Trotz allem: Dieser Umzug nach Berlin war eine gute Sache! Allein schon der Umstand, dass das Ministerium für Reaktorsicherheit in Bonn über einen eigenen Atombunker verfügte, durchsetzte die Arbeitsmoral unentwegt mit geschmacklosesten Witzen. Hier in Berlin hingegen heißt es klar: mitgefangen, mitgehangen. So etwas wirkt sich förderlich auf Mitarbeitermotivation aus, meine ich.
Ach ja, das habe ich vergessen: Immer wieder trifft man Zeitgenossen, deren Haltung ich nicht anders denn als "politische Naivität" bezeichnen kann. Allen Fakten und Nachrichten zum Trotz wollen sie am Glauben festhalten, dass wir, notfalls auch gänzlich ohne demokratische Kontrollmechanismen, mehrheitlich doch von guten und verantwortungsvollen Menschen regiert werden. Dieser anheimelnde Wunsch erscheint mir häufig als weitgehend bruchlose Fortsetzung kindlicher Schutzbedürfnisse, wie sie zuerst an Eltern und später dann, sofern irgend möglich, an Lehrer herangetragen werden. Vielleicht nur eine säkulare Variante frommen Götterglaubens, der Quelle nach vermutlich verwandt. Falls auch Sie zu diesem Menschenschlag gehören, sollten Sie hier nicht weiterlesen. Eine Lektüre meines Berichts hat Ihnen nichts zu bieten und die Gefahr ist groß, dass Sie sich unentwegt diffus angegriffen fühlen. Wohlgemerkt also: Dieser Bericht ist nicht für Sie, ade. Mit den Worten des alten Politbarden Franz Josef Degenhardt bleibt mir nur zu wünschen, dass es Ihnen auch weiterhin gut ergehen mag hinter Ihrer von Jahr zu Jahr höher wachsenden Rosenhecke im hoffentlich abbezahlten Eigenheim, während sie die politischen Veränderungen ringsum einer sinnlosen Naturkatastrophe gleich schicksalsergeben ertragen. Vielleicht ist diese Haltung für das Gemüt sogar die beste. Ja, derart Zaghaftigkeit trennt uns heute von den pathetischen Worten Ferdinand Lassalles, dass alle große politische Aktion im Aussprechen dessen, was ist, beginne, wohingegen alle politische Kleingeisterei in dessen Verschweigen bestehe.
Alle, für die eine solche Idylle gegenwärtig jedoch schwer zu ertragen ist, lade ich hingegen ein, mir zu folgen. Denn mittlerweile stehe ich vor der Tür meiner Ministerin und nach üblich-dezentem Geklopfe trete ich umstandslos ein, schließlich werde ich erwartet. Alles im Büro dieser Ministerin signalisiert kraft Gestaltung: Hier ist einer jener Orte, von denen aus die Welt regiert wird! Gute zehn Meter muss der eintretende Büßer zurücklegen, ehe er vor ihrem hehren Schreibtisch anlangt. Zehn Meter über hochflorigen Teppich, der jegliches Schrittgeräusch schluckt und einen akustisch bereits auf ein Nichts reduziert. Rechter Hand dabei die Glasfront, von der aus die Ministerin ihr Panopticon von Bienenstock überschauen kann, die Fenster aller leitenden Angestellten im Blick, tief unten der todbringende Marmorboden für besonders schlechte Tage. Linker Hand die glatte Wandtäfelung aus poliertem Marmor im gedämpften Beige der Außenfassade, in der sich aufgereihte Halogenlichter unzähliger Deckenlampen ebenso spiegeln wie in der gegenüberliegenden Fensterfront, so dass sie sich im wechselseitigen Spiegelspiel bis ins Unendliche fortzusetzen scheinen. Jetzt am frühen Nachmittag ist der Effekt jedoch nicht so atemberaubend, da hier, derart nahe am himmlischen Glasdach des Lichthofs, noch genügend natürliches Sonnenlicht den Raum, besser: die Halle flutet. Dafür bricht es sich auf der gläsernen Schreibtischplatte der Ministerin, strahlt ihr Gesicht von unten her an und verleiht ihrer weiß-blonden Mähne die unaufdringliche Güldenheit einer Aureole.
Erst als ich direkt vor ihrem Schreibtisch stehe, fällt mir auf, dass die Ministerin heute schrecklich aussieht, schrecklicher als sonst. Diesmal liegt es nicht an ihren Haaren: Die ihren Kopf um mehr als das Doppelte vergrößernde Haarpracht ist perfekt geföhnt und bewegt sich auch, als sie ruckhaft von ihren Unterlagen kurz zu mir aufblickt, nur eben dort, wo sie Stylistenvorstellungen entsprechend sollte, überwiegend brettartige Konsistenz also. Dann senkt sie ihr sorgenumwirrtes Haupt vorerst wieder und blättert scheinbar konzentriert durch Papiere vor ihr, lässt mich zurück mit diesem vagen Eindruck, dass heute etwas mit ihr nicht stimmt.
