Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing begründete Schmidt 1975 regelmäßige Treffen der wichtigsten Wirtschaftsnationen. Diese „Weltwirtschaftsgipfel“ gibt es bis heute. Gemeinsam initiierten beide Staatsmänner auch die Einführung des Europäischen Währungssystems, aus dem die Rechnungseinheit ECU hervorging. Es war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Euro.
Zu Schmidts schwersten Prüfungen gehörte der Terrorismus der RAF. Die Regierung reagierte mit einer Aufrüstung der Polizei, einem Ausbau der Überwachungsapparate und einem Abbau von Grundrechten. Die Situation eskalierte, als RAF-Mitglieder im September 1977 den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführten. Im Gegenzug für dessen Freilassung forderten sie die Freilassung von Andreas Baader und elf weiteren RAF-Mitgliedern. Doch Schmidt blieb hart: „Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht erpressbar.“
Arabische Terroristen entführten daraufhin am 13. Oktober 1977 die Lufthansa-Maschine „Landshut“, um die RAF zu unterstützen. Nach mehreren Stationen landete sie in Mogadischu in Somalia. Die Bundesregierung setzte die Spezialeinheit GSG 9 ein. Alle Geiseln konnten bei einem spektakulären Einsatz auf dem Flughafen von Mogadischu befreit werden. Für Schleyer, der trotz größter Anstrengungen nicht zu finden war, bedeutete dies das Todesurteil. Die RAF-Terroristen ermordeten ihn.
Schmidt zeigte sich erschüttert über den Tod Schleyers und übernahm die politische Verantwortung. „Zu dieser Verantwortung“, so sagte er im Bundestag, „stehen wir auch in Zukunft. Gott helfe uns.“ Gesenkten Hauptes kondolierte der Kanzler der Witwe Waltrude Schleyer bei der Trauerfeier in Stuttgart. Erst viele Jahre später machte die Familie ihren Frieden mit Schmidt, der schuldlos schuldig geworden war. 2013 erhielt der SPD-Politiker den Preis der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung – in Anerkennung seiner Verdienste um die „Festigung und Förderung des freiheitlichen Gemeinwesens“.
Standfestigkeit bewies Schmidt auch im Streit um die Nato-Nachrüstung. In den Jahren 1976/77 begann die Sowjetunion, mit Atomsprengköpfen versehene Mittelstreckenwaffen des Typs SS 20 zu stationieren, die auf Westeuropa gerichtet waren. Die Nato reagierte mit dem „Doppelbeschluss“. Dieser sah die Stationierung eigener atomarer Mittelstreckenraketen – überwiegend in der Bundesrepublik – vor, wenn Verhandlungen mit der Sowjetunion ergebnislos verlaufen würden. Die geplante Aufrüstung spaltete das Land. Eine breite Friedensbewegung entstand. Doch Schmidt verteidigte die Nachrüstung als unverzichtbar und verband sein politisches Schicksal damit. Erst 1987 einigten sich die USA und die Sowjetunion auf Abrüstung der Atom-Arsenale.
Die Kontroverse um den Kurs der NATO und tiefe Meinungsverschiedenheiten über den richtigen Weg aus der Wirtschaftskrise trieben sowohl den linken und den rechten Flügel der SPD als auch die Sozialdemokraten und ihren Koalitionspartner FDP immer weiter auseinander. Die sozialliberale Regierung versuchte es mit einer Reihe von Konjunkturpaketen. Doch Ölpreisschock und Weltwirtschaftskrise hinterließen auch in der Bundesrepublik ihre Spuren: Die Arbeitslosigkeit übersprang im Lauf des Jahres 1982 die Marke von zwei Millionen. Die FDP ging schließlich auf Distanz zur SPD und zog am 17. September ihre vier Minister aus der Regierung zurück. Am 1. Oktober folgte ein von der Opposition beantragtes konstruktives Misstrauensvotum. Schmidt verlor, neuer Bundeskanzler wurde Helmut Kohl.
