»Nichts. Oder genauer gesagt zunächst nichts. Wir werden Ihnen ein blutdrucksenkendes Mittel verschreiben und Sie bitten, in sechs Monaten wieder vorstellig zu werden. Falls sich das Aneurysma nicht dramatisch verändert, müssen wir keine weiteren Schritte unternehmen.«
»Und andernfalls? Ich meine, falls das Ding sich zum Negativen verändert?«
Ich bin richtig stolz auf meine Ausdrucksweise.
»Dann könnten wir Ihnen einen Stent setzen. Den würden wir über die Leistenarterie einführen, um so den Bereich des Aneurysmas zu stabilisieren. Also zunächst ganz ohne Bauch-OP.«
Klingt doch gut, denke ich. Wir plaudern noch einen Moment und dann muss Krösing zu seinem nächsten Termin. Bevor er verschwindet, fällt mir aber doch noch eine Frage ein.
»Und dieses eher unbedeutende Aneurysma hat meinen gesamten Kreislauf zusammenbrechen lassen?«
Krösing kehrt zu meinem Bett zurück.
»Ich sagte nicht, dass das Ganze unbedeutend ist. Ich sehe nur derzeit keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Das ist ein Unterschied.«
Da ist er wieder, der Herr Professor. Oh, wie ich diese Typen hasse, mit ihren klug scheißenden Reden.
»Das heißt, ein solcher Zusammenbruch kann sich jederzeit wieder ereignen?«
»Das Einzige, was unsere Untersuchungen ergeben haben, ist das Aneurysma. Ob dieses in einem ursächlichen Zusammenhang mit ihrem Kreislaufzusammenbruch steht, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen.«
Ich bin jetzt völlig konsterniert und ich vergesse Krösing zu fragen, wann er mich entlässt. Hoffentlich bald, denn hier will ich keine Minute länger als nötig bleiben. Es gibt keine Erklärung für meinen Zusammenbruch? Liegt das jetzt an diesen unwissenden Medizinern oder an meinem fehlgesteuerten Körper? Wahrscheinlich an beidem. Die Medizin ist eben alles andere als eine exakte Wissenschaft. Kann sein, kann nicht sein, kann eventuell auch ganz anders sein, mehr Präzision kann man eben von diesen Typen nicht erwarten.
Ich bin jetzt schon wieder eine Weile zu Hause. Am Anfang war ich besorgt und ich habe auch nicht so toll geschlafen. Dieser plötzliche Zusammenbruch meines bislang immer tadellos funktionierenden Körpers beschäftigt mich schon. Vor allem, weil die Ärzte keine plausible Erklärung dafür geliefert haben. Ich schlucke die Pillen, die sie mir verschrieben haben, und ich bemühe mich, keinen Gedanken mehr an Krankenhäuser, Aneurysmen und ähnlichen überflüssigen Quatsch zu verschwenden. Die Zeitung berichtet, dass in Afghanistan ein deutscher Offizier einen Luftangriff auf zwei Tanklastzüge verursacht hat. Die Tankwagen sind vorher angeblich von den Taliban entführt worden. Wahrscheinlich ist das eine Lüge, um die Militäraktion zu rechtfertigen. Spielt bei der Vielzahl von Lügen, die sie uns täglich auftischen, allerdings auch keine Rolle. Es heißt, dass man befürchtete, die vollgetankten Fahrzeuge würden als rollende Bomben eingesetzt. Plausibel klingt das für mich nicht, aber ich bin ja nur ein unwissender Zeitungsleser, der willig seine Abonnementsgebühren bezahlt. Überhaupt ist nichts klar in der Berichterstattung über Afghanistan. Aber irgendwie müssen die ja den Einsatz unserer Soldaten dort rechtfertigen, besonders die Toten und Verletzten. Ich bin kein Pazifist und ich weiß, dass ohne den Einsatz der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg wir diesen Hitler und seine Mörderbande niemals losgeworden wären. Aber ich weiß auch, dass es keine gerechten Kriege gibt und schon gar keine humanen. Mit was für einem Zeug beschäftige ich mich eigentlich heute? Andrea habe ich seit ihrem Besuch im Krankenhaus nicht mehr gesehen. Sie wollte doch noch einmal wiederkommen, oder? Wahrscheinlich habe ich das Ganze nur geträumt. Kein Wunder bei den Mittelchen, die sie mir über den Tropf verabreicht haben.
