Bei unserer letzten Ausfahrt Richtung Ostsee, lässt Hans die Fahrrinne kreuzen,
um der Insel ganz nahe zu kommen. Dafür spielt er etwa eine Viertelstunde einen maritimen Geisterfahrer. Die beiden Hübschen liegen nackt vor dem Garten-häuschen. Sie haben sich aufgerichtet und beobachten die Szene. Hans lässt über die Bojenmarkierung hinaus fahren, verlässt den Seeweg und fährt etwas um die Insel herum. „Leggo Anker!“ Dabei reibt er sich voller Vorfreude die Hände: „Jungs, wir haben in diesem Quartal noch nicht das vorgeschriebene Rettungs-bootsmanöver gemacht. Auf! Auf! An die Arbeit!“
Die beiden Damen haben uns genau so scharf im Auge, wie Hans sie. Als sie merken, dass sie eventuell mit einem Besuch rechnen müssen, kreischen sie wild los und rennen ins Häuschen, um sich anzuziehen. Hans befiehlt: „Zieht eure Hemden aus und zeigt eure gebräunten und gestählten Oberkörper!“ Er selbst hat über seinen nackten Oberkörper die verwaschene Kapitänsjacke offen und lose gehängt. Unter der fleckigen Kapitänsmütze quillt sein volles Haar nach allen Seiten heraus. Mit seinem rundlichen, kleinen Bäuchlein wird er längst nicht bei jeder Frau Eindruck machen können. „In die Riemen - eins und zwei, eins und zwei!“ Hans gibt den Rudertakt an und steuert das Rettungsboot in Richtung Landungssteg hinter der Insel. Die beiden Frauen rufen von der Insel aus: „Landung verboten! Wie phonen de Poließ!“ Hans fragt uns, natürlich scherzhaft: „Habt ihr hier schon mal `nen Telefondraht gesehen?“ Dabei wirkt er sehr sicher.
„Nee,“ sage ich ironisch, „aber das Transatlantikkabel läuft auch nicht über Tele-
grafenstangen.“
Darauf Hans: „Klugscheißer!“
Während die beiden jungen Frauen mit Steinen nach uns werfen und sich mit langen Stangen bewaffnet haben, befiehlt Hans: „Wir umrunden einmal die Insel und halten Ausschau nach dem Kabel. In die Riemen, Jungs!“
Wenn man sich mit eigener Körperkraft bewegt, bekommt man ein realistisches Gefühl für Entfernungen. Da merkt man erst, dass die stinkenden Motoren zwar eine Erleichterung sind, aber auch das Raumgefühl verzerren. Wir brauchen etwa eine halbe Stunde, die Insel zu umrunden. Das Kabel sehen wir im Westen der Insel im Wasser verschwinden. Hans meint: „Schade, daß wir so leicht zu identifi-zieren sind. Unser Schiffsname ist ja nun wirklich gut zu lesen. Mit Vergnügen würde ich das Kabel kappen.“
Wir sehen schon die „Antje“, als dahinter ein Polizeiboot auftaucht und auf uns zu steuert. Hans: „Scheiße! Jungs! Ein bisschen eleganter die Riemen eintauchen. Nehmt euch zusammen! Bootsmanöver sollen euch trainieren. Gleichmäßiger Jungs! Gleichmäßiger! Wir fahren den Blauen entgegen.“
Die zwei Polizisten hören sich Hansens Erklärung grinsend an: Ja, ja! Sie hätten einen Notruf von den zwei Damen bekommen. Sie gingen davon aus, dass Hans mit zwei Flaschen Wisky die Angelegenheit aus der Welt schaffen werde.
Klar, macht Hans gute Mine zu diesem Spiel. Das Polizeiboot ist kaum außer Hörweite, da spuckt Hans „Gift und Galle“: „Satan, Dübel, Plexen, Jävla fifan de Hellvelle!“ Das Boot fährt direkt zum Landungssteg zu Hansens gescheiterten Eroberungen. Noch stundenlang flucht Hans vor Enttäuschung, die in seiner Phantasie noch größer wird, weil er sich vorstellt, dass die Polizisten mit den beiden Frauen gemeinsam die Flaschen leeren.
Ich bin sauer und koche vor Wut. Wenn ich den Lumpen erwische, springe ich ihm ins Gesicht. Dieses Miststück! Dieser hundsgemeine Dieb. Klaus, der neue Moses, Schiffsjunge, der Jüngste an Bord, ist verschwunden und mit ihm mein neuer Mantel und 20 Mark aus meinem Portomonaie. Keine vier Wochen hat Klaus es auf dem Schiff ausgehalten.
