibtisch, öffnete die verschlossene Schublade und entnahm nur seine privaten Dinge. Gegenstände, die er irgendwann einmal mit in die Firma gebracht hatte. Einige Füllfederhalter, dokumentenechte Minen, einen wissenschaftlichen Taschenrechner und, er hatte nicht mehr daran gedacht, das Bild von einer Freundin, mit der er seit Monaten nicht mehr zusammen war. All diese Gegenstände, auf die sich das Leben und die Arbeit in diesem Raum reduziert hatten, schob er vom Schreibtischrand hinunter in den geöffneten Lederkoffer, wie man Essensreste von der Tischkante in den Mülleimer befördert. Er klappte ihn andächtig zu und ging.
Wie in Trance schloss er die Tür hinter sich. Oft war diese in Hektik, zwischen Geschäftsabschlüssen in Millionenhöhe, hart ins Schloss gefallen. Diesmal war das anders, die Glasscheibe zitterte nicht geräuschvoll im Rahmen.
Die Papiere würde man ihm in die Wohnung schicken, auch ein Arbeitszeugnis. Ein gutes Zeugnis mit auskristallisierten Belobigungen. Eingesparte Mitarbeiter der Leitungsebene erhielten wenigstens diesen einen Zuspruch.
Die Einhaltung der Kündigungsfrist interessierte den Prokuristen nicht mehr. Ein Zeugnis, das vor Lob und Anerkennung nur so troff, würde man ihm ausstellen.
Vor dem Bürohochhaus, an der breiten Hauptstraße stehend, dachte er über seine neue Situation nach. Er versuchte, sich ein Bild von der nahen Zukunft zu machen. Zunächst würde er ruhig bleiben und die Beziehungen, die er hatte, langsam nähren und von neuem aufleben lassen. Eine Verabredung, ein Essen in einem erstklassigen Restaurant in der Stadt. Ein Treffen mit einem alten Geschäftsfreund.
Gab es überhaupt einen Freund? Er dachte plötzlich angestrengt über diese Frage nach und wurde unsicher. Partys, gemeinsame Urlaube, ein Leben aus neuen Verpackungen, geschöpft aus dem Vollen, mit allerlei Freunden und Bekannten, die gab es genug. Aber waren auch echte Freunde dabei? Ihm dämmerte und das zum ersten Mal, solange er denken konnte, das nun, wo seine beruflichen Erfolge nichts mehr taugten, ein guter Freund mit viel Vitamin B sehr wichtig sein könnte.
Ihm war heiß, die Luft war mit Abgasen erfüllt. Er löste seine Krawatte, öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und versuchte, sich zu entspannen. Drei Straßen weiter war ein kleines Café, ein gutes mit Stil und Flair. Der Prokurist beschloss, dort einen Cognac und einen Kaffee zu trinken. Am Straßenrand ließ es sich nicht gut über die Zukunft nachdenken, wenngleich viele Menschen dieses zu tun gezwungen waren. Diese Subjekte, so dachte er, rannten hinter ihrer Zukunft her, ohne zu wissen, dass sie längst keine mehr hatten.
Der Porsche blieb in der Tiefgarage, es lohnte sich nicht, ein paar hundert Meter weit mit dem Wagen zu fahren. In dem Café saßen einige Gäste allein, aber auch zu zweit oder dritt miteinander plaudernd. Scheinbar sprachen sie über Banalitäten und Dinge, über die man jeden Tag und zu jeder Zeit sprechen konnte, wenn einem die
Welt nur langweilig genug erschien.
Der Prokurist setzte sich an einen freien Fenstertisch; er saß gern am Fenster, den Blick auf die Eingangstür und die Theke gerichtet. So konnte er sehen, was in dem Laden vorging. Eine Angewohnheit von ihm, die Leute und die Kellnerin an der Theke bei ihrer Arbeit zu beobachten.
Eine hübsche Bedienung mit etwas nachlässig hochgestecktem Haar und einer kleinen weißen Schürze über ihren straff an den Hüften anliegenden Rock gebunden. Sie kam an den Tisch, begrüßte ihn so, wie sie Stammgäste, die ihr gefielen, begrüßte. Nett, höflich, mit der Spur eines privaten Lächelns und einem persönlichem Interesse gewürzt.
"Nanu, Herr Prokurist, haben Sie schon Mittagspause?", fragte sie gespielt interessiert.
"Ja", log er, "ich habe sie heute vorgezogen", und setzte hinzu. Sie wissen, wichtige Termine, die man nicht umlegen kann."
Sie nickte verständnisvoll und aufgeklärt, nahm seine Bestellung entgegen. Einen Kaffee und einen doppelstöckigen Cognac. Die Hübsche verschwand wieder.
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