»Ich würde nie so reagieren«, sprach er leise, so als würde er Angst haben, ich traue ihm doch nicht.
»Das weiß ich. Ich weiß, Sie würden mir oder einer anderen Person, niemals leid zu fügen. Sie haben ein gutes Herz. Dennoch kann es gefährlich werden. Auf eine andere Art und Weise. Sie würden mich nicht bedrängen und ich würde nicht auf ›American Beauty‹ machen. Trotzdem können Sie Ihre Arbeit gefährden und mich würde man als Lolita abstempeln.«
»Was sagt deine Oma dazu?« Es beruhigte mich, wie er dies fragte. Weil sie ihm wichtig erschien. Weil es nicht nach Vergangenheit anfühlte, sondern so, als wären wir auf dem Sprung zu ihr.
»Ich soll auf mein Herz hören. Ja, das stimmt. Sonst hätte ich es Ihnen gar nicht erst gesagt. Aber es spricht zu viel dagegen.«
»Ich kann warten«, schlug er vor. Ich lächelte.
»Sie dürfen Ihr Leben nicht auf Eis legen.«
»Ich kann warten«, wiederholte er sich. Ich blickte zu Molly, die seelenruhig dalag und die Sonne genoss und blickte wieder Jacob an.
»Sie fragten mich gestern, warum ich ›die Gefühle anderer‹ gut einschätzen kann. Ich bin Ihnen noch eine Antwort schuldig.« Er schwieg. »Durch Toby habe ich gelernt, nicht nur meinen Augen trauen zu dürfen, sondern das große Ganze betrachte. Hinterfragen und beobachten. Irgendwas hat er bewirkt.«
Nein, eigentlich ist das nicht korrekt. Aber das sollte fürs Erste reichen. Wir saßen noch eine Weile da, bis das Telefon klingelte.
Als wir zu Hause waren und die Tür gerade aufschließen wollten, entdeckte ich ein Blatt Papier im Briefkasten. Ich zog es raus und Jacob schloss das Fach auf, was aber ansonsten leer war. Ich entfaltete den Zettel und zuckte zusammen.
»‹Er ist nicht der, für den du ihn hältst. Du musst tiefer graben, Maja. Irgendwann komme ich zu dir und dann wirst du feststellen, wen du liebst‹«, las ich laut.
»Wir sollten der Polizei den Brief zeigen«, schlug Jacob vor und ich war einverstanden. Er war am Computer verfasst. Aber vielleicht waren Fingerabdrücke drauf. Als wir in die Wohnung kamen, saß die Beamtin auf dem Sofa und schaute sich am Laptop etwas an.
»Ah, gut, da sind Sie ja.«
»Hallo. Das hier lag unten im Briefkasten«, sagte Herr Traum. Er reichte es ihr und sie studierte genau, was drauf stand, runzelte die Stirn und legte ihn in eine Folie. Auf dem Tisch lagen einige Utensilien. Ich überflog alles und wusste, was es war.
»Er war also in der Wohnung«, stellte ich nüchtern fest.
»Ja, und die waren in der Wohnung installiert.« Zwei Kameras und mehrere Mikrofone.
»Darf ich raten? Eine in meinem Zimmer und eine in der Dusche und die Mikros waren überall verstreut.« Sie sah mich an, als sei ich es selbst gewesen. »Darf ich Ihnen meine Theorie verraten?«
»Klar«, meinte sie leicht irritiert.
»Sie machen Ihre Arbeit sehr gut, nur hatte ich jetzt etwas Zeit, um darüber nachzudenken.«
Also erzählte ich ihr, was ich dachte. Sie machte sich Notizen. »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kann mich nicht in diesen Mann hineinversetzen. Aber er war bisher immer bedeckt. Zurückhaltend. Er hätte nachts ein Leichtes gehabt in mein Zimmer vorzudringen. Selbst gestern Nacht. Es wäre so einfach gewesen«, stammelte ich und fuhr mir nervös durch meine Haare.
»Was denken Sie, Maja?«, hakte die Frau nach.
»Das er mir nichts antun würde. Nicht körperlich.«
»Haben Sie jemanden in Verdacht?« Ich schüttelte den Kopf.
