Das Geld stand damals und steht heute im Mittelpunkt.
Nicht der Mensch.
Den Menschen braucht man, um Geld zu verdienen in einem Maßstab, der für viele Menschen undenkbar ist: Eine Milliarde im Jahr ist für normalsterbliche Menschen, die normal arbeiten gehen, unvorstellbar, oder? Da muss man doch Tricks und Methoden anwenden, die nicht koscher sind. Anders geht das doch gar nicht, denkt man, oder?
Da der Mensch inzwischen hinreichend beschrieben ist und wir wissen, dass er sich meistens freiwillig keineHilfe und Unterstützung holt, miese Verhältnisse nichtim Vorfeld, wenn er noch Kraft und Gesundheit und meinetwegen auch noch ein bisschen Geld hat, ändert und selbst immer erst einmal alles versuchen wird, um aus sich heraus allein klar zu kommen- insbesondere auch im seelischen und psychischen Bereich - können wir getrost annehmen, geht jemand pleite oder bricht zusammen, wird er alles versucht haben, was ihm möglich war, um seine Situation zu ändern.
Und dieser Mensch wird festgestellt haben: Er schafft es dann doch nicht allein.Er ist zusammengebrochen. Mit dem Glauben, es allein schaffen zu können, steht der Zusammengebrochene nicht allein da. Millionen Menschen teilen diese Erfahrung. Eine Erschöpfungsdiagnose, ein sogenanntes Burnout, lässt Menschen zusammenbrechen. Das Leben geht danach anders weiter.
Aus luftiger Höhe betrachtet könnte man sagen, der liebe Gott hat ein Einsehen und hat den Menschen so gebaut, dass er den anderen Menschen braucht. Der Mensch kann viel allein - aber nicht alles. Jeder Mensch weiß dies im Prinzip sehr genau und handelt dagegen. Die Quittung habe ich ja gerade beschrieben. Diese Erfahrung ist nebenbei bemerkt bei allen Menschen sozusagen einkommensunabhängig gleich.
Der Mensch verändert sich niemals freiwillig,wie C.G. JUNG einmal bemerkte. Ich empfehle, sich diesen Satz gut zu merken. Möglicherweise hilft er Ihnen, sich vielleicht doch Unterstützung zu besorgen, wenn Sie merken, so geht es auf gar keinen Fall weiter! Ein Bauingenieur, erzählte mir einmal, wie es sich anfühlt, zusammenzubrechen: Er stand morgens auf und alles war ihm zu viel. Dann rief auch noch sein Chef an, er solle sich auf den Weg zu einer Fortbildung machen, die noch heute beginnen würde und die wichtig sei. Sie würde die ganze Woche dauern. Er solle mal sein Köfferchen packen. Damit waren die Pläne des Bauingenieurs für die Woche über den Haufen geworfen. Er konnte innerlich nicht mehr ausgleichen und schrie herum, er würde dies auf gar keinen Fall tun. Er könnte ihn mal! Er ließe sich jetzt krankschreiben. Außerdem müsse er zu seiner Tochter. Er hätte es versprochen. Er konnte die vielen Ansprüche nicht mehr ordnen. Er konnte den Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Er hat nie wieder gearbeitet. Er ließ sich zwei Jahre später berenten. Ein paar Jahre vorher hatte er ein Burnout - war aber nach relativ kurzer Zeit wieder fit. Aber die guten Vorsätze reichten nicht aus, seine Gesundheit wieder so weit aufzubauen, dass er auch jetzt standhaft geblieben wäre.
Von diesen Menschen, die alles versucht haben, um zu leben und zu überleben, indem sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, gibt es inzwischen irrsinnig viele: Viele sind insolvent. Viele haben eine entsprechende Diagnose für die Kostenerstattung der Behandlungskosten von Krankenkassen durch ihre Behandler bekommen. Viele Menschen müssen sich auf Ämtern herumtreiben um finanzielle Unterstützung - meist verschämt - zu beantragen. Die Kriminalität unter Jugendlichen nimmt extrem zu. In Dortmund ist nun extra ein Haus gemietet worden, in dem viele Berufsgruppen im Sinne der auffälligen Jugendlichen zusammenarbeiten wollen, wie Ende Oktober 2015 bekannt wurde.