Ich bin schon eine Weile nicht mehr ausgegangen. Aber heute Abend werde ich in eine meiner Lieblingskneipen, die „Kleine Weltlaterne“, gehen. Es ist Donnerstag und an diesem Tag spielt da immer eine Jazzband. Meistens Dixieland, seltener etwas modernerer Jazz. Ich werde mich um 21 Uhr auf den Weg machen, früher ist da ohnehin nichts los. Um zehn Minuten vor 21 Uhr geht die Wohnungsklingel. Es ist ungewöhnlich, dass um diese Zeit noch jemand bei mir klingelt mit Ausnahme der Nachbarin, die mich gelegentlich um irgendetwas bittet, was sie gerade selbst nicht zur Hand hat. Aber vor der Wohnungstür steht niemand. Ich drücke den Türöffner für die Haustür. Nach einer Weile klingelt es erneut. Ich schaue durch den Türspion. Es ist Andrea. Woher weiß sie, wo ich wohne? Na klar, ihre rosafarbene Einladung hat ja auch den Weg zu mir gefunden.
»Bist Du überrascht?« fragt sie mich.
»Das kann man wohl sagen. Nur wenn Keira Knightley jetzt an Deiner Stelle hier stehen würde, wäre ich noch überraschter.«
Keira Knightley ist derzeit meine Lieblingsschauspielerin, aber das tut hier ja nichts zur Sache. Andreas unvermitteltes Erscheinen verunsichert mich. Auch wenn ich mich aufrichtig freue.
»Darf ich reinkommen?«
»Natürlich, ich wollte zwar gerade gehen, aber bitte komm erst einmal herein.«
Andrea trägt ein klassisches Kostüm in Schwarz-weiß. Mit den abgesteppten weißen Bordüren sieht es aus wie CHANEL oder zumindest LAGERFELD. Rita hat mir ein bisschen was über edle Designermode beigebracht. Sie war eine Zeit lang im Modebusiness tätig. Andrea huscht katzengleich an mir vorbei und ich wundere mich, wie geschmeidig sie sich bewegen kann. Als ich Ihr aus der Kostümjacke helfe, sehe ich, dass mein erster Eindruck richtig war. Es ist ein Modell von CHANEL. Dem Mädchen scheint es finanziell nicht schlecht zu gehen.
»Wohin willst Du gehen?« fragt sie mich ohne Umschweife.
»In die Kleine Weltlaterne, da spielen sie heute Jazz.«
Andrea schaut mich überrascht an.
»Die gibt es noch? Die „Kleine Weltlaterne“ in Kreuzberg? Da hatten wir doch damals eine gute Zeit, nicht wahr?«
Ich gehe besser nicht da drauf ein.
»Irgendwann in den achtziger Jahren sind sie von Kreuzberg nach Wilmersdorf gezogen? Es ist für mich ein letzter Rest vom alten Westberlin.«
»Du warst schon immer ein Romantiker, nicht wahr?«
Bin ich ein Romantiker? Noch nie hat mich jemand als solchen bezeichnet. Na ja, vielleicht hat Andrea recht. Ohne mich weiter zu beachten, geht sie zielstrebig ins Wohnzimmer, so als wenn sie schon hundertmal in dieser Wohnung gewesen wäre. Ich folge ihr etwas irritiert. Andrea lässt ihren Blick schweifen.
»Schön hast Du es hier. Na ja, Geschmack hattest Du ja schon immer.«
Ich bedanke mich für ihre freundliche Bemerkung. Ich sollte sie fragen, was sie hier will, aber irgendwie finde ich jetzt die Frage unpassend.
»Möchtest Du etwas trinken? Einen kleinen Sherry vielleicht?«
Andrea lacht.
»Ich trinke selten Alkohol, aber ein kleiner Sherry kann vielleicht nicht schaden.
»Trocken oder halbtrocken?«
»Wie meinst Du das?«
»Nun ich weiß nicht, möchtest Du lieber einen trockenen Sherry oder einen nicht so trockenen?«
»Gib mir bitte den nicht so Trockenen. Kann ich den auf Eis haben?«
»Himbeere oder Vanille?« frage ich. Andrea lacht.
»Ein Eiswürfel täte es auch, ohne Geschmack.«
Ich nehme zwei Aperitif-Gläser und gehe zum Kühlschrank. Hatte ich Andrea eingeladen? Ich kann mich nicht erinnern. Ist das jetzt beginnende Demenz? Ich entnehme aus dem Eisbeutel im Gefrierabteil zwei mittelgroße Stücke und werfe diese in die Gläser. Anschließend fülle ich die Gläser bis zur Hälfte mit Sherry. Andrea kommt mir ein Stück entgegen und nimmt mir eines der Gläser ab. Sie schaut mich an, mit ihren dunklen Augen.
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