„Dad!“ echauffiert sie sich.
„Es ist doch nichts passiert! Erstens sind wir erwachsene Menschen und zweitens hatten wir beide etwas an, also was regst du dich so auf. Matt hat mir nichts weggeschaut, wenn du das meinst.“
„Das meine ich auch nicht Saundra, aber ich merke gerade an Mr. Bolders Reaktion, dass ihm die Begegnung offenbar unangenehm war, also bitte bring’ ihn nicht so in Verlegenheit!“ sagt er um seinen eigenen Fehler zu überspielen, denn so unangenehm war die Begegnung für mich ja gar nicht.
Verärgert steht er auf und geht schnellen Schrittes davon.
„Tut mir leid, Matt! Ich wollte Sie tatsächlich nicht in Bedrängnis bringen, vor allem nicht vor meinem Vater.“ raunt Saundra sanft.
Ich blicke ihr wieder ins Gesicht und sehe, dass sie trotzdem bezaubernd lächelt.
„Ich verstehe zwar im Moment überhaupt nicht, warum sich Ihr Vater so darüber aufregt, nur weil wir uns zufällig halb nackt im Waschzelt getroffen haben.
Schließlich sind wir, wie Sie schon sagten, erwachsene Menschen und ich denke jeder von uns weiß auch, wie das andere Geschlecht ganz nackt aussieht.“ antworte ich leise und sehe ihr zweifelnd in das schöne Gesicht.
Ihre grünen Augen fangen an zu Glitzern wie tausend Smaragde in der Sonne.
„Ja, allerdings! Mein Vater liebt es nur nicht, wenn zwischen den Teilnehmern seiner Ausgrabung eine … wie soll ich sagen… „ sie überlegt kurz indem sie die Augen nach oben dreht „… besondere Beziehung aufgebaut wird.“ raunt sie, schaut mir wieder direkt in die Augen und ich schlucke erst einmal schwer, um ihre atemberaubende Schönheit zu verkraften.
„Eine ‚besondere’ Beziehung?“ frage ich sie daher erstaunt.
„Ja, er möchte nicht, dass Liebesbeziehungen angefangen werden. Er sagt, das stört die Arbeiten und bringt Unruhe ins Camp.“ flüsterst sie nun, weil Miguel um uns herumwuselt.
„Oh! Gab es das denn schon einmal?“ frage ich sie nun schmunzelnd und sehr neugierig.
„Dazu möchte ich jetzt lieber nichts mehr sagen Matt.“ sagt sie augenzwinkernd, stützt den Kopf auf ihre verschränkten Handoberflächen und beginnt erneut zu fragen.
„Eigentlich weiß ich gar nicht viel von Ihnen, außer wie Sie halb nackt aussehen. Leben Sie in einer Beziehung? Vielmehr meine ich … wartet jemand zu Hause auf Sie?“
„So viele Fragen auf einmal Saundra? Ja es wartet jemand zu Hause auf mich…“ das Lächeln verschwindet zunächst aus ihrem Gesicht, bis ich weiter spreche „… meine Eltern und meine Schwester! Und Nein ich lebe zurzeit in keiner Beziehung! Die letzte ist vor vier Monaten schmerzvoll zu Ende gegangen und ich möchte jetzt bitte nicht darüber reden.“ gestehe ich ihr und das Lächeln kehrt ihr Gesicht zurück.
„Ich hätte mich auch gewundert, wenn Sie diesen Job angenommen hätten und eine glückliche Beziehung führen würden.“ sagt sie zwar bedauernd, scheint aber insgeheim fast erleichtert zu sein.
„Und wie sieht es bei Ihnen aus Saundra? Haben Sie einen festen Freund oder sind Sie vielleicht sogar verheiratet?“ wage ich es zu fragen.
Sie lacht kurz auf, legt ihre Hände auf den Tisch und schüttelt mit dem Kopf.
„Nein, Matt, wo denken Sie hin? Ich hatte noch nie eine längere ernsthaftere Beziehung, das liegt mir absolut nicht.
Außerdem habe ich in meinem europäischen Stammbaum eine gewisse ungarische Gräfin Erzébet Báthory, vielleicht sagt Ihnen das als Archäologe etwas?“
Der Name sagt mir gar nichts, denn europäische Geschichte gehörte nicht zu meinem Studium und ich schüttle mit dem Kopf.
„Erzébet Báthory? Nein, das sagt mir überhaupt nichts. Wer war sie?“ frage ich neugierig weiter.
