»Elf neue Arten?«, blafft die Backhus, offenbar Visionen radioaktiver Mutationen ohne Ende vorm inneren Auge, tanzende Pilze wie bei Disney, die gemeinsam Spottlieder aufs Umweltministerium anstimmen und Pressekonferenzen geben. »Na ja, um ehrlich zu sein, stammt der Begriff „Arten“ eher von mir«, beschwichtige ich daher. »Der Professor drückt sich da etwas umständlicher aus. Moment, ich habe mir die Stelle angestrichen...« Kurzes Blättern, während die Ministerin hoffentlich in ihre Komfortzone zurückschnellt. Geistige Notiz, so etwas zukünftig schonender einzuleiten: Wer stets austeilt, kann nicht unbedingt auch einstecken, dann Aufmerksamkeit heischendes Wedeln mit Seite Fünf des betreffenden Schreibens. »Hier. Der Begriff der Art impliziere, dass die Gattung bekannt sei. Bei den elf eingesammelten Exemplaren sei das Genom jedoch überwiegend nicht klassifizierbar...«
Wieder bricht die Ministerin in einen Hustenanfall aus, drückt sich energisch ein Stofftaschentuch vor den Mund wie zur Einleitung einer Selbsterstickung, konvulsivisch bebende Schultern und bronchiales Röhren, das jedem Platzhirsch Ehre macht. Als der Anfall verebbt, blickt sie betroffen auf rote Flecken im Stoff, nun deutlich in sich zusammengesackt. Auch ich bin erschrocken: Allmählich habe ich ja immerhin ebenfalls dieses Alter erreicht, in dem man das Funktionieren seines Körpers mit zunehmendem Misstrauen beobachtet und eine gewisse Solidarität entwickelt zu jenen, die bereits ernsthaft mit Krankheit und Verfall ringen. Alter ist nichts für Feiglinge.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Frau Doktor Backhus?«, beruhige ich die Ministerin daher mit gut polierter Anteilnahme. Mache ihr sogar die Titel-Freude. Wenn sie so ängstlich aus ihren Augen herausschaut, den Kopf leicht schräg auf eine hager-knochige Schulter geneigt, erinnert sie mich stets an von einer Ölpest überraschte Vögel, alles Aufgeplusterte verklebt, schutz- und fassungslos vor verschmierter Welt. Vermutlich eine Nebenwirkung ihres sonst so aggressiven Auftretens, Variante des Stockholm-Syndroms oder Artverwandtes. Persönlich ist mir nicht wohl dabei, wenn sie derartige Gefühle in mir weckt. Ob es ihr gegenüber Frauen genauso ergeht, oder spricht sie da wirklich Reste männlichen Beschützerinstinktes an?
»Nein, schon gut, ich muss mir offenbar am Wochenende irgendetwas eingefangen haben...« Von der Willenskraft, die sie sonst wie einen Schutzschild vor sich herträgt, ist nichts mehr übrig. Es bleibt ein brüchiges Vakuum, durch das sie mich zwangsläufig näher zu sich saugt. Sobald sie sich erholt hat, wird sie mich dafür büßen lassen, dass ich sie in einem Moment der Schwäche erlebte.
Mit plötzlichem Ruck strafft sie ihre Schultern, schüttelt blutigen Auswurf und kreatürliche Sterblichkeit in Eins von sich, ordnet den ganzen Körper neu: »Herr Müller, es muss auf jeden Fall verhindert werden, dass dieser wirre Professor seinen krausen Befund an die Medien weitergibt. Sie wissen ja, wie diese Umweltaktivisten so sind. Solche Art von Negativ-Publicity können wir im Moment überhaupt nicht gebrauchen. Lassen Sie herausfinden, welche Unternehmen das Institut da in... in..«
»Magdeburg«, helfe ich aus, meine Blicke folgen ihrer fahrig gestikulierenden Hand, mit der sie etwas in weite Fernen weist.
»Ja, genau da, die dieses Institut mittragen. Wir müssen wohl ein paar Hebel in Bewegung setzen und ein wenig sanften Druck ausüben.« Ich nicke, brauche mir jedoch nichts zu notieren, denn mit dieser Reaktion habe ich bereits gerechnet.
Plötzlich jedoch ein Rückfall, die Ministerin wird, so gut Bräune und Schminke gleichermaßen es gestatten, bleich: »Es sei denn... Könnte es sich dabei um so etwas wie diesen Genmais handeln, der ja auch überall auftaucht? Wir müssen schnellstmöglich herausfinden, ob dieses... unbekannte Genom irgendwo in den USA patentiert ist. Sonst haben wir ruckzuck eine Patentrechtsklage am Hals, vielleicht vor einem internationalen Schiedsgericht...« Einen Moment lang verstummt sie angesichts unwägbarer Konsequenzen und Forderungen in Milliardenhöhe, dann bricht ein noch heftigerer Hustenanfall aus ihr hervor. Endlich nicht mehr durchgeschüttelt von ihrem persönlichen Erdbeben starrt sie ungläubig auf schwarze Klumpen im roten Schleim des Taschentuchs.
