Stefan Nym - Prominent

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Ein kurzes Interview in einer Fußgängerzone verändert das Leben von Sven Holstmann. Vor laufender Kamera greift er einen berühmten Formel-1-Piloten an. Der Rennfahrer wehrt sich und versucht, die Öffentlichkeit gegen seinen Kritiker aufzubringen.
Es beginnt eine mediale Auseinandersetzung, in der der Unbekannte selbst zum Prominenten wird. Dabei provoziert er eine Reaktion der Öffentlichkeit, die verheerende Folgen hat, für ihn, seinen Kontrahenten und das ganze Land…

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Stefan Nym

Prominent

Roman

Prominent

Stefan Nym

Copyright: © 2015 Stefan Nym

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-2768-2

Tag 1: Freitag

„Das ist doch ‘ne ganz alberne Show.“

Ich versuche trotz aller Nervosität zu lächeln. Und das Lächeln fällt schwer. Sehr schwer.

„Erst zieht dieser Herr Berghaim etliche zig Millionen an der deutschen Steuer vorbei ins Ausland, um dann mit ‘ner Fünf-Millionen-Spende zum Volkshelden zu werden.“

Noch einmal tief durchatmen. Es ist schon erstaunlich wie nervös einen so eine Kamera macht. Ich will aber so ruhig wie möglich wirken. Um jeden Preis.

„Der Mann verdient jährlich vierzig oder fünfzig Millionen Euro. Den Löwenanteil davon durch Werbeverträge, also auf unsere Kosten. Damit lebt der doch von dem, was andere Leute erarbeiten. Er selbst schafft nichts, außer immer nur im Kreis zu fahren. Das ist in meinen Augen nicht sonderlich produktiv.“

Um mich herum wird es ruhiger. Und auch ich beruhigte mich langsam. Das ganze Interview kam ziemlich überfallartig. Aber zu diesem Thema hatte ich eigentlich schon immer einen eigenen, festen Standpunkt und kann daher, ohne lange nachzudenken, fortfahren.

„Dieses horrende, steuerfreie Einkommen bezahlt der Verbraucher, wenn er tankt, wenn er Kaffee kauft oder für sonst irgendetwas Geld ausgibt, wofür Herr Berghaim Werbung macht. Und Herr Berghaim nimmt die ganze Kohle mit nach Monaco, in die Schweiz oder sonst wo hin. Unsere Staatskasse geht leer aus. Eine Staatskasse, die normalerweise die Versorgung hilfsbedürftiger Kinder übernehmen sollte, dank Leuten wie Herrn Berghaim dies aber nicht leisten kann.“

Die hübsche junge Frau, die mich so abrupt vor die Kamera gezogen hatte, steht nun regungslos vor mir. Ich empfinde das als Bestätigung. Und es gibt mir genug Selbstvertrauen, um weiter zu machen.

„Vielen Leuten hier geht es schlecht. Dem Staat geht es so schlecht, dass er seinen Aufgaben nicht nachkommen kann. Herr Berghaim aber verdient mehr Geld als er jemals ausgeben könnte. Und das auf Kosten der Anderen. Und indem er dem Staat Geld vorenthält.

Gleichzeitig bewundern ihn die Menschen noch. Genau die Menschen, die er so mühelos über den Tisch zieht, halten ihn auch noch für einen Helden. Wie funktioniert das? Ich versteh das nicht.“

Die kurze Pause kommt jetzt wie von selbst.

„Eine kleine Fünf-Millionen-Euro-Spende.“

Wie eingeübt fange ich an mit dem Daumen meiner rechten Hand abzuzählen und mache mit dem Zeigefinger weiter.

„Dazu ein paar warme Worte in die Kameras.“

Nun den dritten Finger.

„Und hinter den Kameras und Mikrofonen eine Horde Journalisten, die das Ganze als Heldentat verkaufen. Entweder weil sie selbst darauf reinfallen, oder weil sie mit dem ganzen Schwindel selbst noch ein paar Euro verdienen wollen.“

Ich strecke die Hand mit den drei Fingern ein wenig in Richtung Kamera.

„Ich verstehe nicht, wie augenscheinlich ein ganzes Volk permanent auf die Berghaims dieser Welt hereinfallen kann. Wie kann man Menschen nur dafür bewundern, dass sie einen ausnehmen?“

Auf den Kameramann wirkt das anschließende Kopfschütteln offensichtlich. Jedenfalls wirkt er ein wenig beeindruckt. Längst schaute er nicht mehr auf den Kontrollmonitor der Kamera, sondern an ihr vorbei.

Es dauert einen Augenblick, bis sich die junge Reporterin bei mir bedankt. Ich bemerke diese Verzögerung zuerst nicht, aber sie geht nicht so plötzlich zu dem nächsten, willkürlich ausgewählten Interviewpartner über, wie sie es zuvor bei mir getan hatte. Ich versuche einfach nur zu lächeln und als das rote Licht an der Kamera ausgeht, merke ich, dass es vorbei ist. Ich brauche nicht mehr zu lächeln. Aber was soll ich sonst machen.

