Der Preis war eine Schatztruhe.
Ein spanischer Major bemühte sich, die Truhe zu retten, während ein berittener Jäger, Oberst der Kaiserlichen Garde Napoleons, Befehl erhalten hatte, sie zu erbeuten. Der Franzose war zu diesem Zweck von der Leine gelassen worden. Man hatte ihm zu verstehen gegeben, er dürfe töten oder vernichten, wen oder was immer sich ihm in den Weg stelle.
Die Schatztruhe war ein Behältnis aus Holz, so alt, dass es kohlschwarz glänzte. Das Holz wurde von zwei Eisenbändern gehalten, die trotz ihrer antiken Rostflecke noch recht robust waren. Die alte Truhe war zwei Fuß lang, achtzehn Zoll breit und ebenso hoch. Zwei Haspen waren mit Vorhängeschlössern aus Messing versehen. Die Öffnung zwischen gewölbtem Deckel und Unterteil war mit roten Siegeln verschlossen, einige davon so alt, dass sie inzwischen kaum mehr waren als Wachsspuren in der Maserung des uralten Holzes. Die Truhe war in ein Öltuch eingenäht, um sie vor der Witterung zu schützen, oder vielmehr, um das Schicksal Spaniens zu schützen, das darin verborgen lag.
Am zweiten Tag des Jahres 1809 wäre es dem französischen Oberst beinahe gelungen, die Truhe zu erbeuten. Man hatte ihm ein Regiment Dragoner unterstellt, und diese Reiter trafen nahe der Stadt Leon auf die Spanier. Die Spanier entkamen nur, weil sie sich hoch in die Berge flüchteten. Dort mussten sie ihre Pferde zurücklassen, denn keinem Pferd waren die steilen, eisglatten Pfade zuzumuten, auf denen Major Blas Vivar Zuflucht suchte.
Es war Winter, der kälteste spanische Winter seit Menschengedenken und der denkbar ungünstigste Zeitpunkt, sich in den Bergen Nordspaniens aufzuhalten, doch die Franzosen hatten Major Vivar keine Wahl gelassen. Im Dezember hatte Napoleons Streitmacht Madrid eingenommen und Blas Vivar war knapp eine Stunde vor Ankunft der feindlichen Reiter mit der Truhe aus der Hauptstadt geflohen. Er wurde von einhundertzehn Cazadores begleitet, berittenen Jägern mit Kavalleriesäbeln und kurzläufigen Karabinern. Doch aus den Jägern wurden Gejagte, als Vivar auf seinem albtraumhaften Ritt durch Spanien eine Finte nach der anderen schlug, um seinen französischen Verfolgern zu entkommen. Er hatte gehofft, sich bei General Romanas Armee im Norden in Sicherheit bringen zu können, doch Romana wurde vernichtend geschlagen, zwei Tage ehe die Dragoner Vivar zur Flucht in die Berge zwangen. Nun war er auf sich allein gestellt, von aller Hilfe abgeschnitten. Er verfügte nur noch über neunzig Männer. Die anderen waren gefallen.
Sie waren für die Truhe gestorben, die die Überlebenden nun durch die gefrorene Landschaft trugen. Auf den Pässen sammelte sich der Schnee an. Wenn Tauwetter einsetzte, dann immer von Regen begleitet, einem alles durchdringenden, unablässigen Regen, der die Gebirgspfade in einen Morast verwandelte und in den langen Nächten beinhart gefror. Erfrierungen dezimierten die Cazadores weiter. In der schlimmsten Kälte suchten die Übriggebliebenen in Höhlen oder verlassenen Bauernhütten Unterschlupf.
An einem solchen Tag - der Westwind trieb bitterkalte Schneeflocken vor sich her - kauerten Vivars Männer im unzureichenden Schutz eines schmalen Geländeeinschnitts hoch droben auf einem Gebirgskamm. Blas Vivar selbst lag am Rand der Senke und starrte durch ein ausgezogenes Fernrohr ins Tal hinab. Dort unten lauerte der Feind.
Braune Umhänge verbargen die dunkelgrünen Uniformröcke der französischen Dragoner. Die Franzosen hatten Vivar jede Meile seines beschwerlichen Weges verfolgt, doch während er sich im Hochland abmühte, ritten sie durch die Täler, wo es Straßen gab, Brücken und Unterkünfte. An manchen Tagen hatte das Wetter die Franzosen aufgehalten, und er hatte gehofft, sie hinter sich gelassen zu haben, aber wenn der Schneefall für ein paar Stunden nachließ, tauchten die verhassten Gestalten jedes Mal wieder auf. Nun lag Vivar im bitterkalten Wind und beobachtete die feindlichen Reiter, wie sie in einem kleinen Dorf drunten im Tal absattelten. Die Franzosen würden im Dorf Herdfeuer und Nahrung vorfinden, ihre Pferde würden trockene Unterstände und Heu bekommen, während seine Männer am Berghang vor Kälte wimmerten.
