»Wer ist..« Tavar verstummte, weil Alias Stimme dicht über ihnen erklang.
»Sie müssen lernen, so lange aufzubleiben, ich möchte nicht, dass eine von ihnen wieder einschläft, so, wie beim letzten Fest. Welche eine Schande für eine Zofe! Sie werden es lernen, wie sie auch lernen werden, diese Feste zu genießen.« Etwas in ihrer Stimme ließ Tavar einen Schauder über den Rücken laufen, und er spürte, wie sich Leanna neben ihm unruhig bewegte. Alias kostbares Gewand strich an ihnen vorbei. Sie sahen, wie sie mit verführerisch schwingenden Hüften langsam auf den Durchgang zuging.
»Wie wäre es, wenn du dir einfach andere Zofen zulegst? Welche mit sagen wir.. ah, mit etwas mehr Erfahrung und anderem Geschmack?« Eine knochige Hand kam aus dem Dunkel in das warme Licht des Raumes und griff nach ihr. Sie hörten Stoff reißen, Alia wurde in den Durchgang gezerrt. Eine Tür wurde zugeschlagen, und es wurde still.
»Das war’s!« Leanna zog sich von der Treppe zurück. Sie hörte sich erleichtert an.
»Wer war das?«, fragte Tavar. Er folgte Leanna hinaus in den Gang, wo ihre Fackel lag.
Ihr Gesicht war hart, als sie sich zu ihm umwandte. »Der Mann ist ihr Geliebter. Sie hatte ihn von Anfang an, und ich bin sicher, sie hatte ihn auch schon vorher. Er ist vermutlich ein Mönch. Sie fürchtet ihn, sie hasst ihn, aber sie kann nicht von ihm lassen.«
»Wie.. was..« Tavar begann zu stottern und merkte, wie er zu seinem Ärger rot wurde.
Das entging Leanna nicht. Sie verspürte ein geradezu heimliches Vergnügen dabei, seine Fassung noch mehr durcheinanderzubringen. »Sie spielt mit ihm und verliert jedes Mal. Fast ist es so, als brauche sie das, und sie will auch, dass er ihr Schmerzen zufügt. Manchmal holt sie sich auch junge Männer von der Wache hierher und vergnügt sich mit ihnen. Es sieht fast danach aus, als habe sie an der Seite meines Vaters nicht allzu viel davon.« Mit zornig blitzenden Augen ließ sie ihn stehen und lief in die Höhle zurück.
Tavar schnappte nach Luft. Dass ein junges Mädchen so etwas von sich gab! Er sah zu Rynan hinüber, der mit ernstem Gesicht über seiner Fackel stand und ihren Worten regungslos gelauscht hatte. »Sie hat das alles gesehen?!«
»Oh ja«, sagte Rynan.
»Was?! Wie kannst du das nur zulassen!«, zischte Tavar. Er spürte, wie er wütend wurde, nur weshalb, das wusste er nicht so recht, also stürzte er sich auf das Naheliegendste. »Sie ist eine Prinzessin und ein junges Mädchen noch dazu. Du hättest sie das niemals sehen lassen dürfen! Passt du denn gar nicht auf sie auf? Wenn das meine Schwester wäre, dann..«
Rynan machte einen drohenden Schritt auf ihn zu und ruckte die Fackel nach vorne. »Wenn das meine Schwester wäre, dann hätte ich sie niemals hergebracht. Aber Leanna ist es nun mal nicht. Sie ist die Tochter der Königin, und wer bin ich denn, ihr zu widersprechen? Glaubst du nicht, ich hätte ihr den Anblick Alias gerne erspart? Ich sehe doch, wie schwer sie daran trägt und..«
»Darüber habt ihr beide nicht zu befinden!« Unvermittelt erschien Leanna im Schein der Fackel. Sie war zurückgekommen, um zu sehen, wo sie blieben, und hatte alles gehört. Zwingend sah sie die beiden an. »Je mehr wir über Alia und die anderen erfahren, umso besser. Mir gefällt es auch nicht, was ich dort zu sehen bekomme, aber ich fühle mich meinen Brüdern verpflichtet, es fortzuführen. Ich will nicht, dass ihr wegen mir streitet, verstanden? Lasst uns sehen, ob wir bei den anderen Ausgängen noch etwas erspähen können, und dann müssen wir zurück.«
»Aber Leanna..«
»Misch dich nicht in Dinge ein, die dich nichts angehen, Tavar!«, unterbrach sie ihn scharf. »Was ist, kommt ihr?« Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Gemeinsam suchten sie alle weiteren Ausgänge ab. Das Gästehaus, Leannas ehemaliges Zuhause, lag im Dunkeln, ebenso wie der Gang zur großen Halle und der Studierraum des Königs. In der Küche herrschte noch Betrieb, aber da die Tür zu der Speisekammer geschlossen war, konnten sie es nur hören, nicht sehen. Beim nächsten Gemach jedoch erlebten sie eine Überraschung.
