Als er aufgewacht war, sah er sich ganz allein im Zelt, vor dem Vorhang des Zeltes aber hörte er mehrere Stimmen zusammen sprechen, die dem Herrn des Zeltes, und dem kleinen, schwarzbraunen Mann anzugehören schienen. Er lauschte ein wenig, und hörte zu seinem Schrecken, daß der Kleine dringend den andern aufforderte, den Fremden zu töten, weil er, wenn er freigelassen würde, sie alle verraten könnte.
Mustafa merkte gleich, daß der Kleine ihm gram sei, weil er Ursache war, daß er gestern so übel behandelt wurde; der Starke schien sich einige Augenblicke zu besinnen; »Nein«, sprach er, »er ist mein Gastfreund, und das Gastrecht ist mir heilig, auch sieht er mir nicht aus, wie wenn er uns verraten wollte.«
Als er so gesprochen, schlug er den Vorhang zurück, und trat ein. »Friede sei mit dir, Mustafa«, sprach er, »laß uns den Morgentrunk kosten, und rüste dich dann zum Aufbruch.« Er reicht meinem Bruder einen Becher Sorbet, und als sie getrunken hatten, zäumten sie die Pferde auf, und wahrlich! mit leichterem Herzen als er gekommen war, schwang sich Mustafa aufs Pferd. Sie hatten bald die Zelte im Rücken, und schlugen dann einen breiten Pfad ein, der in den Wald führte. Der Starke erzählte meinem Bruder, daß jener Bassa, den sie auf der Jagd gefangen hätten, ihnen versprochen habe, sie ungefährdet in seinem Gebiet zu dulden; vor einigen Wochen aber, habe er einen ihrer tapfersten Männer aufgefangen und nach den schrecklichsten Martern aufhängen lassen. Er habe ihm nun lange auflauern lassen, und heute noch müsse er sterben. Mustafa wagte es nicht, etwas dagegen einzuwenden, denn er war froh, selbst mit heiler Haut davongekommen zu sein.
Am Ausgang des Waldes hielt der Starke sein Pferd an, beschrieb meinem Bruder den Weg, bot ihm die Hand zum Abschied, und sprach: »Mustafa, du bist auf sonderbare Weise der Gastfreund des Räubers Orbasan geworden, ich will dich nicht auffordern, nicht zu verraten, was du gesehen und gehört hast. Du hast ungerechterweise Todesangst ausgestanden, und ich bin dir Vergütung schuldig. Nimm diesen Dolch als Andenken, und so du Hülfe brauchst so sende ihn mir zu, und ich will eilen, dir beizustehen. Diesen Beutel aber kannst du vielleicht zu deiner Reise brauchen.« Mein Bruder dankte ihm für seinen Edelmut, er nahm den Dolch, den Beutel aber schlug er aus. Doch Orbasan drückte ihm noch einmal die Hand, ließ den Beutel auf die Erde fallen, und sprengte mit Sturmeseile in den Wald. Als Mustafa sah, daß er ihn doch nicht mehr werde einholen können, stieg er ab, um den Beutel aufzuheben und erschrak über die Größe von seines Gastfreundes Großmut, denn der Beutel enthielt eine Menge Goldes. Er dankte Allah für seine Rettung, empfahl ihm den edlen Räuber in seine Gnade, und zog dann heiteren Mutes weiter auf seinem Wege nach Balsora.
Hier schwieg Lezah und sah Achmet, den alten Kaufmann fragend an. »Nein, wenn es so ist«, sprach dieser, »so verbessere ich gerne mein Urteil von Orbasan, denn wahrlich an deinem Bruder hat er schön gehandelt.«
»Er hat getan wie ein braver Muselmann«, rief Muley, »aber ich hoffe, du hast deine Geschichte damit nicht geschlossen, denn wie mir bedünkt, sind wir alle begierig, weiter zu hören, wie es deinem Bruder erging, und ob er Fatme, deine Schwester, und die schöne Zoraide befreit hat.«
»Wenn ich euch nicht damit langweile, erzähle ich gerne weiter«, entgegnete Lezah, »denn die Geschichte meines Bruders ist allerdings abenteuerlich und wundervoll.«
Am Mittag des siebenten Tages nach seiner Abreise zog Mustafa in die Tore von Balsora ein. Sobald er in einer Karawanserei abgestiegen war, fragte er, wann der Sklavenmarkt, der alljährlich hier gehalten werde, anfange? Aber er erhielt die Schreckensantwort, daß er zwei Tage zu spät komme. Man bedauerte seine Verspätung, und erzählte ihm, daß er viel verloren habe, denn noch an dem letzten Tage des Marktes seien zwei Sklavinnen angekommen, von so hoher Schönheit, daß sie die Augen aller Käufer auf sich gezogen hätten. Man habe sich ordentlich um sie gerissen und geschlagen, und sie seien freilich auch zu einem so hohen Preis verkauft worden, daß ihn nur ihr jetziger Herr nicht habe scheuen können. Er erkundigte sich näher nach diesen beiden, und es blieb ihm kein Zweifel, daß es die Unglücklichen seien, die er suche. Auch erfuhr er, daß der Mann, der sie beide gekauft habe, vierzig Stunden von Balsora wohne, und Thiuli-Kos heiße, ein vornehmer reicher aber schon ältlicher Mann, der früher Kapudan-Bassa des Großherrn war, jetzt aber sich mit seinen gesammelten Reichtümern zu Ruhe gesetzt habe.
