„Ich musste doch heute noch etwas abholen.“
Ich reiche ihr das Schächtelchen und setze mich zu ihr.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!“
Sie weiß nicht was drin ist. Das ist sicher. Gespannt reißt sie die Schleife auf, öffnet die Schachtel und strahlt, als sie die Uhr erblickt. Da strahle ich auch. Sie nimmt die Uhr heraus, schaut sie sich an und entdeckt die Gravur. ‚In Liebe, Sven’. Nicht sehr einfallsreich. Fast schon ein bisschen kitschig. Aber Ulrike fällt mir um den Hals. Ich glaube die Uhr gefällt ihr. Arm in Arm gehen wir nach oben. Schön, dass sie vorher ein wenig sauer war. Jetzt können wir uns versöhnen.
Tag 2: Samstag
Ein fröhliches ‚Happy Birthday to You’ holt mich aus meinen Träumen. Mein Wecker zeigt sechs Uhr siebenunddreißig. Die Kinder sind offensichtlich ins Schlafzimmer geschlichen, um ihre Mutter zu überraschen. Ich muss lächeln. Auch wenn ich sehr müde bin, freue ich mich darüber, wie eifrig die Kinder sich bemühen, ihrer Mutter eine Freude zu machen. Auch wenn sie jetzt etwas unbeholfen dastehen und aufgeregt ihre Geschenke übergeben.
Wochenlang hatten sich die beiden auf diesen Moment vorbereitet. Sie waren gemeinsam in den Ort gefahren, um alles für die Geburtstagsgeschenke auszusuchen und hatten sich stundenlang in ihren Zimmern eingeschlossen, um ungestört gemeinsam basteln zu können. Zum ersten Mal hatte ich mich im Vorfeld nicht eingemischt. Die treibende Kraft war dieses Jahr allein Sahra. Sie hatte alles organisiert und vorangetrieben. Wie immer zog Florian mit und folgte seiner Schwester mit Begeisterung. Nun stehen sie da, mit ihren Päckchen in den kleinen Händchen.
Florian kommt als erster an die Reihe. Mit Küsschen, ‚Herzlichen Glückwunsch!’ und anschließender Umarmung übergibt er seiner gerührten Mutter das kleine, hübsch eingepackte Päckchen mit den vielen Schleifen. Beim Auspacken kommt ein kleines Wolltierchen zum Vorschein. Im Kindergarten hatten sie schon so etwas gebastelt und Ulrike hatte es so niedlich gefunden. Jetzt bekommt sie eines in ihrer Lieblingsfarbe und strahlt.
„Danke.“
Dann folgt Sahra. Dieselbe Prozedur, vom Küsschen bis zur Umarmung. Auch das zweite, genau so schön verpackte Paket wird sofort von der leicht verklärt strahlenden Mama geöffnet. Sahra hat ihr ein Bild gemalt. Ein Herz auf einer richtigen Leinwand auf einem richtigen Keilrahmen. Viele Farben, schöne Strukturen. Das ist richtig schön geworden. Damit stellt sie ja sogar mein Geschenk in den Schatten. Bei dem Gedanken muss ich amüsiert lächeln.
„Danke, meine Süße.“
Hat sie tatsächlich feuchte Augen? Na ja, ein bisschen stolz bin ich ja auch. Insbesondere deshalb, weil sie das ganz allein hinbekommen haben.
„Und wo ist dein Geschenk, Papa?“
Florian fängt mit seiner Aufregung genau da an, wo er gestern aufgehört hat. Ulrike erklärt ihm, dass sie das schon vor dem Schlafengehen bekommen hat und dass wir in ihren Geburtstag ‘rein gefeiert haben. Als sie den Kindern die Uhr mit der Gravur zeigt, sind sie dann auch zufrieden.
Ulrike steht als Erste auf und macht das Frühstück. Sie steht immer als Erste auf. Meistens hole ich die Brötchen, während sie das Frühstück zubereitet. So läuft es auch heute. Eigentlich wollte ich ja selbst das Frühstück machen, heute, an ihrem Geburtstag. Ich bin morgens eben nicht gerade der Schnellste.
Schon auf dem Weg zum Bäcker bereite ich mich gedanklich auf den Rest des Tages vor. Die komplette Familie kommt zu Besuch. Den ganzen Nachmittag. Nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung. Einzeln mag ich sie ja alle sehr gern. Ich mag sie auch sonst. Aber wenn alle gleichzeitig zusammentreffen…
Da kann ich mir auch etwas Schöneres vorstellen. Zum Glück ist morgen Sonntag. Wenigstens noch ein freier Tag zum Genießen.
