In Erwartung des Booms, den Dickmouth als Seebad erleben würde, hatte er in alle Richtungen reihen- und terrassenförmig prunkvolle Einfamilienhäuser gebaut. Es gab Geschäfte und ein scheußliches Gewölbe an dem Platz, der für den Bahnhof vorgesehen gewesen war. Selbst die Stelle für einen Pier war bereits ausgesucht, der Gott sei Dank jedoch niemals gebaut wurde. Mit dem Aufkommen der Kraftfahrzeuge war Dickmouth später aufgeblüht, und schließlich hatten wir praktisch alles vermietet, –aber zu welch einem Preis! Selbst nachdem wir das Ganze aufgemöbelt hatten, warf der Besitz fast nichts ab, und so blieb der Gesellschafterin der alten Dame, die eigentlich hätte fein heraus sein müssen, gerade genug, um Körper und Seele zusammenzuhalten und sie in schwarzen Seidenkleidern herumlaufen zu lassen.
Nachdem wir alle Pachten, die auf 21 Jahre liefen, weit unter Preis abgewickelt hatten, taten die Herren von der Eisenbahn den letzten Schritt, und als unsere Fünfundsiebzig-Pfund-Pachten in andere Hände übergingen, brachten sie vier oder fünfhundert ein. Alles kam wieder ins Lot, selbst die Pachtverträge, und jetzt waren wir am Zug. In den vergangenen Quartalen hatte ich Morgan der Zweiten einige Schecks mit ganz hübschen Summen schicken können, und es sah so aus, als ob sie in ihren letzten Lebensjahren noch ein wenig Glück haben würde, als Ausgleich für die ungewöhnlich schlechten Zeiten.
Mit diesen Grundstücken musste damals, als die Pachten fielen, etwas geschehen. Ich glaubte nicht, dass es noch Sinn hatte, die weißen Elefanten meines Vaters weiter zu pflegen. Einige waren ohnehin den Pachten zuvorgekommen, indem sie freiwillig zusammengebrochen waren. Die anderen kamen nach Hause, um zu schnarchen oder was immer weiße Elefanten tun, wenn ihre Zeit vorüber ist. Ich hatte Miss Le Fay Morgan eine nette Summe für den Platz an der Anlegestelle geboten und ein Vermögen für dieses schreckliche Gewölbe, das in den letzten Jahren wegen seiner gefährlichen Konstruktion mit Brettern vernagelt gewesen war. In meinen Augen war es schade, noch weitere Grundstücke zu verkaufen, zumal ich gehört hatte, dass die Eisenbahn elektrifiziert werden sollte. So hatte ich insgeheim die Hoffnung, mich durch Miss Morgan sanieren zu können: Wir würden den Umbau finanziert bekommen, den Gewinn wollte ich mit ihr teilen. Es wäre ein verdammt gutes Geschäft für sie gewesen und hätte ihr geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. So ist das mit uns Häusermaklern: Wir nagen und knabbern und stochern – und das immer ganz unten.
Mein Vater hatte die verwundeten weißen Elefanten mit Instandsetzungsklauseln vermietet. Eine solche Klausel ist ein eigenartiges Geschäft, bei dem der eine sein Geld für den Besitz eines anderen verschwendet. Gegen Ende des Pachtvertrages bekommt er nichts.
Die Häuser und Pachtverträge brachen alle zusammen, und so musste etwas geschehen. Scottie war nach London gefahren, um in einem Rechtsstreit eines Kunden auszusagen. Ich hatte ihm vorgeschlagen, Miss Le Fay Morgan aufzusuchen und ihr meine Idee schmackhaft zu machen: nämlich umzubauen statt zu verkaufen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen auf Neues viel schneller eingehen, wenn man es ihnen mündlich beibringt. Wenn es um ihr Haus geht, geraten sie schnell aus der Fassung und urteilen eher nach dem Mann, mit dem sie reden, als nach der Sache. Ich wusste, Scottie mit seinem überaus vorsichtigen und redlichen Auftreten würde einen guten Eindruck auf sie machen.