Schmidts große Zeit in der Politik war damit unwiderruflich vorbei, auch wenn er dem Bundestag noch bis 1986 angehörte. Doch still wurde es um ihn nie. Er blieb aktiv als Mitherausgeber und Geschäftsführer der „Zeit“, als Redner, Ratgeber und geschätzter Interview-Partner. Und streitbar, wie er war, eckte er immer wieder an: so etwa mit seiner umstrittenen Haltung zu China. Beim Volksaufstand 1989 habe sich das Militär auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking nur gewehrt, relativierte der Ex-Kanzler das Massaker. Die geschätzte Zahl von 2.600 Toten nannte er übertrieben.
Der Anerkennung des Sozialdemokraten weit über alle Parteigrenzen hinaus taten solche Einlassungen keinen Abbruch. So schrieb Wolfgang Schäuble (CDU) 2008 anlässlich des 90. Geburtstages: „Schmidts Nüchternheit war angemessen in einem Land, das sich von den Verlockungen einer mörderischen Ideologie hatte begeistern und in den Abgrund führen lassen. […]. Dabei ist er alles andere als prinzipienlos, ringt um die ethische Fundierung seiner Entscheidungen, wobei ihm gute Absichten nie genügt haben. [...] Ein verantwortungsvoller Politiker muss für ihn vor allem für die Folgen seines Handelns einstehen. Schmidt ist einer Verantwortungs-, nicht einer Gesinnungsethik verpflichtet.“
Hochgelobt: Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt am 13. März 2013 in Berlin bei einem Empfang des Bundespräsidenten anlässlich seines 95. Geburtstages. (dpa)
1. Schmidts Weg in die Bundespolitik – von Hamburg nach Bonn
Noch in zweiter Reihe: Helmut Schmidt, damals Innensenator in Hamburg, im Gespräch mit SPD-Chef Willy Brandt am 25.09.1965 in Bad Godesberg. (picture alliance / dpa)
Hamburger Sturmflut, Wirtschaftskrise und RAF-Terror – in schwierigen Zeiten verschaffte sich Helmut Schmidt im In- und Ausland als Krisenmanager hohes Ansehen. Für viele ist der Sozialdemokrat bis heute Inbegriff des Staatsmanns mit Weitblick, dessen Wort auch nach seiner Zeit als Politiker Gewicht hatte. Der gebürtige Barmbeker hatte sich in seiner Heimatstadt Hamburg bewährt, bevor er sein politisches Können auch in der Bundespolitik unter Beweis stellen konnte.
Die wichtigsten Lebensstationen
Hamburger Leichtmatrosen: Helmut Schmidt (r) im Jahr 1928 mit Klassenkameraden. (picture alliance / dpa)
Berlin/Hamburg (dpa)- Helmut Schmidt entwickelte sich schon früh zu einem politischen Allroundtalent. Die wichtigsten Lebensstationen des SPD-Politikers und fünften Bundeskanzlers:
1918: Am 23. Dezember wird Helmut Heinrich Schmidt in Hamburg-Barmbek geboren.
1939-1945: Soldat im Zweiten Weltkrieg.
1942: Heirat mit seiner früheren Klassenkameradin Loki Glaser.
1946: Eintritt in die SPD.
1962: Als Innensenator in Hamburg macht sich Schmidt einen Namen bei der Flutkatastrophe.
1967-1969: Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.
1969-1972: Verteidigungsminister im ersten Kabinett von Willy Brandt.
1972: Finanzminister im zweiten Kabinett Brandt.
1974: Wahl zum Bundeskanzler am 16. Mai.
1977: Die RAF nimmt Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer als Geisel, im Oktober wird die Lufthansa-Maschine „Landshut“ entführt. Schmidt gibt den Forderungen der Terroristen nicht nach, Schleyer wird ermordet.
1982: Am 1. Oktober wird Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt. Neuer Kanzler wird Helmut Kohl (CDU).
1983: Schmidt wird Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“.
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