»Tut mir leid. Wenn ich es könnte, würde ich es Ihnen sofort mitteilen, aber ich bin absolut ratlos.«
»Was hat es mit der Nachricht auf sich?«
»Er hat uns belauscht«, schlussfolgerte ich und schaute zu Jacob, der stirnrunzelnd nickte. Er schien selbst nachzudenken.
»Haben Sie und Herr Traum eine Beziehung?«, fragte sie nicht mehr ganz so freundlich nach.
»Nein, haben wir nicht.«
»Sicher?«
»Ja. Ich würde nichts unternehmen, um ihn in Schwierigkeiten zu bringen.«
»Sie empfinden etwas für ihn«, sagte sie und notierte sich was. Sie schaute mich schließlich an und ich wusste, sie versuchte mehr in mir zu lesen, als ich sagte.
»Ja«, antwortete ich verschüchtert.
»Wir haben noch nicht die Aufnahmen«, sagte sie, als wäre das eine Art Drohung - wir sollten nichts Unanständiges machen und wenn doch, würden sie es erfahren. »Wir haben Ihre Leben etwas unter die Lupe genommen.« Sie meinte das von Jacob und mir. »Wir haben das mit diesem Jungen herausgefunden«, sagte sie an mich gewendet. Ich nickte. »Das war ein ähnlicher Fall, wie der hier.«
»Finden Sie?« Sie nickte. »Mmh.«
»Haben Sie jemanden verärgert?«
»Nicht, dass ich wüsste«, sprach ich ernst.
»Von Ihnen, Herr Traum, haben wir nur Gutes gehört. Sowohl von Ihren Kollegen, als auch von Ihren alten Lehrern. Sie haben nicht mal einen Strafzettel.«
»Macht mich das zu einem Verdächtigen?«
»Noch nicht.«
»Frau Frinobin, ich vertraue Herrn Traum.«
»Das sind meist die, die am Ende schuldig sind«, warnte sie mich eingehend, klaubte alle Unterlagen zusammen und pfiff ihre Kollegen herbei, damit auch sie alles zusammenräumten. Nachdem die Polizei verschwunden war, schloss Jacob die Tür ab.
»Das tut mir wirklich leid«, flüsterte ich, den Tränen nahe.
»Muss es nicht. Es wird sicherlich bald vorbei sein.« Molly jagte auf der Terrasse ein kleines Tierchen und bellte vor Freude.
»Ich hab was für Sie«, sagte ich, um von dieser eigenartigen Stimmung abzulenken, und holte etwas aus meiner Tasche. »Sie haben weder den Film noch die CD und beides ist toll«, sagte ich und reichte ihm eine DVD mit dem Bonus des Soundtracks. »‹Wenn Träume fliegen lernen‹«, las er vor.
»Wunderschön. Die CD ist nur instrumental, aber manchmal braucht man einfach nur Melodie.« Jacob fragte, ob wir den Film direkt sehen wollen, doch mir schwirrte der Kopf. Es war zu viel vorgefallen und es war nötig, sich über alles zu unterhalten. Also legte er die CD in den Player und wir setzten uns aufs Sofa.
»Wenn Sie es für besser halten, kann ich mich in ein Hotel zurückziehen«, platzte ich einfach heraus. Ich weiß, er fühlte sich unbehaglich - auch wenn er es nicht zu gab.
»Kommt gar nicht in Frage«, wehrte er ab.
»Sie haben nur Ärger, seitdem wir uns kennen.«
»Das wird vorübergehen und wir können Freunde sein.«
»Sie würden trotz allem mit mir befreundet sein wollen? Obwohl Sie mich kennen?« Fühlte er sich deshalb unbehaglich? Manchmal, und eigentlich nur in seiner Nähe, konnte ich seine Gefühle nicht so recht unterordnen. Aber ich glaube, - ähnlich wie bei Marie - ist es, weil ich nicht nachvollziehen konnte, wie man mich mögen kann. Er runzelte die Stirn und wirkte konzentriert, als würde er etwas lauschen, was nicht laut war.
»Maja, du glaubst wirklich, ich würde dich im Stich lassen?«
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