Die Reporterin ist bereits aus meinem Blickfeld verschwunden, als, wie aus dem Nichts, eine andere, eher unscheinbare Frau auftaucht.

„Nicht schlecht“, meint sie anerkennend. Ich nehme sie kaum wahr, bis sie mir ihre Hand entgegenstreckt und hinzufügt:

„Ich heiße Susanne Häusler und bin hier die verantwortliche Redakteurin.“

„Freut mich“, bringe ich gerade so eben heraus. Die Aufregung legt sich, aber das führt bei mir eher zu einem massiven Absinken der Reaktionsfähigkeit.

„Verraten Sie mir noch Ihren Namen?“

Die Redakteurin hält Klemmbrett und Stift bereit.

„Wofür brauchen Sie den denn?“

„Nur Routine, okay?“

Normalerweise hätte ich eine solche Antwort nicht gelten lassen, aber da die Dame mir gleichzeitig ihre Karte reicht und meine Reaktionsfähigkeit immer noch im Keller ist, nenne ich bereitwillig meinen Namen, meine Anschrift und auch noch meine Telefonnummer. Hinter mir höre ich die Stimme der jungen Reporterin, die schon wieder versucht einen Passanten für ein spontanes Statement zu gewinnen:

„… Sie haben sicher von der noblen Spende des Rennfahrers Uwe Berghaim gehört. Er hat der Hilfsorganisation ‚Kinder - Unsere Zukunft’ sagenhafte fünf Millionen Euro gespendet und damit die gesamte Organisation vor dem Bankrott bewahrt…“

Offensichtlich hat meine Meinungsäußerung nicht so viel bewirkt, wie ich mir eingebildet hatte. Wahrscheinlich wird sie überhaupt nicht gesendet. Ein Blick zur Uhr holt mich wieder in den Alltag zurück. Verdammt, schon halb zwei. Eigentlich hätte ich in der Mittagspause nicht in die Stadt fahren sollen. In der Firma habe ich viel zu viel Arbeit liegen gelassen. Wenn morgen nicht der Geburtstag meiner Frau wäre, hätte ich den Ausflug in die Innenstadt auch gelassen. Und nun hatte ich auch noch meine Zeit mit diesen albernen Fernsehleuten vertrödelt.

Immerhin hatte der Juwelier die Uhr vorhin fertig gehabt. Hoffentlich gefällt sie Ulrike. Mit der Gravur kann ich sie ja nicht einmal mehr umtauschen. Egal, jetzt hatte ich die Uhr in der Tasche. Fix und fertig als Geschenk verpackt. Nun konnte ich mich wieder auf die Arbeit konzentrieren. Ich mache mir sowieso immer zu viele Gedanken um alles. Und zu wenig Zeit habe ich auch permanent. Warum hatte ich nur bei diesem Interview mitgemacht? Kein Mensch wird sich für meine Meinung interessieren. Aber wenigstens habe ich endlich einmal gesagt, was mich immer ärgert. Und das in aller Öffentlichkeit. Und, theoretisch besteht sogar die Möglichkeit, dass es gesendet wird. Zumindest theoretisch.

„Hey, hier bin ich.“

Immer die gleiche Begrüßung, wenn ich vom Büro aus zu Hause anrufe.

„Hey“, antwortet Ulrike und klingt dabei etwas genervt. Entweder spielen die Kinder verrückt oder die Vorbereitungen für ihre Geburtstagsfeier sind noch nicht so weit, wie sie sein sollten. Wahrscheinlich beides.

„Ich mach’ jetzt Feierabend“, versuche ich ihre Laune zu verbessern.

„Jetzt schon?“

„Ja“, antworte ich voller Überzeugung.

„Na ja, ist ja auch erst halb acht.“

Jetzt fällt auch mir die Ironie in Ulrikes Worten auf. Sicherlich hatte sie gehofft, dass ich früher nach Hause komme, um ihr bei den Geburtstagsvorbereitungen zu helfen.

„Ich beeile mich, okay?“, versuche ich sie sanfter zu stimmen und frage:

„Sind die Kinder schon im Bett?“

„Ich lasse sie noch etwas auf bleiben, dann kannst du noch gute Nacht sagen.“

Sie seufzt. Sie weiß genau, wie gern ich die Kinder ins Bett bringe. Am liebsten würde ich das jeden Tag tun. Meistens komme ich aber zu spät.

„Danke Schatz. Ich beeile mich.“

Ich freute mich nicht nur darauf, die Kinder ins Bett bringen zu können. Ich würde auch gern noch Ulrike unter die Arme greifen. Morgen kommen zehn Personen zum Essen. Sie muss alles alleine machen. Wahrscheinlich schrubbt sie auch noch das ganze Haus. Von oben bis unten. Und ich? Ich schaffte es nicht mal an einem Freitag so früh zu Hause zu sein, dass ich meiner Frau am Abend vor ihrem Geburtstag ein wenig helfen kann.

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