Dieses Spiel bin ich gewohnt: An guten Tagen (für sie) darf ich bis zu zehn Minuten stehend vor ihrem Schreibtisch warten, während sie die Hackordnung zementiert. Man muss das verstehen: Die Backhus war bis vor sechs Monaten nur Verkehrsministerin gewesen, dem Hörensagen nach ein Posten für jene, die zwar Wahlstimmen einbringen, denen man jedoch echte Verantwortung besser nicht zu übertragen gedenkt. Das Umweltressort hingegen ist nun für sie ein deutlicher Schritt nach vorn, ihre eigentliche Bewährungsprobe, wobei sie inhaltlich mit diesem schwer fassbaren, fast nicht einzugrenzendem Gebiet noch nie zu tun hatte. Umso wichtiger ist daher für manche ein starkes Auftreten gerade gegenüber jenen Mitarbeitern, die sich besser auskennen und auf die man zwingend angewiesen ist. Glauben Sie mir, ich habe viele Minister und in den letzten Jahrzehnten vermehrt auch Ministerinnen kommen und gehen gesehen, ich weiß derlei einzuordnen.
Grundsätzlich gehört die Backhus ohnehin nicht zu jenem Typ, der Mitarbeiterkontakte pflegt und einen gewissen Wohlfühlfaktor am Arbeitsplatz wertzuschätzen weiß. Sobald sie ernannt worden war, habe ich mir ihren Lebenslauf angesehen: Abgebrochenes Studium der Volkswirtschaft (Versuch, in Vaters Fußstapfen zu treten), nach elf Jahren Studium (keine Nebenjobs, alles von Papa finanziert) schließlich Abschluss in Medizin (Großvaters Fußstapfen), mit Ach und Krach bestanden. Dann Ausbildung zur Fachärztin abgebrochen, kann sich also nicht mit eigener Arztpraxis selbständig machen, also zurück an die Uni und Promotion. Danach drei Jahre Mutterschaft mit der Reihe nach drei Kindern, zog deshalb zurück zum Vater und dessen Kindermädchen. Armer Ehemann! Vater nennt sie immer noch »Röschen«, vielleicht wegen ihrer Stacheln, sie ihn »Papa«. Neue Versuche, als angestellte Ärztin Fuß zu fassen, scheiterten radikal, deshalb weitere Kinder. Bis hierhin ewige Tochter, Studentin und Mutter nebenher, gescheitert im Arbeitsleben, dafür wissenschaftliches Interesse immerhin.
Letzteres jedoch wohl auch eher Wunschdenken (oder Flucht vor allgegenwärtiger Familie), letztes Jahr wurde ihre Doktorarbeit als Plagiat entlarvt. Ein Gutachter: »eindeutiges Plagiat«, ein anderer sogar: »grobes Schlampen«, an der Uni München wird ihre Promotion Studierenden inzwischen als Negativbeispiel dafür präsentiert, wie Doktorarbeiten auf keinen Fall auszusehen haben (Das glauben Sie mir nicht? Schlagen Sie es nach!). Die Hochschule Hannover jedoch erkennt den Doktortitel nicht ab, da nur ein »mittelschwerer« Fall von Plagiat vorliege. Trotz erfundener Quellen und etlicher durch copy & paste aus anderen Werken zusammengeschusterter Seiten sei »kein durch Täuschungsabsicht geleitetes Fehlverhalten« gegeben. Halt das übliche Problem: Lässt man Leute erst Karriere machen, wird es für alle peinlich, Titel wieder abzuerkennen. Ob die beste Lösung aber wirklich darin besteht, Leute für zu dumm zum Schummeln zu erklären?
Schließlich brachte wiederum der Vater, früherer Ministerpräsident, die Backhus in einem Landesfachausschuss unter und hievte sie letztlich auf Landtagswahllisten. Erst Schwierigkeiten, üble Gerüchte über den Sieg in einer Kampfabstimmung dank Wahlfälschung. Dann kometenhafter Aufstieg, jedoch immer begleitet vom bösen Verdacht, als eine der bislang ganz wenigen Frauen dieser Partei unverdient nach oben gekommen zu sein, Frauenquote und so weiter. Hartes Brot, würde bei mir wohl ebenfalls eine gewisse Unnahbarkeit nach sich ziehen. Den ganzen Weg über immer flankiert von einem bestimmten BILD-Redakteur, der sie zum Herzschmerz-Adel der deutschen Volksseele erhob (»Trotz ihres Erfolges ist auch sie manchmal einsam«) und vielleicht deshalb später zu ihrem Pressesprecher wurde. Mit Eintritt in die große Politik natürlich alles nicht mehr nachvollziehbar, Intransparenz ohne Ende. Als Verkehrsministerin zumindest gingen ihr offenbar 1,6 Milliarden Euro »verloren«, immer wieder undurchsichtige Lobby-Kungeleien. Insgesamt aber eigentlich ganz sympathisch in ihrer Lebensuntauglichkeit unter harter Schale.
Читать дальше