Jack: „Das sind haushohe Wellenberge, die wie eine Mauer auf dich zu rasen. Eigentlich entwickeln die sich erst ab Orkan und weiter draußen im Atlantik. So ein Apparat würde uns glatt das Ruderhaus abreißen.“
Wir drei von der Decksmannschaft kommen auch nicht mehr nach vorn in unsere Unterkünfte. Tradition ist: Holger schläft in der Kapitänsmesse auf der Couch, Erik beim Bootsmann und ich, als Neuer, auf einer Luftmatratze in der Mannschafts-messe.
Drei Tage nach Verlassen des NO-Kanals erreichen wir Hull. Die stinkendste und dreckigste Industrie ist in der Hafengegend konzentriert. Weil sich unsere Ankunft erheblich verspätet hat, werden wir sofort gelöscht, damit die Anlegestelle für den nächsten, bereits wartenden Pott frei wird. Wir haben nur einen Abend und eine Nacht zur freien Verfügung. Hans erwartet, dass sich alle schnellstens landfein machen, um Restaurant und Pub in der Seemannsmission zu beglücken. Erik wird als Deckswache eingeschärft, gut auf die Leinen zu achten. Die normale Tide steht hier bei drei Meter, im Extremfalle können es aber auch sechs Meter werden
Im „Sailors Home“ sieht es anfangs nach einem Reinfall aus. Hans ist schon sauer. Als wir gegen 20 Uhr dort ankommen, sitzen etwa zwei Dutzend Männer an sechs Tischen, essen , trinken und rauchen wie in einem normalen Restaurant. Drei Frauen hängen irgendwie zwischen ihnen. Die Atmosphäre entspricht der eines billigen Wartesaales. Ein Lichtblick sind drei junge, relativ gut aussehende Serviererinnen. Ich wundere mich, dass sie von allen Anwesenden nur sachlich und respektvoll angesprochen werden. Später erfahre ich, dass es Studentinnen eines kirchlichen Sozialseminars sind, die sich zum einen etwas Geld verdienen und zum anderen um 22 Uhr eine Gitarre hervorzaubern, um erst ein Kirchenlied und danach die Nationalhymne zu singen. Dann sind sie verschwunden. Mit einer von denen wäre ich auch gern verschwunden.
Nach einer Weile kommt eine der drei Frauen an unseren Tisch, dem Hans vorsitzt, streichelt mir über das Haar und fragt mich so allerhand: Wo wir herkommen, was wir machen, wie lange wir bleiben und ob wir es hier schön fänden? Um mir ihre volle Zuwendung zu signalisieren, setzt sie sich mit dem Rücken zu Hans auf dessen Stuhlkante. Sie ist nicht mein Typ. In Sekundenschnelle ist klar, dass die Chemie zwischen uns nicht stimmt. Während ich noch zögerlich distanziert auf sie eingeht, fängt Hans schon an, bei ihr zu fummeln und überschlägt sich fast, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Hans spricht eine Mischung aus englisch, friesisch und skandinavisch, was die Frau offensichtlich drollig findet. 30 Minuten später sind beide weg. Hans will ihr mal zeigen, wie ein Kapitän auf seinem Schiff eingerichtet ist.
Meine Sonne geht eine halbe Stunde später auf. Obwohl viele alten Gäste gegangen sind, wird der Laden immer voller. Viele Jüngere, auch Pärchen, lassen sich cliquenweise nieder. Discomusik dröhnt aus Lautsprechern. Mobilar wird mit viel Krach verschoben und einige Paare beginnen zu tanzen. Ich fühle mich beobachtet und suche das Augenpaar. Als ich es gefunden habe, bleibt mir die Luft weg. Die könnte eine Traumfrau sein! Ich blinzele ihr zu und stelle mich an die Theke. Nun ist das auch der Weg zur Toilette, den die Frau zwei Minuten später nimmt. Als sie zurück kommt, laufe ich kommunikativ zur Höchstform auf, bekomme glänzende Augen und rote Backen. Kate, my angel, is very amused, obwohl ich tapsig wie ein Bär tanze. Ob Geld bei ihr eine Rolle spielt, (ich habe viel zu wenig für so eine Frau) bekomme ich durch einen kleinen Test `raus: „Ich habe nur noch Geld für ein Bier, dann muss ich gehen.“ Darauf sie: „Lass uns noch ein bisschen tanzen und schwätzen. Gehen wir dann zu mir oder zu dir?“ Ich mache ihr vor, wie klein meine Koje ist. Kopfschüttelnd lacht sie: „Also dann zu mir! Let`s engage us!“ Endlich kommt diese Formel, von der ich gehört habe, dass sie an Englands Küsten Frauen öffnet. Kate ist Bankangestellte, stammt aus Bristol und ist mit zwei anderen Kolleginnen hier, um einen Seemann abzuschleppen. „Jack! Meine Sterne stehen erstklassig - und nicht nur die!“
Am nächsten Morgen schleiche ich mich mit weichen Knien an Bord. It was a very nice night. Indead!