»Seht doch, da brennt Licht!«, zischte Rynan und legte rasch die Fackel ab.
Leanna unterdrückte gerade noch einen erstaunten Ausruf. »Das ist das ehemalige Gemach Alias. Es stand seit ihrem Umzug leer, und jetzt..« Sie wagte nicht, ihre Hoffnung laut auszusprechen. Wer konnte dort anderes einziehen als der einzige Neuzugang im Palast? Sie schlug sich fast die bloßen Knie an den ausgetretenen Stufen an, so schnell rannte sie zu dem Spalt in der Decke hinüber.
Die beiden folgten ihr, doch zu ihrer Überraschung konnten sie nichts sehen. Etwas hing vor ihrem Beobachtungsposten, etwas, das schwankte. »Ich erwarte von Euch, dass sie spürbare Fortschritte macht. Sie soll der Königin keine Schande machen«, sagte eine männliche Stimme direkt über ihnen.
»Das ist Nestan«, hauchte Leanna und drückte Rynans Hand ganz fest. Der Ratsherr stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte, und ging auf jemanden zu. »Habt Ihr mich verstanden? Alias Zofen dürfen keine Schande über sie bringen!«
»Ich werde mein Bestes tun, Ratsherr, aber ich glaube, dass Eure Schwester ernsthaft krank ist. Sie hat..«
»Genug!«, fuhr er Daria an, die kerzengerade vor ihm stand und Nel schützend im Arm hielt. »Das glaube ich nicht. Lasst Euch keinen Sand in die Augen streuen. Sie ist eine genauso geschickte Lügnerin wie ihr Bruder, nicht wahr, Schwesterherz, das bist du doch!« Er packte seine zierliche Schwester grob am Kinn und zwang sie, zu ihm aufzusehen.
»Mistkerl!«, zischte Rynan. Sie sahen, dass Nels Blick blind durch ihn hindurch ging. Nestan ließ sie mit einem Laut des Unwillens los und marschierte hinaus, nicht ohne die Tür fest hinter sich zuzuschlagen.
Nel ging wimmernd in die Knie. Daria gelang es gerade noch, sie festzuhalten. »Nicht doch, er ist fort. Du brauchst keine Angst mehr haben, ich bleibe bei dir. Komm, ich bringe dich in dein Bett..« Wie auf ein kleines Kind einredend gelang es Daria, Nel nach nebenan zu führen. Sie hörten ihre tröstenden Worte und lauschten angespannt, ob Nel noch etwas anderes von sich geben würde. Ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Irgendwann schien sie eingeschlafen zu sein, das leise Weinen verstummte.
Es klopfte. Daria kam wieder in den Vorraum und öffnete die Tür. »Gut, bringt sie herein. Stellt sie dort hin, aber seid leise«, sagte sie und zeigte auf die Ecke des Raumes, in der sich die drei Lauscher verbargen. Herein kamen zwei Palastdiener, die eine Liege zwischen sich trugen, gefolgt von einer Magd mit einem Stapel Decken und Kissen auf den Armen. »Ich werde bis auf Weiteres hier schlafen, so lange, bis es der Herrin Nelana wieder bessergeht.«
»Dürfen wir Euch noch etwas bringen, Herrin?«, fragte die Magd ehrerbietig. Sie richtete die Schlafstatt her und breitete Darias Nachtgewand auf der Liege aus, aber sie schien dabei stets neugierig in den angrenzenden Raum zu sehen.
Energisch zog Daria die Vorhänge des Durchganges zu. »Nein, wir haben alles. Lasst uns nun allein und kommt morgen zur gewohnten Zeit, um uns zu helfen.« Daria schloss selbst die Tür hinter ihnen und legte sogar den Riegel vor. Dann verharrte sie eine Weile mit gesenktem Kopf, straffte die Schultern und atmete tief durch. Vorsichtig sah sie sich um, als ahnte sie, dass sie beobachtet wurde. Sie begann an der Wand entlang zu gehen, das Gesicht immer auf die kostbaren Verzierungen gerichtet und die Hände über den Stein fahrend.
»Was macht sie da?«, fragte Leanna.
»Keine Ahnung«, flüsterte Rynan. Sie beobachteten, wie Daria langsam den Raum abschritt und schließlich dasselbe mit der Decke machte. Schließlich schien sie alles zu ihrer Zufriedenheit abgeschritten zu sein. Sie setzte sich auf einen Schemel und begann, ihre Chadra zu lösen.
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