»Das könnt Ihr aber doch nicht behaupten«, entgegnete ihm Lezah, einer der Kaufleute. »Wenn er auch ein Räuber ist, so ist er doch ein edler Mann, und als solcher hat er sich an meinem Bruder bewiesen, wie ich Euch ein Beispiel erzählen könnte. Er hat seinen ganzen Stamm zu geordneten Menschen gemacht, und solange er die Wüste durchstreift, darf kein anderer Stamm es wagen, sich sehen zu lassen. Auch raubt er nicht wie andere, sondern er erhebt nur ein Schutzgeld von den Karawanen, und wer ihm dieses willig bezahlt, der ziehet ungefährdet weiter, denn Orbasan ist der Herr der Wüste.«
Also sprachen unter sich die Reisenden im Zelte; die Wachen aber, die um den Lagerplatz ausgestellt waren, begannen unruhig zu werden. Ein ziemlich bedeutender Haufe bewaffneter Reiter zeigte sich in der Entfernung einer halben Stunde; sie schienen gerade auf das Lager zuzureiten. Einer der Männer von der Wache ging daher in das Zelt, um zu verkünden, daß sie wahrscheinlich angegriffen würden. Die Kaufleute berieten sich untereinander, was zu tun sei, ob man ihnen entgegengehen oder den Angriff abwarten solle. Achmet und die zwei ältern Kaufleute wollten das letztere, der feurige Muley aber und Zaleukos verlangten das erstere, und riefen den Fremden zu ihrem Beistand auf. Dieser aber zog ruhig ein kleines blaues Tuch mit roten Sternen aus seinem Gürtel hervor, band es an eine Lanze, und befahl einem der Sklaven, es auf das Zelt zu stecken; er setze sein Leben zum Pfand, sagte er, die Reiter werden, wenn sie dieses Zeichen sehen, ruhig vorüberziehen. Muley glaubte nicht an den Erfolg, der Sklave aber steckte die Lanze auf das Zelt. Inzwischen hatten alle, die im Lager waren, zu den Waffen gegriffen, und sahen in gespannter Erwartung den Reitern entgegen. Doch diese schienen das Zeichen auf dem Zelte erblickt zu haben, sie beugten plötzlich von ihrer Richtung auf das Lager ab, und zogen in einem großen Bogen auf der Seite hin.
Verwundert standen einige Augenblicke die Reisenden, und sahen bald auf die Reiter bald auf den Fremden. Dieser stand ganz gleichgültig, wie wenn nichts vorgefallen wäre vor dem Zelte, und blickte über die Ebene hin. Endlich brach Muley das Stillschweigen: »Wer bist du, mächtiger Fremdling«, rief er aus, »der du die wilden Horden der Wüste durch einen Wink bezähmest?« »Ihr schlagt meine Kunst höher an, als sie ist«, antwortete Selim Baruch. »Ich habe mich mit diesem Zeichen versehen, als ich der Gefangenschaft entfloh; was es zu bedeuten hat, weiß ich selbst nicht, nur so viel weiß ich, daß, wer mit diesem Zeichen reiset, unter mächtigem Schutze steht.«
Die Kaufleute dankten dem Fremden, und nannten ihn ihren Erretter. Wirklich war auch die Anzahl der Reiter so groß gewesen, daß wohl die Karawane nicht lange hätte Widerstand leisten können.
Mit leichterem Herzen begab man sich jetzt zur Ruhe, und als die Sonne zu sinken begann und der Abendwind über die Sandebene hinstrich, brachen sie auf und zogen weiter.
