Jetzt auch noch eine echte, selbsternannte Expertin in der Sache. Das hört ja gar nicht wieder auf. Na ja, jeder denkt da anders drüber. Oder denke nur ich anders darüber. Zum Glück habe ich nichts zu sagen. Und meine Kommentare werden ganz sicher nicht gesendet.
„… ich bin froh und stolz, dass es so etwas noch gibt.“
Ich fürchte, ich bin wirklich der einzige, der das Thema etwas differenzierter sieht. Doch dann legt ein älterer Herr mit Hut kurz angebunden klar:
„Der hat’s doch. Warum wird darum denn jetzt so eine Welle gemacht?“
Dann dreht er sich um und geht aus dem Bild. Na wenigstens einer. Auch wenn er etwas älter ist und vielleicht auch ein klein wenig verschroben wirkt, den muss man doch auch ernst nehmen.
„Das ist doch ‘ne ganz alberne Show…“
Oh nein, jetzt komme ich doch noch. In voller Größe. Auf dem Bildschirm in meinem eigen Wohnzimmer.
„…erst zieht dieser Herr Berghaim etliche zig Millionen an der deutschen Steuer vorbei ins Ausland, um dann mit ‘ner Fünf-Millionen-Spende zum Volkshelden zu werden.“
Vorsichtig blicke ich zu Ulrike rüber, die mit geöffnetem Mund zum Fernseher schaut.
„…verdient jährlich 40 oder 50 Millionen Euro. Den Löwenanteil davon durch Werbeverträge, also auf unsere Kosten. Damit lebt der doch von dem, was andere Leute erarbeiten. Er selbst schafft nichts, außer immer nur im Kreis zu fahren.“
Jetzt schaut Ulrike fragend zu mir rüber. Traut sich aber nicht, etwas zu sagen. Sicherlich hat sie Angst auch nur einen Augenblick zu verpassen.
„… dieses horrende, steuerfreie Einkommen bezahlt der Verbraucher, wenn er tankt, wenn er Kaffee kauft oder für sonst irgendetwas Geld ausgibt, wofür Herr Berghaim Werbung macht. Und Herr Berghaim nimmt die ganze Kohle mit nach Monaco, in die Schweiz oder sonst wo hin. Unsere Staatskasse geht leer aus. Eine Staatskasse, die normalerweise die Versorgung hilfsbedürftiger Kinder übernehmen sollte, dank Leuten wie Herrn Berghaim dies aber nicht leisten kann...“
Oh, oh. Das ist jetzt aber wirklich etwas dick aufgetragen.
„…Herr Berghaim aber verdient mehr Geld als er jemals ausgeben könnte. Und das auf Kosten der Anderen…“
Da fehlt doch was.
Haben die da etwas herausgeschnitten?
„… und indem er dem Staat Geld vorenthält.
Gleichzeitig bewundern ihn die Menschen noch. Genau die Menschen, die er so mühelos über den Tisch zieht, halten ihn auch noch für einen Helden. Wie funktioniert das? Ich versteh das nicht…“
Wow, jetzt komm ich aber doch ganz gut rüber.
„… eine kleine Fünf-Millionen-Euro-Spende…“
Ich sehe auch gar nicht mal schlecht aus. Seriös. Zum Glück habe ich zum Einkaufen die Krawatte umbehalten.
„…dazu ein paar warme Worte in die Kameras.“
Das Abzählen mit den Fingern macht sich auch nicht schlecht. Fast wie ein TV-Profi.
„… und hinter den Kameras und Mikrofonen eine Horde Journalisten, die das Ganze als Heldentat verkaufen. Entweder weil sie selbst darauf reinfallen, oder weil sie darauf hoffen, mit dem ganzen Schwindel selbst noch ein paar Euro zu verdienen.“
Na, da werde ich doch etwas angriffslustig.
„.. ich verstehe nicht, wie augenscheinlich ein ganzes Volk permanent auf die Berghaims dieser Welt hereinfallen kann. Wie kann man Menschen nur dafür bewundern, dass sie einen ausnehmen?“
Das Kopfschütteln wirkt authentisch. Aber wie konnte ich nur das ganze Volk angreifen. Was habe ich mir nur dabei gedacht.
Ulrike schaut mich auch schon so komisch an.
Zum Glück erscheint jetzt wieder Frau Niemann. Wer hätte gedacht, dass ich mich einmal freue, die auf der Mattscheibe zu sehen.
„Na ja, das sieht dann wohl jeder etwas anders…“
Ach so, die haben das nur gesendet, um etwas zu meckern zu haben. Dann wirkt das ganze Magazin differenzierter. Und seriöser. Am Ende dient dann auch ein kritischer Beitrag dem Mainstream: Der Huldigung unserer Prominenz.