Von den vielen Erlebnissen an den Küsten der Nord- und Ostsee soll nur noch von drei weiteren einschlägigen berichtet werden:
In Udevalla, nördlich von Göteborg, will Hans unbedingt vom Tivoli, also von der lokalen Kirmes, ein junges Ding abschleppen. So an die 700 - 1000 SKr hatte Hans bereits in das Mädchen und ihre Freundin investiert (100 - 130 DM). Eintrittsgelder, Schleckereien, Erlebnisbuden usw.
„Hans“, sage ich, „das Mädchen ist noch zu jung. Die braucht nur `nen Shuggar- Daddy zum Melken. Lass die Finger davon.“
„Was sagst du? Die ist noch zu jung? Schön - warte ich noch `n Stündtchen! Bald habe ich sie so weit.“
Jack und ich vergnügen uns an der Schießbude, wo sich ein Witzbold und ein verbissen soldatischer Typ ein Wettschießen liefern. Hans taucht mit den zwei Mädchen auf: „Sie wollen das Schiff kennenlernen. Du kommst doch mit!“ Das ist keine Frage, sondern eine Order. „Du kannst mit der hier auf der Couch in meiner Messe bumsen.“ Im Allerheiligsten!
Hans ist verblendet. Je näher wir dem Schiff kommen, desto unglücklicher sehen die beiden Kleinen aus. An Bord spielt Hans den großzügigen Gastgeber. Er stellt eine Flasche Glenfittich auf den Tisch (den die Mädchen ohnehin weder kennen, noch zu würdigen wissen), füllt Zahnputzbecher halbvoll, umarmt seine Eroberung, animiert zum Trinken und säuft sein Glas in kürzester Zeit leer. Zugegeben, zu diesem Zeitpunkt hielt ich die in jämmerlichem Ton gemurmelten Sätze für Stoßgebete oder irgend etwas Ähnliches. Hans bugsiert sein Mädchen mit sanfter Gewalt in den Nebenraum, sein Schlafzimmer. Keine zwei Minuten später, ich sitze noch unschlüssig und blöd-grinsend vor meinem Qualitätswisky, als mein Täubchen mit einem schrillen Schrei aufspringt, mir den Tisch vor den Bauch stößt, dass der Wisky umfällt, rast zum Nebenzimmer, reißt ihre Freundin mit heftiger Gewalt aus der Koje und Hansens Armen, kreischt dabei schlimmer als eine Alarmsirene und schreit uns unverständliche Worte zu. Beide verhalten sich hektisch, als wenn ihr letzter Zug in zwei Minuten abfährt und sie noch einen 100-Meter-Lauf dorthin vor sich haben.
Hans steht verdattert im zerknitterten Ausgehhemd ohne Hose in der Tür und hält einen BH in der Hand.
Ich fange an zu lachen, lachen - über Hans, die beschissene Situation und vor Erleichterung. Die beiden Kleinen waren Klasse. Was ich für jämmerliche Stoßgebete hielt, war ein Austausch ihrer künftigen Strategie. Hans schreit wütend: „Du Arschloch! Warum hast du deine nicht festgehalten? Mit meiner alleine wäre ich fertig geworden!“
„Von wegen Arschloch! Morgen früh wäre die Polizei hier gewesen und hätte dich als Kinderschänder ins Loch gesteckt. Sei froh, daß die beiden Täubchen uns ausgetrickst haben. Das waren bestimmt noch Schülerinnen.“
„Recht hast du. Lass uns den restlichen Wisky verputzen.“
„Soweit noch welcher vorhanden ist.“
In Skelefteahamn, einem kleinen Städtchen tief in den Schären und südlich von Stockholm gelegen, stehe ich auf dem Ruderhaus und putze die Messinghaube des Ersatzkompasses, als unten an der Pier ein vielleicht 18-20-jähriger junger Mann hochruft: „Hej! Sejmann! Ein Geschäft mit dir!“ Ich klettere runter an Deck. Das Geschäft heißt: eine Flasche Schnaps, egal welche Sorte, gegen 30 SKr.
„Schnaps hat nur der Kapitän!“ „Dann ruf ihn - bitte!“
Hans kommt und hört sich den Jungen an. Dann geht ein Leuchten über sein Gesicht: „30 Kronar und ein Mädchen, das sich mit mir eine Viertelstunde auf meine Couch legt!“
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