"Der ist andauernd in den Schlagzeilen", kam die Antwort.
Isis unterließ es, zum wiederholten Mal darauf hinzuweisen, dass sie sich für die Klatschpresse nicht interessierte und spielte stattdessen das Spiel mit. Vielleicht würde sie nun endlich auf die Lösung kommen.
"Charlie Sheen? Was hat der mit Brandenburg zu tun? Gibt es da eine besondere Drogenmischung? Oder hat er in Brandenburg einen Weg gefunden endlich ein normaler Mensch zu werden?"
"Nein, der nicht."
Isis sah ihre Freundin weiterhin ratlos an. Alle, die sie nannte, waren es nicht, obwohl sie durchaus zu den Stichpunkten passten, die ihre Freundin erwähnte. Wen meinte Karla nur? Wahrscheinlich war die Antwort so einfach, aber mit den wirren Beschreibungen ihrer Freundin kam sie einfach nicht auf die Lösung.
"Dann weiß ich's nicht."
Karla schien der Kragen zu platzen aufgrund des permanenten Nichtwissens ihrer Freundin. Dabei war es doch so einfach. Sie sah den Schauspieler vor sich, kam aber einfach nicht auf seinen Namen.
"Doch, Isis", begann sie, "der Brandenburger aus Amerika, der hier gerade einen Film dreht und in Italien ein Haus hat. Das kann doch nicht so schwer sein!"
Die Zahnräder im Gehirn der Ägyptologin begannen sich ineinander zu verhaken und setzten einen Denkprozess in Gang. So langsam glaubte sie zu wissen, wen Karla gemeint hatte.
"George Clooney" sagte sie schlicht und konnte nicht glauben, dass ihre Freundin die ganze Zeit über von diesem gesprochen hatte. Wie hatte sie ihn noch einmal genannt? Charmebolzen? Da gab es sicherlich bessere Wörter, die ihn beschrieben. Grinsrübe würde auf alle Fälle zutreffen.
"Richtig", nickte Karla zustimmend.
"Der dreht aber nicht im Brandenburger Land", wandte die Archäologin ein. "Babelsberg mag in Brandenburg liegen, nichtsdestotrotz triffst du ihn mehr hier in der Stadt an, als in Babelsberg. Mir ist der auch schon einmal über den Weg gelaufen. Bin bald mit ihm zusammengestoßen. Elende Grinsrübe", sagte sie, als sie sich an das Ereignis erinnerte.
"Was? Du hast den getroffen und ihn nicht gefragt, ob er dir nicht wegen Tausendschön helfen könne?", fragte Karla und war völlig fassungslos, dass ihre Freundin sich diese Chance hatte entgehen lassen. So eine Gelegenheit kam nur einmal im Leben und nie wieder.
"Das kam völlig unerwartet. Was hätte ich denn sagen sollen? Ach, entschuldigen Sie, Mr Clooney, es gibt da einen liebenswürdigen Elefanten, der großes Heimweh nach zu Hause hat. Könnten Sie mir bitte behilflich sein, dass Mala in heimische Gefilde zurückkehrt? In der Fremde ist sie nicht glücklich, auch wenn sie sich arrangiert hat. Das ganze natürlich in Englisch, wo ich mich sicherlich vor Aufregung verhaspelt hätte und etwas anderes herausgekommen wäre."
"Warum denn nicht? Nein sagen hätte er immer noch können. Aber du hättest es versucht."
"Ja, versucht und mich zugleich völlig blamiert. Nein, danke, da besuche ich die alte Socke lieber weiterhin in ihrem Exil. Irgendwann kommt ihre Chance."
"Ganz wie du willst. Es ist deine Entscheidung." Karla zuckte mit den Schultern.
Wer nicht will, der hat schon, ging es ihr durch den Kopf.
Die angehende Wissenschaftsjournalistin wurde von hinten angerempelt. Sie kümmerte sich nicht weiter darum. In einer größeren Menschenmenge war es durchaus möglich, dass so etwas mal passierte. Dann spürte sie jedoch, wie jemand an ihrer Tasche riss. Geistesgegenwärtig hielt Karla den Riemen fest. Als sie einen weiteren Stoß abbekam, ließ sie den Riemen los, um mit den Händen den Fall abzufedern. Unsanft kam sie auf dem Boden auf, ihre Tasche lag nehmen ihr, die Schlaufe verdreht unter ihrem Arm. Wie durch einen Schleier sah sie, wie jemand die Tasche über ihren Arm zog. Hilflos musste sie mit ansehen, wie der Dieb sich mit seiner Beute davon machte.
"Diebstahl!", rief sie entkräftet, doch ihre Freundin hatte die Verfolgung bereits aufgenommen.