Gestern Abend kamen wir aus Kings Lynn/ England hier in Hamburg an, machten noch im Dunklen das Schiff ladeklar, damit heute morgen pünktlich die Arbeit der Schauerleute beginnen kann. Die „Angela D.“ ist ein altes Schiff mit schweren Holz-Lukendeckeln und steifen Persennings. Die Arbeit ist mühsam. Müde fielen wir alle in unsere Kojen, zu müde, um noch in der Kneipe gegenüber ein Bier zu trinken. Und heute Morgen ist Klaus weg. Mit ihm mein schöner dunkler Mantel, der eine ganze Monatsheuer gekostet hat. Außerdem fehlen 20 Mark aus dem Portomonaie, das in der Schublade liegt.
Dieser Diebstahl hat für den Dieb Folgen. So nicht Bürschchen!
Als Kapitän und Steuermann nach dem Ladebeginn etwas Luft haben, erzähle ich denen, was anliegt. Sauer gibt der Kapitän Order an seinen Offizier: „Gib dem Willi die Adresse von seinen Eltern und ruf die Heuerstelle an, dass wir bis heute Abend einen neuen Schiffsjungen brauchen. Das Seefahrtsbuch von Klaus halten wir hier fest. Das bekommt er erst zurück, wenn er formell gekündigt hat.“
Der Steuermann erwidert darauf: „Ich habe ihn heute Morgen gehen sehen - Richtung Stadt. Allerdings nur von hinten und schon dort drüben bei den Speichern. Es mag so halb sieben gewesen sein. Es war noch dämmerig. Ich dachte aber, der Klaus kann es ja nicht sein - `ne Verwechslung.“
Ich zockele los. Nach meinen Berechnungen bin ich in einer guten halben Stunde bei den Eltern von Klaus. Auf dem Weg male ich mir aus, wie ich Klaus zur Rede stellen und eine Ohrfeige oder einen Kinnhaken verpassen werde. Boing! Danach wird der sich überlegen, ob er so etwas noch einmal macht. Nehme ich seine Entschuldigung an?
Ich steige in den dritten Stock eines alten Hauses, das möglicherweise bereits den Bombenhagel der Kriegszeit überlebt hat, Klo auf halber Treppe. Tief durchatmen - klingeln.
Die Tür wird von einer zierlichen kleinen, etwa 45/50-jährigen Frau aufgemacht. Sie schaut mich freudlos, verhärmt und abweisend an.
„Ich möchte gern Klaus sprechen.“
„Klaus ist nicht da.“
„Meines Wissens ist er aber hier.“
„Nein! Er ist nicht da. Er fährt zur See.“
„Jetzt nicht mehr. Deshalb glaube ich auch, dass er hier ist.“
„Moment mal! Wer sind sie und was wollen sie von Klaus.“
„Ich bin Willi, ein Kollege von Klaus und will mein Geld und meinen Mantel zurück.“
„Und wieso ausgerechnet von Klaus?“
„Weil der mir Geld und Mantel gestohlen hat.“
„Kommen sie doch bitte herein und erzählen sie mir alles.“
Sie führt mich an der geöffneten Küche vorbei ins Wohnzimmer, das mit seinen preiswerten Möbeln einen zwar ärmlichen, aber bemüht bürgerlichen Eindruck macht. Als ich mich in den Sessel setze, stöhnt dieser knarrend auf.
„Bitte verstehen sie mich. Ich bin in Sorge um meinen Sohn. Kann ich uns eine Tasse Kaffee machen? Das geht schnell.“
„Darf ich mir eine Zigarette anstecken?“
„Ich bin Nichtraucherin und mag den Gestank gar nicht. Aber das hier ist eine besondere Situation. Tun sie es.“
Sie verschwindet in der Küche und ruft von dort:
„Erzählen sie doch mal, wie es auf Ihrem Schiff zugeht und was Klaus dort zu arbeiten hat.“
„Als Klaus vor vier Wochen an Bord kam, nahmen wir gerade Stückgut auf, so Kisten mit Maschinenteilen. Bestimmungsort: Mellila in Nordafrika. Dann fuhren wir nach Casablanca und ließen uns voll Phosphat schütten. Das brachten wir nach Kings Lynn in England. Und jetzt nehmen wir Stückgut für Stockholm auf.“
„Und was macht Klaus dabei?“
„Wir sind ein kleines Küstenmotorschiff. Außer dem Käptn und dem Stürmann gibt es noch den Matrosen, den Leichtmatrosen, einen Jungmann, das bin ich - und natürlich Klaus, den Schiffsjungen, den Moses. Der muss jedem zur Hand gehen, wenn zwei Hände nicht reichen und manchmal muss er für alle kochen.“
„Was? Der Klaus muss kochen? Das ich nicht lache. Hier zu Hause war ihm das Schmieren der Butterbrote zu viel.“
„Wir haben es gemerkt. Auf so einem kleinen Schiff müssen alle alles machen.“
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