Er kam wie Noahs Taube zurück, allerdings ohne Olivenzweig zwischen den Lippen, im Gegenteil: Er hatte Anstoß erregt. Offenbar war er bei der Adresse, die in unseren Akten stand, gewesen und in einem alten Stall gelandet, den man zu einem Studio umgebaut hatte. Der alte Scottie war eine Hühnerleiter zu dem, was wohl der Heuboden gewesen war, hinaufgeklettert und hatte Stühle mit abgesägten Beinen vorgefunden, sodass man praktisch auf dem Boden saß. An den Wänden standen ‚Diwane‘, die aus Kisten mit Matratzen und persischen Brücken gebaut waren. Scottie wusste, dass es Boxermatten waren, denn er hatte die Decken umgedreht und druntergeguckt. Für Scottie waren Matratzen unabdingbar mit Betten verbunden, und so war er schockiert. Ich versicherte ihm: „Je mehr Leute, desto weniger kann passieren!“ Es half alles nichts, auch nicht, dass ich argwöhnte: „Vielleicht bis du nur deshalb so schockiert, weil du Pettycoats hochgehoben und druntergeguckt hast.“
„Du spinnst. In dem Moment, als ich beim Hereinkommen die abgesägten Stühle gesehen habe, schwante mir schon etwas. Aber als die Dame hereinkam, da wusste ich, dass etwas faul ist.“
„Seit wann machen wir mit der Dame Geschäfte?“, fuhr er fort.
„Gott weiß es“, entgegnete ich.
Scottie rümpfte die Nase; es passt ihm nicht, wenn ich den Namen des Herrn missbrauche.
„Ihr Name stand in den Unterlagen, als ich Teilhaber in der Firma wurde“, fuhr er fort.
„Ihr Name stand schon in den Büchern, als ich geboren wurde“, sagte ich.
„Wie alt ist sie dann?“ fragte Scottie.
„Nun geh schon“, sagte ich, „ich bin 36, und meine Eltern kannten sie so lange, wie ich mich erinnern kann.“
„Nun gut“, sagte Scottie, „eine Dame kam ins Zimmer, wenn man überhaupt von einem Zimmer sprechen kann – ich würde es eine Scheune nennen –, und ich sagte zu ihr: ‚Ich möchte Miss Le Fay Morgan sprechen‘, und sie antwortete: ‚Ich bin Miss Le Fay Morgan.‘
Da fuhr ich fort: ‚Sie haben sich gut gehalten, Madam, wenn Sie gestatten, dass ich so etwas sage.‘ Sie wurde rot und entgegnete: ‚Sie hätten Ihr Geschäft besser schriftlich vorgetragen‘, und ich gab ihr recht.
Aus all dem schloss ich: Wer auch immer die Dame sein mochte, mit der wir seit Jahren als Miss Le Fay Morgan Geschäfte getätigt hatten, Miss Le Fay Morgan war es nicht.“
Das brachte uns in eine unangenehme Lage. War es unsere Sache, die ursprüngliche Miss Le Fay Morgan ausfindig zu machen? Wir sahen uns die Korrespondenz an, die so dick war wie die Familienbibel. Die Unterschrift war unverändert, die ganzen Jahre hindurch. Ich nahm den ersten Brief, den letzten und einige dazwischen und ging mit ihnen zum Geschäftsführer der Bank. Er und sein Kassierer warfen einen Blick auf die Briefe und erklärten, die Unterschrift sei in Ordnung. Ich kam zu Scottie zurück, und wir kratzten uns am Kopf. In diesem Augenblick kam die Nachmittagspost, da kratzten wir uns den Kopf noch heftiger, denn sie brachte ein Schreiben von Miss Le Fay Morgan, die erklärte, sie wäre im Grand Hotel in Dickmouth abgestiegen, und der Seniorchef möge doch bitte herüberkommen und sie über das Grundstück führen, „da sie die Geschäfte immer mit seinem Vater getätigt habe.“
„Ein kluges Mädchen“, lautete Scotties Kommentar. „Wirst du gehen?“
„Darauf kannst du wetten“, sagte ich.
„Dann nimm besser kein Geld mit“, warnte mich Scottie.
***
5
Ich fuhr nach Dickmouth, ging zum Grand Hotel und fragte nach Miss Le Fay Morgan. Der Page wies mir in dem von riesigen Palmen bestandenen Hof einen Parkplatz zu. Während ich wartete, beobachtete ich die Leute. Dickmouth und seine Bewohner waren auf dem besten Weg, sich zu mausern, und es lohnte sich hinzusehen, wobei es mich immer wieder in Erstaunen versetzt, wie Frauen sich in Schale werfen und dabei dem Trugschluss erliegen, sich ‚schön gemacht‘ zu haben mit Dingen, die alle anderen hässlich finden...
Dann betrat eine Dame die Halle. Sie war hochgewachsen, schlank und trug eine schwarze Schottenmütze aus Samt mit einer Diamantbrosche und einen schwarzen Pelzmantel mit riesigem Kragen und Stulpen. Ich fand, sie sah schick darin aus, mit langen, fließenden Linien, während einige andere sich hier und da mit Firlefanz umgaben, von denen sie sich deutlich abhob. Sie hatte die Mütze bis über das mir zugewandte Ohr gezogen, und ihr riesiger Kragen stand so hoch, dass ich ihr Gesicht nicht erkennen konnte, aber nach der Art, wie sie sich bewegte, war sie etwas Besonderes.
Читать дальше