Ich wieder mal viel zu nah an ihr dran, Empathie und so, weshalb mir zunächst lediglich auffällt, dass sich auf ihrer Stirne Schweiß gebildet hat. Dann erst folge ich ihrem Blick und merke, dass es nicht an der zitternden Hand der Ministerin liegt. Wahrlich und wahrhaftig, die schwarzen Klumpen auf rotem Grund bewegen sich! Einer kriecht eindeutig sich windend, zusammenziehend und vorwärtsrobbend das Taschentuch empor Richtung Daumen, ehe die Backhus es mit einem Schreckenslaut auf die immer noch vor Sonne gleißende Schreibtischplatte entlässt. Habe gar nicht mitbekommen, dass ich aufgesprungen bin: Finde mich erst wieder, als ich mich entsetzt an die gegenüberliegende Wand presse, während die Ministerin mich fassungslos und hilfesuchend ansieht. Natürlich ist mir sofort klar, dass dies keine Trichinen, Platt-, Faden-, Zungenwürmer oder sonstigen Viecher sind, die man in Mittel- bis Oberschicht aus exotischem Urlaub mitbringen mag. Auch mit biologischer Kriegsführung hat dies offenbar nichts zu tun, sieht schlicht nicht aus wie Überträger von Pest, Typhus, Milzbrand, Cholera oder Ruhr, kurzum: Ich tappe völlig im Dunklen, eine plötzlich unerklärbar und bedrohlich gewordene Welt springt mich von Taschentuch und Ministermiene her an. Vorläufig und dringlichst: Ist dies ANSTECKEND? Und: Darf man im Fall einer Ministerin überhaupt den Seuchenschutz alarmieren?
Wir beide ahnen es noch nicht weil ohnehin erschüttert, aber was da vor und zwischen uns auf dem Schreibtisch madig und schleimig vor sich hin tiert, ist das erste Omen eines bevorstehenden Endes der Welt. Und ausnahmsweise meine ich das einmal ganz wörtlich. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, noch einmal zu entscheiden, ob Sie weiterlesen.
2 - Von der neuen Achse des Bösen
Das Krankenzimmerbett der Backhus liegt unter einem großen Sauerstoffzelt, das wie ein zerknitterter Duschvorhang von einem Alugestell herabstürzt, zweifellos eine ganz eigene Art von Himmelbett für eine ganz eigene Art von Prinzessin. Trotzdem hält der trotz beginnenden Alters noch aufdringlich gesund und trainiert wirkende Chefarzt stets gesunden Abstand. Er trägt unvorteilhaft einen gelb-pummeligen Ganzkörperanzug aus antistatischem Plastik, den Kopf hinter einer durchsichtigen Haube in Sicherheit, seine Stimme von einem auf die Wange geklebten Mikro leicht übersteuert. »Sehen Sie, Herr Müller, ein Befall durch unbekannte Organismen ist keine Kleinigkeit«, tönt es aus seinem sinnhaft in Mundhöhe montierten Lautsprecher in der Qualität eines billigen Fernsehers, während er zerstreut durch sein Haar streichen will, sich dabei letztlich aber nur Falten in die Haube drückt. Sie wird von einem über seinem Kopf schwebenden Heiligenschein gehalten, dessen rückwärtige Stütze ein steifer Sauerstoffschlauch bildet. Warum habe ich nicht auch einen derartigen Schutzanzug bekommen? Will er einfach damit angeben, was es in einem Privatkrankenhaus so alles gibt? Hat man vielleicht gar keinen zweiten Anzug? Restunruhe bleibt auf jeden Fall.
Ansonsten bleibt befriedigt festzustellen, dass die MIDAS-Klinik bei dieser Hitzewelle dasselbe Problem hat wie unsere städtischen Krankenhäuser: Man muss literweise Desinfektionsmittel vergießen, bis sich Atmung, Geruchs- und Geschmackssinne gänzlich damit zugesetzt haben. Der Kaffee auf jeden Fall, den mir Dr. Dobermann in die Hand drückt, schmeckt aufdringlich nach Desinfektion. Aber vielleicht ist der gute Onkel Doktor inzwischen auch bereits derart daran gewöhnt, dass er Kaffee grundsätzlich nur noch so trinkt. Während ich mich noch verwunder, stapft der Chefarzt derweil raschelnd zur sanft glimmenden Tafel mit ministerialen Röntgenbildern und tappt der Reihe nach klobig auf einige davon. »Die Dichte dieser Parasiten ist nur geringfügig größer als die des durchschnittlichen organischen Gewebes. Unsere digitalen Röntgenaufnahmen zeigen daher recht zuverlässig größere Konzentrationen im Bereich der Lunge«, tapp: Weiß auf Schwarz ein Brustkorb im Schneegestöber mit leicht deformierter Birne, offenbar das Herz, überlagert vom helleren Weiß des Rückgrats vor geisterhaft durchscheinenden Rippenbögen, tapp: »des Gehirns«, gewöhnungsbedürftige Darstellung eines halb durchsichtigen Schädels, wiederum schneedurchstöbert, aus der die Zähne der Ministerin noch immer markant und weiß als Blickpunkt strahlen. Groß-runde Augenhöhlen zeichnen sich deutlich ab, als hätte die Backhus in ungewohnter Retrogefälligkeit eine altmodische Fliegerbrille getragen, tapp: »und des Rückenmarks«, irritierender Weise jedoch ein Bild der Schulter diesmal, Oberarmknochen und Gelenkpfanne sehr schön zu erkennen, unverschneit, »weil da der Unterschied in der Dichte hinreichend groß ist. Das sind aber auch genau die Bereiche, in denen eine operative Entfernung am riskantesten wäre und der Patientin nur wenige Eingriffe auf einmal zugemutet werden können.« Gefällig nicke ich und versuche, der audio-akustischen Schnellpräsentation zu folgen, bleibe jedoch an der verblüffenden Schulter hängen.
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