Bei dem Gedanken an seinen alten Lehrmeister durchfuhr den Zauberer ein Schauder. Seine Jugend im Kloster Quantam fiel ihm ein, die glückliche Zeit mit Aramar. Aber er verdrängte die Erinnerung rasch und konzentrierte sich auf den steinigen Weg.
Sie waren schon lange gewandert, befanden sich aber immer noch im Hochgebirge. Eines Tages, der Himmel glänzte freundlich, liefen sie durch ein enges Tal, das sich zwischen hohen Bergen hindurch zog. Auf seinem Grund war es düster, denn der Himmel war dort nur als schmales, blaues Band sichtbar. Plötzlich donnerte vor ihnen eine Steinlawine den Berghang herab und schnitt ihnen den Weg ab. Dann geschah das gleiche in ihrem Rücken.
Sofort ließ Gracchu sein Pferd los, das nervös tänzelte, und zog sein Schwert. Er war ein Krieger, den so leicht nichts in Furcht versetzen konnte. Doch als er sah, was da hinter ihnen und vor ihnen auf den Weg sprang und sich drohend aufbaute, erbleichte er. Zwei Bergtrolle nahmen sie in die Zange. Gegen sie hätten auch zwanzig Krieger keine Chance gehabt. Jeder war so groß wie zwei Menschen, die sich aufeinanderstellen. Die Trolle waren am ganzen Körper behaart und trugen in ihren mächtigen Pranken eine Keule. Damit würden sie das Schwert von Gracchu wegfegen wie einen lästigen Stock. Dann würden sie die beiden Wanderer erschlagen und das Pferd essen. Zuvor jedoch würden sie die Fremden nach Schätzen durchsuchen. Trolle waren habgierig und kannten kein Mitleid.
Dem Krieger war klar, dass er am Endpunkt seines Lebens angekommen war. Er hatte keine Angst vor dem Tod, dazu hatte er ihm zu oft in die Augen gesehen und ihn selbst ausgeteilt. Zwar wäre er gern auf andere Art gestorben, am besten im Kampf, umgeben von gefallenen Gegnern. Aber er hatte seine Verpflichtung gegenüber seinem Herrn nicht eingelöst und diesen seltsamen Willmar vor seinen Thron gebracht. Der Gedanke an sein Versagen beunruhigte ihn. Doch was sollte er tun? Es gab keine Rettung.
Der vordere Troll rülpste und schmatzte, so als freue er sich schon auf die kommende Mahlzeit. Seine Augen waren weit aufgerissen und ganz schwarz. Er tänzelte von einem Bein auf das andere, und sein mächtiges Glied schwang dabei hin und her. Verstohlen sah sich Gracchu um. Der Troll hinter ihnen war ein Weibchen. Unter dem langen Fell schimmerte eine rote Vulva. Die Trollin grinste und fletschte die Zähne. Langsam kamen die Unholde näher.
In diesem Augenblick streckte sich die gebückte Gestalt von Willmar, der bisher dem Schauspiel schweigend zugesehen hatte. Wie vor vielen Nächten schien der alte Mann zu wachsen. Sein Schatten breitete sich aus, und in dem Schatten verschwand alles wie in einem schwarzen Schlund. Seine Schultern hatten sich gestrafft, und den Kopf trug er nun sehr aufrecht. Seine Stimme war klar und durchdringend. Man konnte ihn bis an die beiden Enden des Tals und selbst noch oben auf den Berggipfeln hören, als er sprach: „Geht nach Hause. Wir sind keine Beute für euch. Wir haben in dieser Welt noch einiges zu erledigen und sind noch nicht bereit.“
Aber die Trolle hörten nicht auf den Mann, sondern rückten unaufhaltsam näher. Noch einmal sprach Willmar, und ein Schauer erfasste Gracchu, als er diese Stimme hörte, und er fürchtete sich vor seinem Begleiter mehr als vor den Trollen: „Ich befehle euch, kehrt um! Räumt die Steine beiseite und lasst uns in Frieden ziehen!“
Die beiden Ungeheuer stutzten, blieben kurz stehen und schoben sich dann doch vorwärts. Da dehnte sich der Schatten des Zauberers noch mehr aus, bis über dem ganzen Tal Dunkelheit lag. Er hob die Hand, und es schien, als schwebe sie über dem Tal. Dann senkte sich der Schatten der riesigen Hand langsam auf das Haupt des Trolls und drückte es nach unten. Die Bestie wand sich und schrie schmerzgequält auf. Aber die schattenhafte Hand ließ nicht nach. Sie drückte den Troll zu Boden und presste weiter, bis Blut aus ihm hervorbrach. Dann krachten die Knochen, und der Kopf platzte wie eine reife Frucht. Schließlich lag auf den Steinen eine verstümmelte Fleischmasse.
