Als Hans merkt, dass ich mit Ruder und Kurs klarkomme, sagt er: „Ich verschwinde jetzt mal für eine Stunde. Diese kabbelige See macht mich immer etwas krank. Wirst du auch seekrank?“
„Bis jetzt noch nicht.“
„O.k. Dann warten wir es ab.“
Mich durchströmt ein Gefühl von Freude. Allein am Ruder, Verantwortung für Schiff und Besatzung und alles läuft reibungslos. Die richtige Situation, mich selbst als Kapitän zu träumen. Boje für Boje arbeite ich ab. Anfangs habe ich Angst, wenn die riesigen Schweden- oder Russendampfer anscheinend auf Kollisionskurs entgegenkommen. Für diese Giganten ist die „Antje“ von der Größe her nicht mehr als ein Rettungsboot. Als deren Bugwellen das Schiff aus dem Kurs drücken, reagiere ich die ersten zwei Male etwas hektisch, um den Kurs zurück zu bekommen. Dann habe ich gelernt und reagiere seitdem behutsam und angemessen.
Plötzlich die Stimme von Hans hinter mir: „Wie bist du mit dem Ruder auf der „Andrea A.“ klargekommen?“
„Überhaupt nicht.“
„Du scheinst ein Naturtalent zu sein. Da kannst du mal sehen, wie der moderne Schnickschnack natürliche Gefühle kaputt macht. Die „Andrea“ ist ja erst ein paar Monate alt und sehr modern eingerichtet.“
„Ja! Automatische Lenkhilfe. Das Gefühl von hier kann sich da gar nicht einstellen.“
Nun habe ich bereits gemerkt, dass Thema Nummer 1 das Lieblingsthema von Hans ist. Ich verstehe ja, dass in seemännischen Mangelsituationen das Reden über Sexualität diesen Mangel zu kompensieren hilft. Ich habe auch meinen Spaß daran. Mir wird es aber lästig, wenn mein Gesprächspartner entweder mit dem Thema nicht aufhören kann oder jede, aber auch jede Gelegenheit nutzt, um auf das Thema zu kommen. Ich ahne schon, dass der Begriff „natürliche Gefühle“ bei Hans entsprechende Gedankenverbindungen auslöst.
„Aber du hast das Gefühl!“
„Ich merke es. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, diese Erfahrung zu machen.“
„Wieso? Hast du denn noch nie gevögelt? Ich meine doch nicht das blöde Steuern eines blöden Schiffes. Ich meine: mit Frauen! Wann hast du das letzte Mal gebumst?“
„Vor drei Tagen.“
„Du Glücklicher. War sie hübsch?“
„Frauen, mit denen ich ins Bett gehe, müssen mir auch äußerlich gefallen.“
„Du Glücklicher. Genieße deine Jugend. In meinem Alter kann ich mir das nicht mehr aussuchen.“
„Nun ja - dafür bist du Kapitän. Jede Frau weiß, dass ich kein Geld habe. Sie weiß auch, dass du gegen mich ein Krösus, ein Millionär bist. Die Edelpuffs sind doch extra für dich gemacht. Gibt es etwa da keine hübschen Frauen?“
„Das schon, aber was dort tatsächlich läuft, davon hast du keine Ahnung. Kennst du Stockholm?“
„Nein!“
„Dann werden wir dort mal gemeinsam ein prima Lokal besuchen.“
Ich erfahre, dass Hans fünf Jahre lang verheiratet war und seit zwei Jahren geschieden ist. Er fühlt sich von seiner Ex-Frau verraten und verkauft. Sie hat sein Haus und Vermögen bekommen. Ihm ist nur das Geld geblieben, dieses Schiff zu kaufen, das nun Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen ist.
Jack ist Däne, der die letzten Jahre auf deutschen Schiffen fährt, weil er seine deutschen Rentenansprüche noch nicht voll hat.
„O.k. Was kann ich machen, wenn ich das Ruder abgegeben habe?“
„Du fragst unnötig, was du machen kannst. Fühle dich für das Schiff und seine Besatzung verantwortlich. Wenn du etwas siehst, von dem du meinst, da müsste eigentlich etwas geschehen, dann mach das. Hast du Hunger? Dann geh in die Pantry und koche uns etwas. Schau mal in der Kammer nach, was noch vorhanden ist. Ich hätte Lust auf Sauerkraut mit Bratwurst.“
Jack ist ein alter Fahrensmann, der voller Wissen, aber auch voller Aberglauben steckt. Irgendwie umgibt ihn ein Hauch von Magie. Am liebsten spricht er ganz leise. Er schreit nie.
