1 ...7 8 9 11 12 13 ...23 Als es stark gegen Mitternacht ging, machte ich mich auf den Weg, und kam bald auf die Ponte Vecchio. Ich fand die Brücke verlassen und öde, und beschloß zu warten, bis der erscheinen würde, der mich rief. Es war eine kalte Nacht; der Mond schien hell und ich schaute hinab in die Wellen des Arno, die weithin im Mondlicht schimmerten. Auf den Kirchen der Stadt schlug es jetzt zwölf Uhr, ich richtete mich auf, und vor mir stand ein großer Mann, ganz in einen roten Mantel gehüllt, dessen einen Zipfel er vor das Gesicht hielt.
Ich war von Anfang etwas erschrocken, weil er so plötzlich hinter mir stand, faßte mich aber sogleich wieder und sprach: »Wenn Ihr mich habt hieher bestellt, so sagt an, was steht zu Eurem Befehl?« Der Rotmantel wandte sich um, und sagte langsam: »Folge.« Da ward mir’s doch etwas unheimlich zumut, mit diesem Unbekannten allein zu gehen, ich blieb stehen, und sprach: »Nicht also, lieber Herr, wollet Ihr mir vorerst sagen, wohin; auch könnet Ihr mir Euer Gesicht ein wenig zeigen, daß ich sehe, ob Ihr Gutes mit mir vorhabt.« Der Rote aber schien sich nicht darum zu kümmern: »Wenn du nicht willst, Zaleukos, so bleibe«, antwortete er und ging weiter. Da entbrannte mein Zorn: »Meinet Ihr«, rief ich aus, »ein Mann wie ich, lasse sich von jedem Narren foppen, und ich werde in dieser kalten Nacht umsonst gewartet haben.« In drei Sprüngen hatte ich ihn erreicht, packte ihn an seinem Mantel, und schrie noch lauter, indem ich die andere Hand an den Säbel legte; aber der Mantel blieb mir in der Hand, und der Unbekannte war um die nächste Ecke verschwunden. Mein Zorn legte sich nach und nach, ich hatte doch den Mantel, und dieser sollte mir schon den Schlüssel zu diesem wunderlichen Abenteuer geben. Ich hing ihn um, und ging meinen Weg weiter nach Hause. Als ich kaum noch hundert Schritte davon entfernt war, streifte jemand dicht an mir vorüber und flüsterte in fränkischer Sprache: »Nehmt Euch in acht, Graf, heute nacht ist nichts zu machen.« Ehe ich mich aber umsehen konnte, war dieser Jemand schon vorbei, und ich sah nur noch einen Schatten an den Häusern hinschweben. Daß dieser Zuruf den Mantel und nicht mich anging, sah ich ein, doch gab er mir kein Licht über die Sache. Am andern Morgen überlegte ich, was zu tun sei. Ich war von Anfang gesonnen, den Mantel ausrufen zu lassen, als hätte ich ihn gefunden, doch da konnte der Unbekannte ihn durch einen Dritten holen lassen, und ich hätte dann keinen Aufschluß über die Sache gehabt. Ich besah, indem ich so nachdachte, den Mantel näher. Er war von schwerem genuesischem Samt, purpurrot, mit astrachanischem Pelz verbrämt und reich mit Gold gestickt. Der prachtvolle Anblick des Mantels brachte mich auf einen Gedanken, den ich auszuführen beschloß. – Ich trug ihn in mein Gewölbe und legte ihn zum Verkauf aus, setzte aber auf ihn einen so hohen Preis, daß ich gewiß war, keinen Käufer zu finden. Mein Zweck dabei war, jeden, der nach dem Pelz fragen würde, scharf ins Auge zu fassen; denn die Gestalt des Unbekannten, die sich mir, nach Verlust des Mantels, wenn auch nur flüchtig, doch bestimmt zeigte, wollte ich aus Tausenden erkennen. Es fanden sich viele Kauflustige zu dem Mantel, dessen außerordentliche Schönheit alle Augen auf sich zog, aber keiner glich entfernt dem Unbekannten, keiner wollte den hohen Preis von zweihundert Zechinen dafür bezahlen. Auffallend war mir dabei, daß, wenn ich einen oder den andern fragte, ob denn sonst kein solcher Mantel in Florenz sei, alle mit Nein antworteten und versicherten, eine so kostbare und geschmackvolle Arbeit nie gesehen zu haben.
