1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 „Ich habe gar nichts getrieben. Ich habe gutes Wetter für dich gemacht. Außer den Zärtlichkeiten habe ich nur erzählt.“
„Zärtlichkeiten? Was hast du mit deinen Pfoten gemacht? Erzähle, was hast du gemacht und was hat sie gesagt?“
Weil ich es schofelig gefunden hätte, zuviel von unserem Gespräch zu erzählen, erfinde ich einen ganzen Nutten-Lebenslauf, einen Lore-Roman, und gebe sonst nur Geschichten weiter, die von mir gekommen sind. Darüber hinaus wiederhole ich mehrere Male, ich hätte ihr gesagt, wie toll ich meinen Kapitän als Mensch und als Seemann finde.
Als wir gehen, kann Hans sich kaum noch auf den Beinen halten. Jack und Holger tragen ihn fast. Alle 100 Meter befreit er sich von denen, um mich zu umarmen: „Du bist ein wahrer Freund. Wir sind Freunde! Ich bin glücklich! Sieht man mir das nicht an? Juh huh! Juh huh!“
Am nächsten Tag ist mit ihm nichts anzufangen. Er bleibt in der Koje und ernährt sich von Aspirin und Alcar Selzer. Die Löscharbeiten beaufsichtigt Jack. Anschließend reinigen wir den Laderaum und bauen die Getreideschotten ab. Nachmittags taucht das verquollene Gesicht von Hans über dem Lukenrand auf. Er brüllt herunter: „Wisst ihr eigentlich, was ihr mich gestern gekostet habt? Über 500 Mark fehlen in meinem Portomonaie. Warum habt ihr nicht besser auf mich aufgepasst? Ihr seid doch meine Freunde!“
Mit dem voll beladenen Schiff durch die Schären zu fahren, ist bereits harte Arbeit. Mit dem leeren hatte ich es mir leichter vorgestellt. Das Gegenteil ist richtig. Wir werden in Uusikaupunki, etwa 100 km nördlich von Turku, Finnland, Holz übernehmen, auch als Deckslast. Hans ist stolz, dass seine „Antje“ jeden Hafen anlaufen kann, der auch von größeren Segelyachten erreicht wird. Das ist sein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Kümos, die durchweg einen größeren Tiefgang haben.
Bis dort drüben sind zwar nur 300 km Luftlinie - aber was für welche! Voller Untiefen, Inseln und Schären mit einer Fahrrinne, die an manchen Stellen schmaler ist, als unser Schiff lang. Kurs NO.
Das Wetter ist schlechter geworden, obwohl ich beim Auslaufen weder geflötet noch gepfiffen habe.
„Wer ist nun schuld?“ frage ich Jack.
„Verarsch mich nicht. Damit scherzt man nicht!“
Hans und Jack streiten über die beste Route. Dabei ist Hans risikofreudiger und will auch Abkürzungen fahren, die für Kümos nicht oder nur bedingt geeignet sind. Jack verweist auf den zunehmenden Sturm, der das Schiff auch unberechenbar abdriften lassen kann. Bodenberührungen wären bei Hansens Kurs durchaus möglich. Beide einigen sich auf einen Kompromiß.
Es wird immer schwieriger, die leichte, leere „Antje“ auf Kurs zu halten. Sie bietet dem Sturm zu viel Angriffsfläche. Die Rudergänger halten bereits das Ruder „hart steuerbord“, um den Sturm aus backbord abzufangen und das Schiff bewegt sich nicht „Bug voraus“, sondern driftet seitwärts, etwa 50 - 60 Grad zum vorgegebenen Kurs. Der Motor läuft nur Viertel bis Halbe Kraft. Alle gehen in immer kürzeren Abständen ans Ruder und lassen sich in immer kürzeren Abständen ablösen - nass geschwitzt.
Hans befiehlt, bei der nächsten Insel, die einigermaßen Windschutz bieten könnte, zu ankern. Nacht zeichnet sich bereits ab. Wir sind die ganze lange Dämmerung dieser Breite weitergefahren. Keine Insel entspricht dem Sicherheitsbedürfnis. Als unbeleuchtete Bojen nicht mehr zu sehen sind, heißt es: „Leggo Anker!“
Beide Anker packen nicht. Der Grund scheint nur aus glatten Felsen zu bestehen. Hans gibt sich mit dem Motor alle Mühe, den Anker in einer Spalte zu verhaken. Nichts! Das Schiff treibt in die zwischenzeitlich rabenschwarze Nacht, in der kein Blinklicht zu sehen ist, auf irgendwelche Felsen zu. Hans flüstert ununterbrochen: „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Hans und Jack hängen über der Seekarte und würfeln mögliche Positionen aus. Eine dreiviertel Stunde geht das so. Dann geht ein Ruck durch das Schiff. Einer der Anker scheint zu halten. Holger, Erik und ich gehen raus, um die Ankerlichter zu setzen. Das ist bei dem Sturm kaum möglich. Am Heck stehen wir und lauschen. Gegen den Wind ist zwar nichts zu hören, aber wir haben das Gefühl, dass es bis zum Felsen nicht weit sein kann. Der Sturm zerrt an der „Antje“ und die benimmt sich, wie ein nervöses, ängstliches Pferd an der Leine eines bösartigen und ärgerlichen Fremden. Na ja! In der Morgendäm-merung sehen wir dann den beinahe Schicksalsfelsen keine 10 Meter vom Heck entfernt. Er sieht aus, wie die Rückenschale einer riesigen Schildkröte. Auch wenn er offiziell bereits einen Namen hat, taufen wir ihn mit „Tee und Rum“ auf „Hansens Eiland“.
