Ein in der Nacht aufkommender Sturm schüttelte uns kräftig durch, und das Meer zeigte sich am nächsten Morgen bleigrau und aufgewühlt mit gischtenden Schaumkronen, aber Gott sei Dank blieb uns die Sonne weiter treu. Einen modernen Supermarkt am Ortsausgang nutzten wir zum Auffüllen unserer zur Neige gehenden Lebensmittelvorräte, um dann nach etwa einer Stunde kurvenreicher Fahrt durch das waldreiche Landesinnere die am Nordufer des weiten Mündungstrichters der Flüsse Trentund Ousegelegene große Hafen- und Industriestadt
zu erreichen. Direkt vor dem Portal der imposanten gotischen Kirche Holy Trinityfanden wir auf Anhieb einen Parkplatz, doch leider war das Tor verschlossen, so dass wir sie nur von außen bewundern und soweit möglich, in ihrer ganzen Mächtigkeit im Bild festhalten konnten: Dunkelrotes Mauerwerk mit vorgesetzten hellgrauen Sandsteinpfeilern, jeweils in schlanke spitze Türmchen auslaufend, das kunstvoll gestaltete breite, ebenfalls graue Sims überragend; die gewaltigen, etwas zurückgesetzten Spitzbogenfenster mit in gleichmäßigen Rillen behauenem Sandstein eingefasst und mit reliefartigen, hübsch gemusterten Sprossen aus dem gleichen Material versehen; der so typische, sich wuchtig über dem mit allerlei Zierrat versehenen Portal erhebende quadratische Turm mit insgesamt sechzehn hohen schlanken, ähnlich künstlerisch bearbeiteten Fenstern, endend in einer durchbrochenen Balustrade, gekrönt von nochmals acht spitzen, in einem Kreuz endenden Türmchen. Da sich das Ganze sehr attraktiv in der braunen Glasfassade der gegenüberliegenden Midland Bankspiegelte, war noch ein Foto der besonderen Art fällig.
Das nächste herausragende Motiv war die Humberlandbridge,auf der wir den breiten Mündungsarm Richtung Süden überquerten: An über zwei schlanke Pylonenpaare geführten, tief durchhängenden Stahltrossen sind wie die Saiten einer Harfe die die Fahrbahn tragenden etwas dünneren Stahlseile befestigt, mit einer Länge von 2,2 Kilometern und enormer Spannweite von 1.4 Kilometern eine der größten Hängebrücken der Welt; in ihrer Eleganz vergleichbar mit der berühmten Golden Gate Bridge in San Francisco.
Weiter ging’s auf kürzester Strecke zurück an das immer noch wild bewegte Meer und auf kurvenreicher Straße hügelauf und -ab, häufig durch größere belebte und kleine verträumte Badeorte bis in die etwa 160 km entfernte Hafenstadt
wo uns besonders die im dekorativen spätgotischen Stil erbaute herrliche Kirche St. Botolphins Auge fiel, eine der größten Pfarrkirchen ENGLANDS ;ihr 90 m hoher „Boston Stump“genannter Turm mit seiner achteckigen Laterne ist ein Wahrzeichen der Stadt. Die weite Bucht The Washumrundend, landeten wir zur rechten Zeit, d. h. am frühen Abend, in dem wieder unmittelbar an der Küste gelegenen malerischen Fischerdorf
wo wir schon nach kurzer Suche einen uns sehr genehmen Stehplatz für die Nacht entdeckten, natürlich wieder hoch über dem Meer mit herrlichem Ausblick. Die uns zuvor in einem urgemütlichen Fischrestaurant am Hafen mit rustikalem Ambiente servierte Platte mit Meeresfrüchten aller Art ließ keine Wünsche offen.
