In Los Angeles stirbt am Montag ein weiterer Afroamerikaner durch Polizeigewalt und lässt auch dort die Proteste gegen Rassismus entstehen. Ezell Ford passt in das gleiche traurige Muster von jungen, schwarzen US-Bürgern, die unbewaffnet den Tod durch die Polizei finden. Sein Vergehen war laut des LAPD „verdächtige Bewegungen“. Ford lief auf dem Fußweg und wurde von zwei Polizeibeamten aufgefordert stehen zu bleiben. Doch Ford ignorierte die Aufforderungen und lief weiter. Als die Beamten ihn stellten, soll er versucht haben, die Dienstwaffe eines Polizisten an sich zu reißen. Aus Notwehr wurde Ford in den Rücken geschossen. Beide Polizeibeamte sollen auf Ford geschossen haben. Mit angelegten Handschellen verschlimmerte sich sein gesundheitlicher Zustand im Krankenwagen. Ezell Ford stirbt noch am selben Tag im Krankenhaus.
Der Anwesende Cousin erzählt als Augenzeuge jedoch eine andere Version des Tathergangs. Demnach haben beide Polizisten den stark unter Depressionen und Schizophrenie leidenden Ford zu Boden geworfen und grundlos in den Rücken geschossen. Dass sein Cousin psychisch krank gewesen war, hätten beide Polizisten gewusst. Der Verstorbene war kein Unbekannter und hatte einige Vorstrafen. Ein weiterer Zeuge sagt aus, dass Ford erschossen wurde, als er schon auf dem Boden lag und sich aufgrund der Verhaftung wehrte. Die Dienstwaffe wollte Ford laut dem zweiten Zeugen nicht entreißen. Mit dem Argument, dass die Dienstwaffe entrissen werden soll, ist die Anwendung von tödlicher Gewalt durch Polizeibeamte in den USA gerechtfertigt. Während der Demonstrationen in Los Angeles skandieren die Demonstranten die Sprechchöre der neuen Bürgerrechtsbewegung und tragen damit den Kampf aus Ferguson nach Los Angeles weiter.
Die Krawalle werden auch Montagnacht fortgesetzt. Es kommt zu Brandstiftungen und Plünderungen in Ferguson. Die Polizei wird von gewaltbereiten und vermummten Demonstranten mit Steinen beworfen. Es fliegen Tränengaskartuschen und Gummigeschosse als Antwort der Polizei in Richtung der Protestierer. Immer wieder ruft die Polizei die Anwohner dazu auf, in ihren Häusern zu bleiben. Menschenansammlungen sollen laut Polizei vor dem Einsatz von Tränengas zur Zerstreuung aufgefordert worden sein. Teilnehmer bestreiten jedoch die Aussagen der Polizei und beklagen, dass auch friedliche Demonstranten grundlos mit Gummigeschossen und Tränengas angegriffen worden seien. Die Polizei muss sich auch kritisieren lassen, dass sie ihre eigenen Aufforderungen konterkarierte. Indem sie zahlreiche Straßenkreuzungen und Nebenstraßen blockierte, konnten viele Demonstranten den Anweisungen der Polizisten nicht Folge leisten und wurden am nach Hause gehen behindert.
Dienstag, 12. August 2014
Die Unruhen in Ferguson sind nicht die ersten seit einer langen Pause friedlichen Zusammenlebens der Ethnien. In Cincinnati brachen 2001 gewaltsame Proteste aus, als ein weißer Cop einen schwarzen unbewaffneten Jugendlichen erschossen hatte. In Anaheim in Kalifornien brachen 2012 ebenfalls über mehrere Tage gewaltsame Unruhen nach einem ähnlichen Fall aus. In der Stadt Albuquerque in New Mexiko brachen sogar Unruhen in diesem Frühjahr aus. Die größten Unruhen mit insgesamt 52 Toten und rund 1.000 ausgebrannten oder stark beschädigten Gebäuden waren 1992 in Los Angeles. Der Fall Rodney King, der von mehreren Polizisten zusammengeschlagen wurde und ein Beweisvideo in den Nachrichten die afroamerikanische Community erzürnte, war seit der großen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre der größte nationale Aufschrei wegen Rassismus. Verbessert hat sich seit 1992 für die Schwarzen in den USA jedoch nicht viel.