Halten wir an dieser Stelle fest, dass das Konstrukt WORK-LIFE-BALANCE eine ökonomische Definition von in Verträgen gegossenen Fähigkeiten, die perfekte Produkte einer bestimmten Gattung zeitgebunden durch ARBEIT hervorbringen sollen, indem zum Beispiel bestimmte Materialien bearbeitet werden. Da Arbeit oftmals schwer, anstrengend, nervenaufreibend, spannungsreich, körperlich und seelisch belastend, die Zeitdauer, um ein Produkt oder Arbeit zu erledigen, zu lang ist, gab es schon immer Verbesserungsvorschläge, wie sie einfacher zu gestalten und weniger belastend durchgeführt werden könnte. Dabei gab es je nach dem, welche Arbeiten es waren, sehr unterschiedliche Merkmale, die Menschen belasteten. Der Frühkapitalismus hatte da zum Beispiel Bergwerke, in denen Kohle abgebaut wurde, wie in England. Sozusagen vor der Haustür von Karl MARX, der mit seiner Familie, seiner Frau Jenny und seinen Kindern in London wohnte. Damalig war Kinderarbeit an der Tagesordnung. Das Konstrukt WORK-LIFE-BALANCE gab es da noch nicht. Es interessierte niemanden, ob Kinder und Männer krank wurden nach wenigen Jahren, wenn sie in den Bergwerken viele Stunden am Tag in den voller Kohlenstaub hängenden Gängen und Flözen schufteten. Diese damals entstandenen Formen von Arbeit fanden zig Korrekturen durch Strukturen, die im Laufe der Jahre und Jahrzehnte entwickelt wurden. Arbeitszeiten wurden verkürzt, Gewerkschaften gegründet, die die Interessen der Arbeiter vertreten sollten gegenüber den Betrieben. Krankenkassen wurden gegründet und medizinische Untersuchungen gestartet und Ärzte einbestellt, die die Arbeiter untersuchten.
Ich bin in Dortmund aufgewachsen und so gehörten von kleinauf Bergarbeiter in ihren schwarzen Arbeitskleidern, wenn sie erschöpft oder lallend vom Bier danach nach Hause schlurften zum gewohnten Straßenbild. Sie spiegelten das Leben in weiten Teilen dieser Menschen wieder. Mit ihren Russ und Schmutz verschmierten Gesichtern und Grubenlampen und Helmen auf den Köpfen trotteten sie Straßen entlang oder standen an Ecken an Buden, an denen sie sich ein Bierchen gönnten.
Als Leiterin einer Station im Landeskrankenhaus (LKH) Dortmund durfte ich später selbst mit in die Grube eines Bergwerkes einfahren, in der aktiv Kohle abgebaut wurde. Normalerweise durften Frauen nicht einfahren - aber da ich als Ärztin und Akademikerin eingestuft war, galt das dann bei mir nicht. Ich galt nicht als Frau. Trug Männerkleidung, die ich bekommen hatte in der Waschkaue. Ich durfte schwere, schwarze Lederschuhe tragen, mir einen Helm auf den Kopf setzen, unter dem ich meine langen Haare verstaute und mir die Grubenlampe auch noch auf die Stirn setzen. Dann ging es ab in den kleinen Aufzug, der sich schwankend und polternd in die dunkle Tiefe frass.
Damals, also rund 100 Jahre nach den ersten Bergwerken und bereits zig erfolgten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen sind immer noch unzählige Männer an Staublunge erkrankt. In Alkoholismus versenkten sie ihre Ängste, die sie im Stollen entwickelten, wenn schwierige Abbaugebiete zu bearbeiten waren. Tagesbrüche hielten die Männer in Schach. Grubenunglücke hielten Todesangst immer schön auf Sparflamme wach und wenn es dann soweit war, loderte sie hoch. Es gab, möchte ich mutmaßen, fast keinen Bergmann, der kein Bier trank. Wir waren eben in der Kohle- und Bierstadt, die dann auch noch durch Fussball weltberühmt wurde. Kohle um die Existenz zu sichern, Bier um die Nerven zu beruhigen und Fussball um endlich kritiklos Emotionen ausleben zu können.
Wenn man in NEW YORK nicht viel von Dortmund weiß, aber Borussia kennt man auch in NEW YORK. Damals gab es noch kein WORK-LIFE-BALANCE Denken. Dieses Denken kam erst viel später auf, als man schon anfing, die Bergwerke still zu legen. Brauereien zu schließen und zig Arbeitslose an Ecken und Buden standen, sich ihr Bierchen gönnten und rauchten bei einem Austausch über die Arbeitslage. Vermutlich war dies eine der ersten WORK-LIFE-BALANCE Maßnahmen überhaupt. Die Kneipe im Ruhrgebiet bot schon immer den Tresen als Beichtstuhl an.
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