Mustafa wollte von Anfang sich gleich wieder zu Pferd setzen, um dem Thiuli-Kos, der kaum einen Tag Vorsprung haben konnte, nachzueilen. Als er aber bedachte, daß er als einzelner Mann, dem mächtigen Reisenden doch nichts anhaben, noch weniger seine Beute ihm abjagen konnte, sann er auf einen andern Plan und hatte ihn auch bald gefunden. Die Verwechslung mit dem Bassa von Sulieika, die ihm beinahe so gefährlich geworden wäre, brachte ihn auf den Gedanken: unter diesem Namen in das Haus des Thiuli-Kos zu gehen, und so einen Versuch zur Rettung der beiden unglücklichen Mädchen zu wagen. Er mietete daher einige Diener und Pferde, wobei ihm Orbasans Geld trefflich zustatten kam, schaffte sich und seinen Dienern prächtige Kleider an, und machte sich auf den Weg nach dem Schlosse Thiulis. Nach fünf Tagen war er in die Nähe dieses Schlosses gekommen. Es lag in einer schönen Ebene, und war rings von hohen Mauern umschlossen, die nur ganz wenig von den Gebäuden überragt wurden. Als Mustafa dort angekommen war, färbte er Haar und Bart schwarz, sein Gesicht aber bestrich er mit dem Saft einer Pflanze, der ihm eine bräunliche Farbe gab, ganz wie sie jener Bassa gehabt hatte. Er schickte hierauf einen seiner Diener in das Schloß, und ließ, im Namen des Bassa von Sulieika, um ein Nachtlager bitten. Der Diener kam bald wieder, und mit ihm vier schöngekleidete Sklaven, die Mustafas Pferd am Zügel nahmen, und in den Schloßhof führten. Dort halfen sie ihm selbst vom Pferd, und vier andere geleiteten ihn eine breite Marmortreppe hinauf zu Thiuli.
Dieser, ein alter lustiger Geselle, empfing meinen Bruder ehrerbietig, und ließ ihm das Beste, was sein Koch zubereiten konnte, aufsetzen. Nach Tisch brachte Mustafa das Gespräch nach und nach auf die neuen Sklavinnen, und Thiuli rühmte ihre Schönheit und beklagte nur, daß sie immer so traurig seien, doch er glaubte, dieses würde sich bald geben. Mein Bruder war sehr vergnügt über diesen Empfang, und legte sich mit den schönsten Hoffnungen zur Ruhe nieder.
Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, da weckte ihn der Schein einer Lampe, der blendend auf sein Auge fiel. Als er sich aufrichtete, glaubte er noch zu träumen, denn vor ihm stand jener kleine, schwarzbraune Kerl aus Orbasans Zelt, eine Lampe in der Hand, sein breites Maul zu einem widrigen Lächeln verzogen. Mustafa zwickte sich in den Arm, zupfte sich an der Nase, um sich zu überzeugen, ob er denn wache, aber die Erscheinung blieb wie zuvor. »Was willst du an meinem Bette?« rief Mustafa, als er sich von seinem Erstaunen erholt hatte. »Bemühet Euch doch nicht so, Herr!« sprach der Kleine, »ich habe wohl erraten, weswegen Ihr hieher kommt. Auch war mir Euer wertes Gesicht noch wohl erinnerlich, doch wahrlich, wenn ich nicht den Bassa mit eigener Hand hätte erhängen helfen, so hättet Ihr mich vielleicht getäuscht. Jetzt aber bin ich da, um eine Frage zu machen.« –
»Vor allem sage wie du hieher kommst«, entgegnete ihm Mustafa voll Wut, daß er verraten war. »Das will ich Euch sagen«, antwortete jener, »ich konnte mich mit dem Starken nicht länger vertragen, deswegen floh ich; aber du, Mustafa, warst eigentlich die Ursache unseres Streites, und dafür mußt du mir deine Schwester zur Frau geben, und ich will Euch zur Flucht behülflich sein, gibst du sie nicht, so gehe ich zu meinem neuen Herrn, und erzähle ihm etwas von dem neuen Bassa!«
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