Isis bahnte sich einen Weg durch die Menschenmenge, die es ihr nicht erlaubte in einen schnellen Sprint zu verfallen, da sie durch die menschlichen Hindernisse immer wieder gestoppt wurde. Zwar mochte sie keine gute Ausdauerläuferin sein, aber ein kurzer Sprint ermüdete sie nicht. Sie musste nur aufpassen, dass sie sich ihre Luft gut einteilte.
Den Dieb hatte sie die ganze Zeit im Auge, auch wenn sie anderen ausweichen musste, verlor sie ihn nicht.
Nur flüchtig hatte sie ihn gesehen, als er Karla die Schultertasche gestohlen hatte, doch ihn sogleich erkannt. Wie es aussah, handelte es sich um denselben Mann auf den Karla sie in der S-Bahn aufmerksam gemacht hatte. Beschwören wollte sie es nicht, dafür hatte sie ihn zu kurz gesehen, aber ihr Erinnerungsvermögen hatte sie noch nie enttäuscht.
Nun galt es den Dieb einzuholen und ihm wieder die Tasche abzunehmen.
Ihre Freundin schien Recht behalten zu haben. Der Diebstahl des Tagebuchs, als etwas anderes konnte es nicht bezeichnet werden, war nicht verborgen geblieben. Mochte sie Karla anfangs für eine hysterische Kuh gehalten haben, schienen sich deren Ängste nun zu bewahrheiten. Irgendeine unbekannte Partei wusste von diesem Tagebuch und wollte in den Besitz der Seiten gelangen. Karla war ihnen zuvorgekommen und nun waren sie hinter ihr her. Bloß hatten sie nicht mit Isis gerechnet. Wer ihrer Freundin etwas antat, legte sich auch mit ihr an.
Der Alexanderplatz kam in Sicht. Deutlich konnte Isis die S-Bahn- und Eisenbahnbrücke erkennen.
Das Gewusel der Menschen um sie herum nahm beständig ab. Der Dieb hatte den Abstand zu ihr nicht ausbauen können, sondern immer mehr Vorsprung verloren. Nun galt es, ihn einzuholen, bevor er ihr noch erwischen konnte. Hier bot sich ihm die Möglichkeit einfach in eine Straßenbahn zu springen und ihr zu entkommen. Das musste sie auf jeden Fall verhindern. Zu ihrem Glück schien der Dieb nicht zu vermuten, dass er verfolgt würde oder er glaubte, sie längst abgehängt zu haben. Gut für sie.
Isis beschleunigte ihr Tempo und sprintete die letzten Meter der Karl-Liebknecht-Straße entlang. Wenn es ihr nicht gelang, ihn hier zu erwischen, würde er mit ziemlicher Sicherheit entkommen. Aber so laut, wie sie nun war, würde er sie garantiert bemerken.
Wie ein Elefant mit Hufeisen, ging es ihr durch den Kopf.
Elefanten hörte man nicht anlaufen kommen, da sie von der Anatomie her auf Zehenspitzen liefen und ihr Fußbett gut gepolstert war. Aufgrund dessen konnte ein Elefant direkt auf einen zugelaufen kommen, ohne dass man es bemerkte, wenn nicht Äste oder anderes unterwegs zerbrachen und die Aufmerksamkeit auf diese Geräusche lenkte.
Zu ihrem Ärger gesellte sich Zorn. Zum einen war die Ägyptologin durch den Sprint viel lauter als zuvor, ihre Sohlen klatschten laut auf dem Boden auf, dass jeder im Umkreis von mehreren Kilometern sie hören kommen musste. Andererseits wurde der Abstand zu dem Dieb trotz ihres Tempos nicht geringer. Zudem konnte sie die Geschwindigkeit nicht mehr lange aufrechterhalten. Bereits jetzt meldeten sich ihre Oberschenkel und vor allem ihre Lunge. Diese brannte höllisch. Aber aufgeben galt nicht. So einen gemeinen Dieb durfte man unter keinen Umständen entkommen lassen. Doch es nützte nichts, sie konnte einfach nicht mehr. Ihre Knie drohten einzuknicken, sie bekam Krämpfe im Unterleib und mit dem Luft holen wollte es gar nicht mehr funktionieren.
Resigniert drosselte die Ägyptologin ihre Geschwindigkeit und gab die Verfolgungsjagd auf. Der Dieb war links in einem Gang verschwunden, wo sich mehrere Restaurants befanden. Der Gang artete in einer Art Labyrinth aus. Sie hatte ihn verloren.
"Mist!", entfuhr es ihr verärgert.
Die Archäologin stützte sich auf ihre Knie, um sich von dem Lauf zu erholen. Ihre Lunge brannte wie die Hölle und ihre Knie zitterten. Wann war sie das letzte Mal derart bis zur Erschöpfung gelaufen? Sie konnte sich daran nicht erinnern.
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