„Das ist eine ganze Menge, das Sie mir jetzt erzählt haben, sogar so viel, dass ich zunächst selbst darüber nachdenken muss und mir erst einmal ein Bild davon machen muss.
Ich möchte deswegen heute keine unbedachten Äußerungen dazu geben und bitte Sie, dass wir uns morgen auf jeden Fall noch einmal treffen sollten. Ich schlage den gleichen Zeitpunkt wie heute vor! Wäre das in Ordnung für Sie?“ fragt er selbstbewusst.
Etwas überrascht darüber, dass er mir nicht gleich einen besser wissenden Vortrag dazu hält und mir sogleich irgendeine Diagnose in die Hand gibt, bin ich fast schon überzeugt von seiner Kompetenz und ich stimme dem neuen Termin gerne zu, denn ich fühle mich gerade um einiges erleichtert.
Hoffnungsvoll kehre ich in den Schleusenraum zurück, ziehe mich um und mache alle Prozeduren der Desinfektion, denn ich will Saundra auf keinen Fall in irgendeiner Weise gefährden.
Somit betrete ich den Intensivraum und sehe, dass Lázló an ihrem Bett sitzt, welcher ebenfalls ihre Hand hält und leise mit ihr spricht, was ich aber nicht verstehen kann und er bricht augenblicklich ab als er mich bemerkt.
„Matt! Nanu? Sie waren aber lange weg?“ schaut er mich verwundert an und sucht meinen Blick.
Dabei sehe ich auf meine Armbanduhr und stelle fest, dass ich tatsächlich geschlagene drei Stunden bei Dr. Perez verbracht habe und bemerke erst jetzt, dass ein Tablett mit Lunch auf dem kleinen Tisch auf mich wartet.
„Ach, Dr. Spector wollte unbedingt, dass ich mit dem Psycho-Doc rede, weil er befürchtet ich könnte in Depressionen verfallen was natürlich Quatsch ist, aber ich bin halt hingegangen damit er zufrieden ist.“ sage ich mit einer abwehrenden Handbewegung.
„Psycho-Doc? Sie? Naja! Obwohl … mit Ihren Schuldgefühlen ist das bestimmt keine schlechte Idee von Dr. Spector gewesen. Hat es Ihnen wenigstens etwas gebracht?“ will er wissen.
„Ich weiß nicht! Zuerst wollte ich ihm eigentlich gar nicht so viel erzählen, aber mit der Zeit hat es mir richtig gut getan mir alles von der Seele zu reden und da Dr. Perez ein Unbeteiligter ist, fiel es mir viel leichter zu reden als mit Bekannten und morgen soll ich wieder hin.“ sage ich wahrheitsgemäß.
„Dann machen Sie das doch, wenn es Ihnen gut tut!“ pflichtet er mir bei und ich sehe, dass sich an Saundras Zustand immer noch nichts verändert hat.
„Wenn ich mit Saundra reden könnte wäre das noch viel besser, dann würde ich mich auch wieder gut fühlen, aber solange sie im Koma liegt…“ sage ich bedauernd und schüttle hoffnungslos mit dem Kopf.
„Lassen Sie den Kopf nicht hängen, in ein paar Tagen sieht die Welt wieder anders aus. Dr. Spector meinte vorhin, dass alles sehr gut aussieht und er sie vielleicht übermorgen schon aus dem Koma holen kann.“ tröstet mich Lázló.
„Das wäre schön!“ sage ich aufatmend.
Mein Gesicht erhellt sich etwas und ich mache es mir auf dem Stuhl bequem, von dem er gerade aufsteht und ihn mir anbietet.
Schnell esse ich noch den Lunch und Lázló und ich verbringen den ganzen Nachmittag damit, Saundra Geschichten aus Palenque zu erzählen, welche wir gemeinsam erlebt haben bis er sich gegen Abend wieder verabschiedet.
Die nächsten beiden Tage verlaufen nach dem gleichen Muster, ich gehe morgens zu Dr. Perez, während Lázló allein an Saundras Bett wacht und die Nachmittage verbringen wir gemeinsam bei ihr, wobei Lázló die Klinik am Abend immer verlässt und es sich in meiner Wohnung bequem macht.
Doch jetzt am fünften Tag nach dem Unfall will Dr. Spector sie endlich wieder aufwachen lassen und setzt die Medikamente nach und nach ab, weil die Gefahr eines Hirngerinnsels jetzt nicht mehr gegeben ist und auch alle anderen Werte sich weiter stabilisiert haben.
„Dann bleibe ich hier und gehe nicht mehr zu Dr. Perez.“ stelle ich fest.