„… und vielleicht hat ja auch jeder für sich, mit seiner Meinung irgendwo recht...“
Huch, hab’ ich die doch unterschätzt?
Plop.
Der Fernseher wird schwarz.
Ich sehe zu Ulrike hinüber, die die Hand noch immer auf der Fernbedienung hat. Sie schaut mich fragend an.
„Was war das denn?“
Sie lächelt. Gott sei dank, sie lächelt. Wenigstens ein bisschen. Oder doch nicht. Was soll ich denn jetzt antworten? Lächelt sie oder nicht?
„Was denn?“
Was für eine einfältige Antwort. Manchmal wirke ich ganz schön dämlich. Ulrike äfft mich auch sofort nach:
„Was denn?“
Also, auch wenn sie vorher gelächelt hat, jetzt tut sie es nicht mehr. Ich versuche das durch mein Lächeln auszugleichen. Haut nicht hin.
„Wann hast du das denn gesagt?“
„Heute Nachmittag. In Hamburg. Da neben dieser Buchhandlung. Die haben mich quasi überfallen. Noch ehe ich wusste, was ich da tat, war das ganze Interview auch schon aufgezeichnet.“
Jetzt lächelt sie wieder. Wenigstens ein bisschen.
„Na lange musstest du ja auch nicht überlegen. Da konntest du ja endlich mal so richtig über die Prominenten dieser Welt herziehen.“
Nun lächelt sie wirklich. Sie meint, das Ganze hätte mir auch noch Spaß gebracht. Wahrscheinlich hat sie Recht.
Sie verlangt, dass ich ihr alles erzähle. Vom ersten Ansprechen bis zum Nachgespräch mit der Redakteurin. Am Schluss erzähle ich auch noch, dass ich der Dame meine persönlichen Daten gegeben habe.
„Na hoffentlich kommt da nicht noch was nach.“
Jetzt wird sie spöttisch. Eigentlich bin ich es, der immer so vorsichtig ist mit unseren Daten. Meistens ermahne ich auch Ulrike, vorsichtig zu sein. Wenn sie dann doch irgendwo persönliche Daten von uns herausgibt, sage ich oft so Sätze wie, ‚Na hoffentlich kommt da nicht noch was nach.’
Natürlich will Ulrike auch das diskutieren, was ich gesagt habe. Sie meint, ich hätte mich da ganz schön reingesteigert. Zum Teil auch etwas dick aufgetragen. Wann mir das denn eingefallen sei, fragt sie. Wie ich denn darauf käme, eine solche Spende so negativ zu sehen. Dass ich grundsätzlich etwas gegen alle Prominenten hätte, egal ob Sport, Film oder Show, wusste sie ja, aber dass ich mich hinreißen ließ, eine eigentlich gute Sache so negativ zu sehen und so anzugreifen, das kann sie nicht verstehen. Ich versuche es zu erklären.
Ich verstehe nicht, dass jemand zweistellige Millionenbeträge im Jahr damit verdient, dass er im Kreis fährt, eineinhalb Stunden einem Ball hinterherläuft oder einfach nur zwei Stunden lang eine Unterhaltungssendung moderiert. Ich versuche zu erklären, dass diese Leute nicht wirklich etwas schaffen, also eigentlich nur von dem leben, was andere schaffen. Und sie leben nicht schlecht. Aber vor allem auf meine Kosten. Ich rede und rede.
Inzwischen ist es fast zwölf. Ich könnte stundenlang weiter diskutieren. Dabei weiß ich nicht, ob Ulrike mich versteht. Aber immerhin akzeptiert sie meine Meinung. Offensichtlich hat sie aber so langsam sowieso genug. Ein vorsichtiger Versuch von ihr, das Thema zu wechseln:
„Was hattest du eigentlich heute in der Stadt zu suchen?“
Ich zögere.
„Ich musste noch was besorgen.“
„Ah, der Herr war also noch shoppen. Ich hatte eigentlich gehofft, du kämst etwas früher nach Hause und hilfst mir bei den Vorbereitungen für morgen.“
Verdammt, jetzt wird sie doch noch sauer. Unbemerkt blicke ich auf die Uhr. Fünf nach zwölf. Meine Rettung.
„Moment, mein Schatz.“
Ich springe auf.
„Ich kann dir das erklären.“
Mit beiden Zeigefingern zeige ich auf sie und versuche mein überzeugendstes Lächeln.
„Du musst nur einfach hier sitzen bleiben.“
Sie schaut mich erstaunt an, bleibt aber sitzen. Ich eile hinaus zu meinem Aktenkoffer und hole die Uhr heraus. Als ich wieder ins Wohnzimmer komme lächelt Ulrike bereits.
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