Ulrikes Mutter ist bestimmt die Erste. Sie ist immer die Erste. Ich glaube, sie will immer noch ein paar Minuten mit den Kindern haben, bevor die anderen kommen. Eigentlich will sie sowieso gern viel mehr Zeit mit uns verbringen, das heißt, mit den Kindern. Seit ihr Mann vor fünf Jahren verstorben ist, ist sie halt ein wenig einsam. Sagt jedenfalls Ulrike. Ich denke dann immer, dass es doch vor seinem Tod auch nicht anders war, aber das sage ich natürlich nicht. Was soll’s auch. Außerdem ist sie doch inzwischen wieder eine richtig zufriedene und vergnügte Frau. Auf mich wirkt sie jedenfalls so.
Als nächstes kommen meine Eltern. Ich mag meine Eltern. Ich liebe sie sehr. Aber, in diesen Familientreffen mit den Bräuers fügen sie sich nach meinem Empfinden zu gut ein. Es läuft immer gleich ab: Alle sitzen zusammen. Alle reden. Alle gleichzeitig. Und ich mittendrin.
Die einzige Ausnahme ist Stephanie, Ulrikes Schwester. Sie ist Single. Was ich überhaupt nicht verstehe. Sie ist sehr sympathisch, attraktiv und vor allem angenehm zurückhaltend. Die ersten beiden Eigenschaften würde ich Stephanie nicht in Ulrikes Gegenwart zusprechen, das mag sie nicht so. Schließlich kannte ich Stephanie zuerst. Das brachte früher schon ab und zu mal Spannungen mit sich. Aber dass ich Stephanie wegen ihrer Zurückhaltung sehr schätze, weiß Ulrike und amüsiert sich gelegentlich darüber. Stephanie erscheint kurz nach meinen Eltern, aber keiner bemerkt es so richtig.
Der Kaffeetisch ist längst gedeckt. Alle setzen sich und Ulrike und ich servieren Kaffee und Kuchen. Alle bedienen sich. Alle reden.
Als Letzter kommt dann Thomas, Ulrikes Bruder, zusammen mit seiner Frau Monika und den beiden Kindern, Kim und Jan. Die Kinder freuen sich immer aufeinander und ziehen sich auch heute gleich zurück in Florians Zimmer. Ulrike hat ihnen dort einen eigenen Tisch gedeckt, den Katzen-Tisch.
„Hallo, du Fernsehstar“, begrüßt mich Monika.
Sie hat mich also gesehen.
„Wir haben dich gestern zufällig gesehen.“
Ulrikes Bruder hat es also auch gesehen.
Nach dem allgemeinen ‚Hallo’ sind nun alle Plätze am Kaffeetisch besetzt. Wieso muss ich eigentlich zwischen Ulrikes Bruder und ihrer Mutter sitzen? Von der anderen Seite des Tisches lächelt mir Stephanie zu. Weiß sie was ich denke? Bei ihr bin ich mir da nie so sicher. Ich lächle zurück. Obgleich alle außer uns beiden zu reden scheinen, glaube ich einen Moment lang, dass wir die beiden Einzigen sind, die sich wirklich verstehen. Verlegen schaue ich auf meinen Teller. Dann rüber zu Ulrike. Sie unterhält sich angeregt mit ihrer Mutter. Sie sitzt zwischen unseren beiden Müttern und scheint sich da auch sehr wohl zu fühlen.
Thomas stößt mich von der Seite an. Damit stellt er sicher, dass ich mich in jedem Fall zu ihm umdrehe. Irgendwie sträuben sich bei mir in solchen Momenten immer meine Nackenhaare. Es ist irgendwie unangenehm aufdringlich.
„Sag mal, was war das denn gestern? Da hast du ja ganz schön auf den Putz gehauen. Ein Wunder, dass die so etwas überhaupt senden. Das kann doch nicht dein Ernst sein. Hast du denn überhaupt keinen Respekt vor dem Mann? Uwe Berghaim. Achtmal Formel-1-Weltmeister. Der Mann hat so viel geleistet. Er hat aus Deutschland wieder eine Größe in der Formel-1 gemacht.“
Er redet sich richtig in Rage.
„Und jetzt noch diese Spende. Fünf Millionen Euro. Für die Kinder hier im Land. Für die Zukunft Deutschlands.“
Er hat nichts von dem verstanden, was ich in dem Interview gesagt habe.
„Und du kommst daher und kritisierst den Mann. Was denkst du dir eigentlich dabei?“
Ohne Punkt und Komma redet er drauf los. Stellt eine Frage nach der anderen, ohne auch nur eine Antwort abzuwarten. Thomas kommt so richtig in Fahrt und wird sogar etwas laut. Jetzt hören alle am Tisch zu.
„Als ob du mehr leistest.“
Soll ich drauf eingehen? Na gut, er will es so.
„Es geht doch nicht darum, was ich geleistet habe. Ich bin nach meiner Meinung gefragt worden und die habe ich geäußert.“
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