Der Sturm hat nachgelassen. Und in Punki, wir kürzen den Namen des Zielortes einfach ab, kommt Kapitän Hans nun endlich zu seinem Schuss, beziehungsweise seinen Schüssen. Mit zwei Flaschen Wisky, die ihm pro Flasche etwa vier Mark im Einkauf kosten, verschwindet er am frühen Nachmittag zu einer vom Fracht-agenten angegebenen Adresse und kommt am nächsten Morgen mit weichen Knien und dunklen Rändern unter den Augen an Bord zurück geschlichen.
Das Holz übernimmt die Besatzung mit eigenem Ladegeschirr, eine traditionelle und wenig effektive Art, aber dafür billig. Holger und ich stehen an den alten Glühkopf-Winschen. Vier Schauerleute an Land picken die Klafter an, wir holen sie über und vier Schauerleute an Bord verteilen das Holz dicht bei dicht im Laderaum. Jack passt auf, dass nicht gepfuscht wird und Lücken bleiben. In einer kurzen Pause kommt einer der Schauerleute zu mir. „Für eine Flasche Wisky oder Genever sorge ich dafür, dass du mit meiner Tochter vögeln kannst.“ Zuerst denke ich, der verarscht mich. Dann denke ich an die hiesige Prohibition und merke, dass es ernst gemeint ist. Ich frage: „Willst du sie mit dem Knüppel hierher prügeln?“
„Nein, du kommst zu mir nach Hause.“
„Nee! Da stehe ich nicht drauf! Machst du das öfter?“
Schulterzuckend und mit ärgerlichem Gesicht geht der Mann an seine Arbeit.
Nach drei Tagen ist der Laderaum voll und die „Antje“ wird seeklar gemacht. Richtig ordentlich, mit verkeilter Persenning. Anschließend wird das Holz auf Deck bis zu einer Höhe von etwa 1,80 m aufgestapelt und festgezurrt, bis das Schiff einem Holzklotz gleicht. Jack schaut jede halbe Stunde besorgt auf die Lademarke. Die Lademarke für Süßwasser ist bereits verschwunden. Leider, leider muss das Laden gestoppt werden, weil die Schleusenmeister das Schiff sonst nicht durch den Nord-Ostsee-Kanal fahren lassen.
Das Holz soll nach Hull in England gebracht werden. Hans ist jetzt schon begeistert. Die haben dort eine prima Seemannsmission mit einer tollen Bar und interessanten Frauen.
Punki ist nur noch ein schmaler Strich am Horizont. Ich grinse immer noch. Beim Ablegen taucht am Kai eine vollschlanke Frau auf, die Hans zum Abschied heftig zuwinkt. Hans winkt wortlos mit distanzierter Freundlichkeit zurück und bemüht sich, seine Rolle als Kapitän gut zu spielen. Natürlich spielen wir auch mit. Es fällt auf, dass er keine abfälligen Bemerkungen über diese Dame macht. Sie erinnert an Kuddel Daddeldus Braut: „... dicke, richtig anständige Frau!“ Sie hat ihm gut getan.
Das Schiff hat so viel Tiefgang, dass der offizielle Seeweg gefahren werden muss. Die „Antje“ ist schwerfällig und schlecht zu steuern. Bei Kursänderungen kommt sie erst gar nicht und dann ist der Schwung kaum zu stoppen. Wie ein riesiger Baumstamm, beziehungsweise Holzklotz, den ein zu kleiner Motor vorwärts treibt, tuckert sie gemütlich in Richtung Kiel, NO-Kanal.
Die Ostsee zeigt sich von ihrer besten Seite. Das erste stabile Frühlings-Hoch beschert eine sanfte Dünung, bunte Sonnenuntergänge, klare Sternennächte und aquamarine Morgendämmerungen. Das richtige Wetter für Glücksgefühle und Freude am Leben.
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