»Sind sie da?« Vivars stellvertretender Kommandeur, Leutnant Davila, kam aus der Senke heraufgekrochen.
»Sie sind da.«
»Der Gardist?«
»Ja.« Vivar blickte unverwandt auf zwei Reiter auf der Dorfstraße hinab. Einer der beiden war der Oberst der Kaiserlichen Gardejäger. Er trug eine pelzbesetzte Pelisse, eine dunkelgrüne verschnürte Uniformjacke und einen Kolpak, eine runde Mütze aus dickem schwarzem Pelz.
Sein Begleiter war nicht uniformiert. Stattdessen trug er über seinen hellen Stiefeln einen schwarzen taillierten Reitermantel. Vivar fürchtete diesen schwarz gekleideten Reiter mehr als den Oberst, denn er war es, der die Dragoner führte. Dieser Mann wusste, wohin Blas Vivar unterwegs war, er wusste, wo er aufzuhalten sein würde, und er wusste auch von der Macht dessen, was sich in der eisenverstärkten Truhe verbarg.
Leutnant Davila kauerte sich neben Vivar in den Schnee. Wie Soldaten sahen sie beide nicht mehr aus. Sie waren in Umhänge aus gemeinem Sackleinen gehüllt. Gesichter, Stiefel und Hände waren mit Lumpen umwickelt. Doch unter ihren zusammengeflickten Mänteln trugen sie die grünen Uniformen einer Cazador-Eliteeinheit, und sie waren zäh und tüchtig wie kaum ein anderer, der in den Napoleonischen Kriegen kämpfte.
Davila lieh sich Vivars Fernrohr und starrte ins Tal hinab. Schneegestöber erschwerte die Sicht, doch er konnte den scharlachroten Farbfleck der Pelzjacke über der rechten Schulter des Jägers erkennen. »Warum zieht er sich keinen Mantel an?«, brummte er.
»Er will zeigen, wie hart er ist«, erwiderte Vivar schroff.
Davila schwenkte das Fernrohr herum und erblickte weitere Dragoner auf dem Weg ins Dorf. Einige der Franzosen führten lahmende Pferde. Alle trugen Säbel und Musketen. »Ich dachte, wir wären ihnen entkommen«, sagte er niedergeschlagen.
»Die werden wir erst los, wenn wir den Letzten von ihnen begraben haben.« Vivar zog sich hinter die Sichtlinie zurück. Sein Gesicht war von Sonne und Wind gezeichnet, ein kämpferisches Gesicht, dessen Grobheit von dunklen Augen gemildert wurde, die voller Humor und Verständnis funkeln konnten. Nun, da er seine Männer in der schmalen Senke zittern sah, waren sie rot gerändert. »Wie viel Proviant haben wir noch?«
»Genug für zwei Tage.«
»Wenn ich es nicht besser wüsste«, sagte Vivar mit einer Stimme, die im Heulen des Windes kaum zu vernehmen war, »würde ich meinen, Gott hätte Spanien im Stich gelassen.«
Leutnant Davila wusste darauf nichts zu erwidern. Ein Windstoß wirbelte den Schnee vom Bergkamm in einer glitzernden Wolke über ihren Köpfen auf. Die Franzosen, dachte er verbittert, würden sich unten im Tal an Nahrung, Brennholz und Frauen vergreifen. Kinder würden schreien. Die Männer des Dorfes würde man foltern, um ihnen zu entlocken, ob sie einen abgerissenen Trupp Cazadores mit einer Truhe gesehen hatten. Sie würden wahrheitsgemäß verneinen, doch die Franzosen würden sie trotzdem töten, und der Mann in Schwarz mit den hellen Stiefeln würde ohne das geringste Zeichen von Anteilnahme dabei zusehen. Davila schloss die Augen. Bis zum Beginn dieses Krieges hatte er nicht gewusst, was Hass bedeutet, und nun wusste er nicht, ob es ihm jemals gelingen würde, den Hass wieder aus seiner Seele zu verbannen.
»Wir teilen uns auf«, sagte Vivar unvermittelt.
»Don Blas?« Davila, dessen Gedanken weit fort waren, hatte nicht richtig verstanden.
»Ich nehme die Truhe und achtzig Mann«, sagte Vivar bedächtig. »Du wartest hier mit den restlichen Männern. Wenn wir fort sind und die Franzosen ebenfalls, wendest du dich nach Süden. Der Oberst ist klug und hat vielleicht längst erraten, was ich vorhabe. Deshalb musst du abwarten, Diego! Warte, bis du dir ganz sicher bist, dann warte noch einen Tag. Verstehst du mich?«
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