„Mr. Bolder, Sie können heute ruhig noch einmal zu Perez gehen. Es wird auf jeden Fall noch Stunden dauern bis sie aufwacht, möglicherweise sogar Tage.“ sieht mich Dr. Spector stirnrunzelnd an.
„Aber Dr. Perez hat doch festgestellt, dass ich nicht unter Depressionen leide, also muss ich auch nicht mehr unbedingt hin.“ sage ich schmollend.
„Ich weiß, das hat er mir gesagt! Sie brauchten offenbar einfach nur einmal jemand Unbeteiligten zum Reden! Konnte er Ihnen wenigstens auch Ihre Schuldgefühle etwas nehmen?“ fragt er und ich fühle mich gerade etwas peinlich berührt.
Hat Dr. Perez ihm etwa alles erzählt, worüber wir gesprochen haben und räuspere mich kurz.
„Ähm! Naja, ein wenig. Was hat er Ihnen denn alles erzählt.“ frage ich vorsichtig.
Dr. Spector macht jedoch eine abwehrende Handbewegung.
„Nur, dass Sie offenbar jemanden zum Reden brauchten, mehr nicht! Keine Angst! Vom Inhalt Ihrer Unterredungen und über die Therapie darf er gar nicht sprechen und das würde er auch niemals tun.
Ich habe keine Ahnung, worüber Sie mit ihm gesprochen haben, aber ich freue mich für Sie, dass es Ihnen offenbar etwas geholfen hat, denn Sie wirken heute schon viel entspannter als noch am Montag.“ sagt er lächelnd.
„Naja, das ist ja auch kein Wunder! Am Montag musste ich noch Angst haben, dass Saundra durch meine Schuld stirbt und heute weiß ich, dass sie leben wird.
Die Gefahr eines Schlaganfalls ist so gut wie ausgeschlossen und sie wird sicher bald aufwachen, darüber bin ich sehr erleichtert.
Natürlich fühle ich mich da anders und es geht mir auch wirklich schon sehr viel besser. Denn jetzt ich habe auch die Hoffnung, dass wir beide doch noch zueinander finden, denn ich liebe sie wirklich sehr.“ gestehe ich ihm.
„Ja, das merkt man immer wieder wenn Sie an ihrem Bett sitzen und ihr Geschichten erzählen. Ich bin übrigens sehr beeindruckt davon, welche Ausdauer Sie an den Tag gelegt haben in der letzten Woche und seien Sie mir bitte nicht böse, dass ich Sie zu Perez geschickt habe, aber Sie haben mir am Montag wirklich Sorgen gemacht.“ sagt er bedauernd.
„Ich liebe Saundra über alles und ich würde auch alles für sie tun, aber ich erzähle ihr keine Geschichten Dr. Spector, sondern unsere Erlebnisse aus Palenque. Das alles haben wir selbst erlebt und durchgemacht.“ antworte ich und ziehe dabei meine Augenbrauen etwas nach oben.
„Ach! Verdammt! Jetzt fällt es mir gerade wie Schuppen vor den Augen! Dann sind Sie der Archäologe, der diese außergewöhnliche Entdeckung in Mexiko gemacht hat? Ich habe da am Rande etwas mitbekommen, mir aber keine Namen gemerkt.
Ich weiß nur, dass sich die Fachwelt seitdem darüber streitet, ob man die Geschichte der … ach, wie heißt das Volk da?“ fragt er die Augenbrauen zusammenziehend.
„Maya!“ antworte ich kurz.
„Ja genau! Ob man die Geschichte neu schreiben muss oder ob man den Fund lieber ignorieren soll. Ach, dann waren Sie das?“ stellt er bewundernd fest.
„Ja! Das war ich! Ein Zufallsfund eigentlich, aber die Lorbeeren gehören nicht mir, denn Mr. Dunaway hat die Unternehmung finanziert und ich war nur sein Angestellter, also gebührt ihm auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit.
Ich brauche das nicht und will es auch gar nicht haben, ich will einfach nur meine Arbeit machen, mehr nicht.“ lächle ich ihn an.
„Nun seien Sie doch nicht so bescheiden, natürlich haben Sie den Fund gemacht! Das ging doch durch die gesamte Presse und auch das Fernsehen berichtete darüber, wo Mr. Dunaway ‚seinen Archäologen’ immer wieder hervorgehoben hat.
Aber wie gesagt, ich kann mir einfach schlecht Namen merken. Ich kann mir indessen aber gut vorstellen, nachdem Ihre Affäre mit Miss Dunaway so abrupt endete wie sie schon erwähnten, dass Sie dann nicht mehr vor die Kameras treten wollten.
Sehr schade eigentlich! Hat die Presse und das Fernsehen denn nicht permanent bei Ihnen angerufen, um ein Interview zu bekommen?“ fragt er mitfühlend.
Читать дальше