Am nächsten Tage lagerten sie ungefähr nur noch eine Tagreise von dem Ausgang der Wüste entfernt. Als sich die Reisenden wieder in dem großen Zelt versammelt hatten, nahm Lezah, der Kaufmann, das Wort:
»Ich habe euch gestern gesagt, daß der gefürchtete Orbasan ein edler Mann seie, erlaubt mir, daß ich es euch heute durch die Erzählung der Schicksale meines Bruders beweise. – Mein Vater war Kadi in Akara. Er hatte drei Kinder. Ich war der Älteste, ein Bruder und eine Schwester waren bei weitem jünger als ich. Als ich 20 Jahre alt war, rief mich ein Bruder meines Vaters zu sich. Er setzte mich zum Erben seiner Güter ein, mit der Bedingung, daß ich bis zu seinem Tode bei ihm bleibe. Aber er erreichte ein hohes Alter, so daß ich erst vor zwei Jahren in meine Heimat zurückkehrte, und nichts davon wußte, welch schreckliches Schicksal indes mein Haus betroffen, und wie gütig Allah es gewendet hatte.«
Mein Bruder Mustafa und meine Schwester Fatme waren beinahe in gleichem Alter; jener hatte höchstens zwei Jahre voraus. Sie liebten einander innig, und trugen vereint alles bei, was unserem kränklichen Vater die Last seines Alters erleichtern konnte. An Fatmes 16. Geburtstage veranstaltete der Bruder ein Fest. Er ließ alle ihre Gespielinnen einladen, setzte ihnen in dem Garten des Vaters ausgesuchte Speisen vor, und als es Abend wurde, lud er sie ein, auf einer Barke, die er gemietet und festlich geschmückt hatte, ein wenig hinaus in die See zu fahren. Fatme und ihre Gespielinnen willigten mit Freuden ein; denn der Abend war schön, und die Stadt gewährte besonders abends, von dem Meere aus betrachtet, einen herrlichen Anblick. Den Mädchen aber gefiel es so gut auf der Barke, daß sie meinen Bruder bewogen, immer weiter in die See hinauszufahren; Mustafa gab aber ungern nach, weil sich vor einigen Tagen ein Korsar hatte sehen lassen. Nicht weit von der Stadt zieht sich ein Vorgebirge in das Meer; dorthin wollten noch die Mädchen, um von da die Sonne in das Meer sinken zu sehen. Als sie um das Vorgebirg herumruderten, sahen sie in geringer Entfernung eine Barke, die mit Bewaffneten besetzt war. Nichts Gutes ahnend, befahl mein Bruder den Ruderern sein Schiff zu drehen, und dem Lande zuzurudern. Wirklich schien sich auch seine Besorgnis zu bestätigen, denn jene Barke kam jener meines Bruders schnell nach, überfing sie, da sie mehr Ruder hatte, und hielt sich immer zwischen dem Land und unserer Barke. Die Mädchen aber, als sie die Gefahr erkannten, in der sie schwebten, sprangen auf und schrien und klagten; umsonst suchte sie Mustafa zu beruhigen, umsonst stellte er ihnen vor, ruhig zu bleiben, weil sie durch ihr Hin- und Herrennen die Barke in Gefahr bringen, umzuschlagen; es half nichts, und da sie sich endlich bei Annäherung des andern Bootes alle auf die hintere Seite der Barke stürzten, schlug diese um. Indessen aber hatte man vom Land aus die Bewegungen des fremden Bootes beobachtet, und da man schon seit einiger Zeit Besorgnisse wegen Korsaren hegte, hatte dieses Boot Verdacht erregt, und mehrere Barken stießen vom Lande, um den Unsrigen beizustehen. Aber sie kamen nur noch zu rechter Zeit, um die Untersinkenden aufzunehmen. In der Verwirrung war das feindliche Boot entwischt, auf den beiden Barken aber, welche die Geretteten aufgenommen hatten, war man ungewiß, ob alle gerettet seien; man näherte sich gegenseitig, und ach! es fand sich, daß meine Schwester und eine ihrer Gespielinnen fehlte, zugleich entdeckte man aber einen Fremden in einer der Barken, den niemand kannte. Auf die Drohungen Mustafas gestand er, daß er zu dem feindlichen Schiff, das zwei Meilen ostwärts vor Anker liege, gehöre, und daß ihn seine Gefährten auf ihrer eiligen Flucht im Stich gelassen haben, indem er im Begriff gewesen sei, die Mädchen auffischen zu helfen, auch sagte er aus, daß er gesehen habe, wie man zwei derselben in das Schiff gezogen.
Der Schmerz meines alten Vaters war grenzenlos, aber auch Mustafa war bis zum Tod betrübt, denn nicht nur daß seine geliebte Schwester verloren war, und daß er sich anklagte, an ihrem Unglück schuld zu sein – jene Freundin Fatmes die ihr Unglück teilte, war von ihren Eltern ihm zur Gattin zugesagt gewesen, und nur unserem Vater hatte er es noch nicht zu gestehen gewagt, weil ihre Eltern arm und von geringer Abkunft waren. Mein Vater aber war ein strenger Mann; als sein Schmerz sich ein wenig gelegt hatte, ließ er Mustafa vor sich kommen, und sprach zu ihm: »Deine Torheit hat mir den Trost meines Alters und die Freude meiner Augen geraubt. Geh hin, ich verbanne dich auf ewig von meinem Angesicht, ich fluche dir und deinen Nachkommen, und nur wenn du mir Fatme wiederbringst, soll dein Haupt rein sein von dem Fluche des Vaters.«
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