Die Trollin hatte dem Ende ihres Gefährten mit Entsetzen zugesehen. Sie schrie und weinte und drehte sich wie irre im Kreis. Dann wieder fletschte sie wütend die Zähne und ging auf die beiden Männer los. Doch nach ein paar Schritten bekam sie es mit der Angst zu tun, blieb stehen und wich zurück. Noch immer waren die Wanderer von dem Steinschlag gefangen. Sie konnten mit dem Pferd weder vor noch zurück.
In ruhigem Ton sagte Willmar zu der Trollfrau: „Schaff die Steine weg!“
Sie sah in groß an und konnte nicht verstehen, warum dieser Mann keine Angst vor ihr hatte. Willmar wiederholte gelassen seinen Befehl. Da kam Leben in die Trollin. Sie drückte sich in großem Bogen an den Männern vorbei, stieg vorsichtig über ihren verendeten Gefährten und begann, die Felsbrocken wegzuräumen. Bald war ein schmaler Durchgang frei. Gracchu ergriff mit zitternden Händen die Zügel seines Pferdes und zerrte das widerstrebende Tier an der mächtigen Trollfrau vorbei. Willmar folgte ihm langsam.
Danach schritten sie kräftig aus. Während sich der alte Mann nicht umsah, schaute der Krieger aus den Augenwinkeln zurück. Er konnte es noch immer nicht glauben, dass sie mit dem Leben davongekommen waren. Hinter ihnen stand die Trollin und sah ihren Opfern nach. Ihre Schultern hingen weit nach vorn, und das Fell war grau und zottig. Gracchu wusste nun, warum sein Herr diesen schmächtigen, alten Mann sehen wollte, und seine Ehrfurcht vor der Klugheit Ormors wäre noch größer geworden, wenn sie noch hätte wachsen können.

Ost- und Mittel- Centratur einschließlich Vespucciland
Der Kampf um Centratur
Süden
Im Süden ist die Schlacht um Hispoltai, der Hauptstadt von Equan, geschlagen. Obwohl sie weit überlegen waren, wurden die Heere des Zauberkönigs Ormor besiegt und in die Flucht geschlagen. Noch ist die Gefahr nicht gebannt, denn noch immer verfügt der Dunkle Herrscher über eine mächtige Streitmacht. Besonders in Darken sammelt sich ein großes Heer. Überall in Centratur tauchen glatzköpfige Gnome auf, die Vespucci. Sie wollen die Herrschaft über Centratur übernehmen und setzen dazu Intrigen, Verrat und Grausamkeit ein.
Die Vespucci sind mit Ormor verbündet, der nicht merkt, wie sehr sie seine Pläne bestimmen. Nur die Rutaner, die Nachbarn der Vespucci im Osten, können dieses seltsame Volk, das alles Natürliche hasst, in seine Schranken verweisen. Aber der König der Rutaner ist in einem Zauberbann gefangen. Mit dem Auftrag ihn zu befreien sind zwei Erits, Akandra und Marc, nach Osten unterwegs.
Der Zauberer Aramar, der die Verteidigung Hispoltais organisiert hatte, ist nun im Süden auf dem Weg ins Nachbarland Whyten. In dessen Hauptstadt Cantrel residiert der Hochkönig von Centratur. Aber Meliodas, der bisherige König, ist tot. Aramar will die näheren Umstände seines Todes erfahren. Auch erwartet er einen Angriff der Heere Ormors auf Cantrel und will die Witwe des Hochkönigs, Lunete, warnen. (Anm. des Übersetzers)
Whyten
Über Centratur lag der schwarze Mantel der Nacht. Unsichtbar zog sich ein dichtes Wolkenband vom Worameer bis zu den Rubur Höhen. Es verbarg den Mond und die Sterne. Still verharrten der Weiße und der Graue Wald. Im Thaurgebirge und in den Ilgaibergen lag noch Schnee. Die Bewohner der Dörfer in den oberen Tälern waren noch eingeschneit, aber sie hatten genügend Brennholz und Vorräte. Sie würden es noch eine Weile aushalten und in diesem Winter nicht mehr mit Hunger zu kämpfen haben. Die Flüsse führten zwar keine Eisschollen mehr mit sich aus den Bergen, aber sie waren auch noch nicht zum Frühjahrshochwasser angeschwollen. Ihre Furten waren passierbar. Der große Agangafluss wälzte seine grauen Fluten unermüdlich und unbeirrt vor sich hin. Ihn kümmerte es nicht, dass die Dörfer an seinem Ufer ausgestorben waren und sich nur noch selten ein Fischer auf das Wasser hinauswagte.
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