Am Samstagvormittag verließen wir schon nach kurzer Zeit die Küstenstrecke, der Sturm hatte noch zugenommen, blies inzwischen mit Windstärke 8-9 und drohte uns von der Straße zu fegen, weiße Gischtflocken versperrten die Sicht, so dass die Scheibenwischer in Aktion treten mussten. Wir wollten sowieso der etwa 30 km im Landesinneren liegenden Hauptstadt der Grafschaft Norfolk,
einen Besuch abstatten. Sehr schön die gut erhaltenen Häuser aus dem 15. und 16. Jahrhundert, und über 30 alte, zum Teil sehr sehenswerte Kirchen. Ganz besonders hatte es uns die mächtige 135 m lange Kathedraleaus dem 11. Jahrhundert angetan, ein monumentaler Bau aus hellgrauem Sandstein; über dem kunstvoll gestalteten Hauptportal ein überdimensionales Spitzbogenfenster, verziert durch geschwungene, im oberen Teil in geometrische Muster auslaufende Sandsteinsprossen, fast den ganzen Giebel ausfüllend und bis zum etwa 45 m hohen, von einem steinernen Kreuz gekrönten Dachfirst hinaufreichend. Der dahinter majestätisch aufragende quadratische Turm, dessen Fassade hohe, sehr schmale Fenster im Wechsel mit reliefartigen Ornamenten zeigt, ist zwar an seinen Ecken mit den üblichen Türmchen versehen, läuft aber hier aus in eine schlanke, fast 50 m hohe, leicht verwitterte Spitze, auf einer Kugel thronend ein metallenes Kreuz. Dank Parkplatz in unmittelbarer Nähe hatten wir auch das Glück, dieses Kleinod von innen zu bewundern. Durch die bleiverglasten, mit bunten religiösen Motiven geschmückten Fenster fiel das Sonnenlicht vielfach gebrochen in den Altarraum. Die schlanken, kunstvoll behauenen Pfeiler münden in ein fächerartiges Gewölbe an der überhohen Decke, an sanft geschwungene Palmwedel erinnernd, bestückt mit schimmernden goldenen Kugeln; umlaufend eine Balustrade, durch kunstvoll gestaffelte Rundbögen mit dem Kirchenschiff verbunden. Dazu gehört ein wunderschöner Kreuzgang mit den gleichen Stilelementen der Hauptkirche.
Etwa 100 km trennten uns jetzt noch von
neben Oxforddie bedeutendste Universitätsstadt Englands, idyllisch am Ostufer des Camgelegen. Die 1209 gegründete Universität bildet ein eigenes Gemeinwesen und umfasst inzwischen etwa 30 Colleges, von denen wir das berühmteste, das 1441 von Heinrich VI.erbaute King’s College, so weit es möglich war, etwas näher in Augenschein nahmen. Aus dem Komplex mit überwiegend dreistöckigen Gebäuden, davon einige sehenswerte mittelalterliche Gemäuer, die Fassaden säulengeschmückt, andere modernerer Natur, erhebt sich sehr eindrucksvoll die ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert stammende spätgotische Kapelleaus weißem Kalkstein mit wunderschön gearbeiteten Farbglasfenstern und vier hohen kantigen Ecktürmen und unzähligen, den Dachfirst an beiden Seiten überragenden kleinen reich verzierten Türmchen; aus einiger Entfernung über eine blühende Wiese hinweg fotografiert, herrliche alte Bäume im Vordergrund und friedlich grasende pechschwarze Kühe mit schneeweißen Köpfen als willkommene Statisten, ein lohnendes Motiv.
Erst beim näher Kommen entdeckten wir den schmalen Fluss, der sich direkt an den gegenüberliegenden Mauern und Hauswänden entlangschlängelt. Auf den mit überquellenden Blumenkästen geschmückten Brücken fröhliche Studenten, mit lauten Rufen ihre Kommilitonen anfeuernd, die gekleidet in weite schwarze Hosen mit blaugestreiften T-Shirts, breiter roter Schärpe und verwegen aufgesetztem Strohhut wie Gondolieres aussahen und in venezinanischen Gondeln nachempfundenen Booten, natürlich voll besetzt mit ausgelassenen Passagieren, stehend um die Wette stakend einem fernen Ziel entgegenstrebten, ein buntes Bild.
Nicht minder farbenfroh unser nächtlicher Stehplatz im etwa 50 km entfernten hübschen Städtchen
direkt an der sehr schön gestalteten Uferpromenade des Flüsschens Ouse(nicht zusammenhängend mit dem Fluss gleichen Namens bei Kingston upon Hull); ein gepflegter Rasenstreifen, großzügig durchsetzt mit prachtvoll bepflanzten Blumenbeeten, trennte uns von dem mit Kies bestreuten Wanderweg, eine schmale Fußgängerbrücke spannte sich in elegantem Bogen aus schneeweiß gestrichenem Gitterwerk hinüber zum anderen Ufer, herrliche alte Bäume reckten ihr Geäst hoch in den Himmel, an dem sich inzwischen pechschwarze Wolken zusammengebraut hatten, ein immer lauter werdendes Grollen und zuckende Blitze kündeten ein sich näherndes Gewitter an, das sich dann mit ohrenbetäubendem Krachen und prasselndem Regen entlud.
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