Es wollte schon Abend werden, da kam endlich ein junger Mann, der schon oft bei mir gewesen war, und auch heute viel auf den Mantel geboten hatte, warf einen Beutel mit Zechinen auf den Tisch, und rief: »Bei Gott! Zaleukos, ich muß deinen Mantel haben, und sollte ich zum Bettler darüber werden.« Zugleich begann er, seine Goldstücke aufzuzählen. Ich kam in große Not, ich hatte den Mantel nur ausgehängt, um vielleicht die Blicke meines Unbekannten darauf zu ziehen, und jetzt kam ein junger Tor, um den ungeheuren Preis zu zahlen. Doch was blieb mir übrig; ich gab nach, denn es tat mir auf der andern Seite der Gedanke wohl, für mein nächtliches Abenteuer so schön entschädigt zu werden. Der Jüngling hing sich den Mantel um und ging; er kehrte aber auf der Schwelle wieder um, indem er ein Papier, das am Mantel befestigt war, losmachte, mir zuwarf, und sagte: »Hier Zaleukos, hängt etwas, das wohl nicht zu dem Mantel gehört.« Gleichgültig nahm ich den Zettel, aber siehe da, dort stand geschrieben: »Bringe heute nacht, um die bewußte Stunde, den Mantel auf die Ponte Vecchio, vierhundert Zechinen warten deiner.« Ich stand, wie niedergedonnert. So hatte ich also mein Glück selbst verscherzt und meinen Zweck gänzlich verfehlt! doch ich besann mich nicht lange, raffte die zweihundert Zechinen zusammen, sprang dem, der den Mantel gekauft hatte, nach, und sprach: »Nehmt Eure Zechinen wieder, guter Freund, und laßt mir den Mantel, ich kann ihn unmöglich hergeben.« Dieser hielt die Sache von Anfang für Spaß, als er aber merkte, daß es Ernst war, geriet er in Zorn über meine Forderung, schalt mich einen Narren, und so kam es endlich zu Schlägen. Doch ich war so glücklich im Handgemeng, ihm den Mantel zu entreißen, und wollte schon mit davoneilen, als der junge Mann die Polizei zu Hülfe rief, und mich mit sich vor Gericht zog. Der Richter war sehr erstaunt über die Anlage, und sprach meinem Gegner den Mantel zu. Ich aber bot dem Jüngling zwanzig, fünfzig, achtzig, ja hundert Zechinen über seine zweihundert, wenn er mir den Mantel ließe. Was meine Bitten nicht vermochten, bewirkte mein Gold. Er nahm meine guten Zechinen, ich aber zog mit dem Mantel triumphierend ab und mußte mir gefallen lassen, daß man mich in ganz Florenz für einen Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgültig, ich wußte es ja besser, als sie, daß ich an dem Handel noch gewann.
Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit, wie gestern, ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte Vecchio. Mit dem letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus, auf mich zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. »Hast du den Mantel?« wurde ich gefragt. »Ja Herr«, antwortete ich, »aber er kostete mich bar hundert Zechinen.« »Ich weiß es«, entgegnete jener. »Schau auf, hier sind vierhundert.« Er trat mit mir an das breite Geländer der Brücke, und zählte die Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig blitzten sie im Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! es ahnete nicht, daß es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die Tasche, und wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich dunkle Augen furchtbar anblitzten. »Ich danke Euch Herr, für Eure Güte«, sprach ich zu ihm, »was verlangt Ihr jetzt von mir! das sage ich Euch aber vorher, daß es nichts Unrechtes sein darf.« »Unnötige Sorge«, antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern legte. »Ich bedarf Eurer Hülfe als Arzt, doch nicht für einen Lebenden, sondern für einen Toten.«
»Wie kann das sein?« rief ich voll Verwunderung.
»Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen«, erzählte er, und winkte mir zugleich, ihm zu folgen. »Ich wohnte hier mit ihr, bei einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach einer alten Sitte unserer Familie aber, sollen alle in der Gruft der Väter ruhen; viele, die in fremdem Lande starben, ruhen dennoch dort einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper, meinem Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit er sie noch einmal sehe.« Diese Sitte, die Köpfe geliebter Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schröcklich vor, doch wagte ich nichts dagegen einzuwenden, aus Furcht, den Unbekannten zu beleidigen. Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren der Toten wohl umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu führen. Doch konnte ich mich nicht enthalten, zu fragen: warum denn dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse? Er antwortete mir: daß seine Verwandten, die seine Absicht für grausam halten, bei Tage ihn abhalten würden. Sei aber nur erst einmal der Kopf abgenommen, so können sie wenig mehr darüber sagen. Er hätte mir zwar den Kopf bringen können, aber ein natürliches Gefühl halte ihn ab, ihn selbst abzunehmen.
Читать дальше