Die Demonstrationen in Ferguson verlaufen tagsüber am Dienstag relativ ruhig ab. Mehrere Personen skandieren vor der Polizeistation, die als Schwerpunkt der Krawalle gilt: „Hey hey, ho ho, killer cops have to go!” Die große mediale Berichterstattung über die Krawalle sowie die zunehmende Debatte um Polizeigewalt, lassen die Waffenverkäufe in den USA sprunghaft ansteigen. Meist nach blutigen Amokläufen oder der Androhung einer Waffenrechtsverschärfung steigen die Schusswaffenverkäufe rapide an. Die neuerlichen Gewaltausbrüche in Ferguson lassen in St. Louis und Umgebung die Bewohner ihre privaten Bestände auffüllen. Die überwiegenden Angstkäufe werden von Bewohnern von überwiegend weißen Wohngebieten getätigt, die ihr Eigentum vor den Randalierern schützen wollen. Doch die Krawalle in Ferguson zeichnen sich hauptsächlich in den schwarzen Sozialbausiedlungen ab und betreffen die reicheren weißen Viertel der Stadt zumeist nicht.
Am Dienstag gibt US-Präsident Barack Obama eine Erklärung heraus, indem er den Tod des Jugendlichen als „herzzerreißend“ beschreibt. Die First Lady Michelle Obama spricht der Familie Brown ihr Beileid aus. Es ist nicht das erste Mal für Obama, dass er sein Beileid für einen erschossenen schwarzen Jugendlichen ausspricht. Im Februar 2012 musste der Präsident den Tod des afroamerikanischen 17-jährigen Jugendlichen Trayvon Martin beklagen. „Wenn ich einen Sohn hätte, würde er wie Trayvon aussehen“, sagte Obama schließlich im März 2012. Obama stand da schon längst im Fokus der US-amerikanischen Öffentlichkeit zum Thema alltäglichen Rassismus in den USA. Die afroamerikanischen Wähler, die Barack Obama mit großer Mehrheit 2008 gewählt hatten, steckten auch die große Erwartung an ihm, den alltäglichen Rassismus in den USA zu beenden. Zumindest aber die Polizeigewalt gegenüber der schwarzen Minderheit zu stoppen. Angetreten war Obama auch mit dem Versprechen, die USA in einem „grand bargain“ zu einen, doch vielmehr stellen die US-Bürger jetzt fest, dass die USA mehr denn je in unterschiedliche Ethnien gespalten sind. Viel hat sich seit den sechs Jahren seiner Präsidentschaft für die Afroamerikaner nicht verbessert. Im Alltag erzielt die afroamerikanische Minderheit in den USA keinen Vorteil daraus, dass es einen schwarzen Präsidenten gibt. Die Rassentrennung verläuft jetzt unsichtbarer aber nicht weniger schmerzhaft. Die weißen US-Bürger stellen noch immer die Führungsschicht des Landes, während die Afroamerikaner noch immer die schlechtere Bildung, ein geringeres Einkommen und weniger Chancen auf Wohlstand haben. In der sozialen Mobilität hat die stark wachsende Gruppe der Lateinamerikaner die Afroamerikaner schon längst überholt.
Gleich nach dem Einzug ins Weiße Haus hatte Obama das Thema der Hautfarbe keine allzu große Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Er möchte nicht seine Präsidentschaft mit dem Thema der Rassengleichheit in die US-Geschichte eingehen. Eine Einwanderungs- sowie eine Waffenrechtsreform scheinen neben seiner Gesundheitsreform die Meilensteine zu sein, mit denen er als Präsident in Erinnerung bleiben möchte. Außer seiner stark umstrittenen und boykottierten Gesundheitsreform, sind alle weiteren Projekte Obamas nicht vollständig umgesetzt worden. Dafür haben ihn die Republikaner mit ihren Blockaden mürbe gemacht.
Die Machtbefugnisse des US-Präsidenten sind allerdings auch stark begrenzt, um Änderungen von oben durchzusetzen. Durch den Föderalismus in den USA fehlt dem US-Präsidenten der Einfluss auf die Justiz und auf die Polizeibehörden in den Bundesstaaten. Obama kann nur mit der Macht des Wortes Änderungen predigen, doch auch hier spricht der Präsident nach Ansicht seiner Wähler zu wenig über Rassismus und Polizeigewalt in den USA. Doch Obama agiert nicht ohne Grund vorsichtig bis zaghaft. Als erster afroamerikanischer Präsident will er sich nicht einseitig einer Ethnie im Land zuordnen lassen und tritt daher für die meisten Schwarzen zu verhalten auf. Wiederholt hatte Obama darauf hingewiesen, dass ein Präsident das gesamte Land repräsentiert. Doch eine schärfere Verurteilung von Ungerechtigkeiten würde seiner Präsidentschaft letztendlich eher stärken, auch wenn eine klare Positionierung von ihm in den letzten Amtsjahren nicht mehr zu erwarten ist. Der soziale Frieden in den USA wird trotz Wahlversprechens von 2008 nicht durch Barack Obama wieder hergestellt werden können.
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