„Willi - du darfst beim Auslaufen nie pfeifen oder flöten. Das gibt sonst unange-nehmen Sturm während der Reise. Du darfst auch das Wort `Sturm` während der Reise nicht aussprechen.“
„Willi - du darfst andere Menschen an Bord nie mit dem Besen anfegen. Du schiebst denen Unglück zu. Warte, bis die aus dem Weg sind.“
„Willi - eine Hand für dich und eine Hand für das Schiff. Nimm dich selbst wichtig.“
„Willi - was ist das für ein deutsch, das du sprichst. So habe ich noch keinen Sprechen gehört.“ (Damals konnte ich ihm nichts vom elaborierten und restringierten Sprach-Code erzählen, weil ich selbst nichts davon wusste.)
„Nun, wir sprechen zu Hause immer so. Außerdem bin ich eine Leseratte und in Büchern wird meist ein gutes Hochdeutsch gesprochen.“
„Dann kommst du sicher aus einer vornehmen Familie.“
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„Quatsch! Mein Vater ist Arbeiter bei Schmitz und Schulte und härtet dort die Stahlschrauben, die wir unten in der Maschine eingebaut haben.“
Jack zeigt mir, wie und wie oft die Maschine, die Schraubenwelle und die Ruder-mechanik mit Staufferfett abgeschmiert werden müssen - und noch andere Dinge:
„Willi - wenn du Benzin als Anbrennhilfe für den Koksofen nimmst, schütte das Zeug nie auf Glut, sonst müssen wir alle ins Rettungsboot. Sorge immer erst für eine offene Flamme. Ich mache es dir mal vor. Der Benzinstrahl muss scharf abreißen, sonst reißt die Explosion dir die Hände ab.“
„O.k.“
Jack ist ein Original. Als ich seine geflickte Arbeitshose bewundere, sagt er:
„ Willi - ich zeige dir eine echte, alte Bootsmannsnaht, mit der jeder Riss zu einem kleinen Kunstwerk wird.“
Die Schärenfahrt ist ein Erlebnis. Das verwinkelte Fahrwasser bringt wirklich schweißtreibende Arbeit mit sich. Wenn man hinter einer Felseninsel aus dem Lee in Luv hineinfährt, packt der Wind das Schiff und der Schlenker ist ähnlich, wie die Bugwelle eines großen Schiffes. Harte Arbeit! Alle paar Minuten ein neuer, interessanter Ausblick. Manchmal rauscht das Schiff mit Fahrradgeschwindigkeit in 10 - 20 Meter Abstand an steil aufragenden Felseninseln vorbei. Da sagt Steuermann Jack: „Was meinst du, wie interessant diese Strecke im Sommer und bei Sonnenschein ist. Dann sind auf vielen Felsen nackte Mädchen am Sonnenbaden, die uns teilweise bewusst reizen. Da ist unser Fernglas die wichtigste Navigationshilfe und der Rudergänger erleidet Höllenqualen, weil er sich auf die Fahrrinne konzentrieren muss statt auf andere. Die kleinen Biester sind süß, weil sie genau wissen, dass wir ihnen nichts tun können.“
Holger: „Da ist ein Pornoheft nichts gegen!“
Gut zu wissen, denke ich. In drei Monaten, das heißt im Sommer, bin ich auf jeden Fall noch hier an Bord.
Stockholm! Gelöscht wird erst morgen Nachmittag!
Hans: „Machen wir uns landfein! Erik übernimmt die Deckswache und sieht zu, dass er unseren Seewetterbericht erwischt. Wir gehen in das „Hellvele“. Ich gebe jedem von euch drei Bier aus. Wer mehr trinkt, muss selbst zahlen. So Willi, jetzt zeige ich dir mal, wie es in so einem Laden zugeht.“
Als ich mich mit Holger in dem kleinen Bad säubere, fragt Holger: „Was gefällt eigentlich den Frauen besser: Lange Fingernägel, oder kurze? Wollen Frauen lieber ehrlichen Männergeruch, oder mit Stinkewasser eingesprühte Männer? Wollen Frauen lieber glattrasierte Gesichter, oder Bärte?“
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