„Lesen Sie das am besten im Internet nach und jetzt sollten wir glaube ich aufbrechen, um den Tempel der Inschriften unsicher zu machen.“ sagt sie knapp, steht auf und bindet sich ihr langes schwarzes Haar wieder zu einem Zopf zusammen.
„Kommen Sie etwa auch mit?“ staune ich erneut.
„Natürlich, deswegen bin ich ja da! Kommen Sie?“ fragt sie nochmals.
Ich erhebe mich ebenfalls und wir trotten beide schweigend nebeneinander zum Materialzelt wo Mr. Dunaway und Hernán bereits einige Werkzeuge und das Bodenradar zusammengetragen haben.
„Seid ihr beide dann auch soweit? Dann können wir ja endlich gehen!“ brummt Mr. Dunaway immer noch ärgerlich.
Hernán ruft noch einige Arbeiter heran, welche die Werkzeuge und das GPR auf die Pyramide bringen und schickt sie wieder weg.
„So jetzt sind wir auf uns allein gestellt, denn dort unten ist leider nicht so viel Platz für so viele Menschen. Wir werden die Sachen also selbst hinunter tragen müssen.“ klärt uns Mr. Dunaway auf.
Jeder von uns setzt eine Art Grubenhelm auf, auf dem jeweils eine Lampe montiert ist. Allerdings ist heute das eingebaute Licht eingeschaltet, das normalerweise den Touristen den Weg weist. Somit brauchen wir die Lampen vorerst gar nicht.
Hernán und ich tragen gemeinsam das GPR vorsichtig die steile Treppe hinunter und Mr. Dunaway und Saundra tragen einige Schaufeln und Besen mit sich.
Wir sind noch nicht ganz die letzten Stufen hinabgestiegen als ich sehe, dass das Gitter vor der eigentlichen Grabkammer offen ist und wir freien Zutritt haben.
Hernán und ich stellen das GPR vorsichtig auf den Boden und warten auf die beiden anderen, die zügig zu uns aufschließen und die Werkzeuge erst einmal an die Wand lehnen.
„Wie ich sehe, haben Sie es doch erreicht, dass wir die Grabkammer betreten dürfen Mr. Dunaway?“ frage ich verwundert.
„Sie sind sehr naiv Mr. Bolder. Natürlich habe ich das erreicht! Mit Geld erreicht man alles was man will, vor allem hier in Mexiko, was denken Sie denn?“ antwortet er schnippisch.
Mr. Dunaway scheint noch immer keine sehr viel bessere Laune zu haben als beim Frühstück. Na toll, diesen ersten Arbeitstag hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.
„Also wo wollen Sie anfangen?“ fragt er ungeduldig.
Ich sehe mich kurz um, denn bei Licht sieht es hier unten ganz anders aus als im Schein meiner Taschenlampe vor ein paar Tagen und ich ziehe die Luft scharf ein.
„Ich denke am besten wäre es tatsächlich in der Grabkammer um den Sarkophag herum, aber dürfte ich mir vorher einmal die Grabplatte bei Licht genauer betrachten?“ antworte ich gelassen.
„Bitte! Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“ blafft er mich an.
„Dad, bitte!“ zischt ihn Saundra mit einem schroffen Ton an und wirft ihm einen giftigen Blick zu.
Dadurch komme ich zu dem Schluss, dass die momentane Missstimmung zwischen den beiden herrscht und vielleicht mit mir selbst gar nichts zu tun hat, deshalb wende mich der sehr aufwändig gestalteten Grabplatte zu.
Die bildliche Darstellung der Maya unterscheidet sich stark von der ägyptischen, daher kann ich das Bild in keinster Weise deuten und kann nur beschreiben was ich sehe.
Auf den ersten Blick ist es ein wirres Durcheinander von komplexen und verschnörkelten Mustern und Hieroglyphen. Im unteren Teil kann man einen Maya erkennen, der halb liegend, halb sitzend irgendwelche Hebel oder Griffe betätigt.
Sehr plastisch dargestellt ist der Unterschied zwischen Vorder- und Hintergrund, denn das was der Maya offenbar bedient sticht sehr deutlich heraus.
Ich habe viele Meinungen dazu gelesen, einige Fachleute halten es für den Weltenbaum aus der Mythologie der Maya, wieder andere für ein Raumschiff und manche sogar für ein frühes Tauchboot.
Zunächst einmal entscheide ich mich für keine der angebotenen Meinungen. Für mich stellt es im Moment eher ein Buch mit sieben Siegeln dar und ich werde mich noch eingehender mit der Mythologie, der Lebensweise und dem Glauben der Maya beschäftigen müssen um irgendwann zu einer eigenen Meinung gelangen zu können.
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