Ich höre vom Wachthabenden, dass die Russen den Sputnik gestartet haben und dass wir ihn möglicherweise in Kokola zu sehen bekommen. Die Russen geben sehr freigebig sämtliche Daten heraus, die zur Positionsbestimmung wichtig sind. Und tatsächlich, in Kokola stehen wir alle an Deck und sehen bei bestem Wetter in der Abenddämmerung den leuchtenden Punkt geräuschlos von Südwest nach Nordost ziehen. Der Funker bemüht sich, die Funksignale einzufangen, aber es gelingt ihm nicht.
Die Decksmannschaft sitzt beim Abendessen. Das Beladen des Schiffes ist in vollem Gange. In der Mannschaftsmesse stehen zwei lange Tische. An einem sitzt der Bootsmann mit seinen sechs Matrosen, an dem anderen sitzen die sechs Noch-Nicht-Matrosen. Ich sitze wie immer mit dem Rücken zum Bootsmann. Natürlich unterhalten sich alle an beiden Tischen über den Sputnik.
Ich erkläre gerade meinem Tischnachbar, wie man sich die Physik erdumkreisen-der Satelliten vorstellen sollte, nämlich als das Gleichgewicht zwischen Gravitation, Fliehkraft und Geschwindigkeit, als Dick hinter mir anfängt zu schreien:
„Jetzt habe ich aber die Schnauze voll von diesem Klugscheißer. Was redet der da? Der Sputnik ist Russen-Scheiß - Russen-Lüge!“
Da ich ihm den Rücken zukehre und auch bisher noch kein persönliches Wort mit ihm gewechselt habe, fühle ich mich nicht angesprochen. Aber an den erschrocken aufgerissenen Augen meiner Tischgenossen merke ich, was sich hinter mir tut. Nun wagt auch Dick nicht, mich hinterrücks zu schlagen. Meine Haare haben sich gesträubt und ich beiße die Zähne fest aufeinander, als ich mich jetzt umdrehe.
„Hattest du mich gemeint?“
„Wen denn sonst? Du Arschloch! Tu nicht so scheinheilig und erzähl hier nicht so einen Scheiß. Der Sputnik fliegt in deinem Kopf. Der ist eine große Lüge.“
„Du hast ihn doch auch gesehen?“
„Das war ein Flugzeug, ein hochfliegendes Flugzeug. Nix als Täuschung und Lüge. Ich habe erlebt, wie die Russen uns in Schwerin die Fabriken abgebaut, die Gleise herausgerissen und alles geklaut haben. Die sind technisch so weit, wie wir am Anfang des Krieges. Hör auf, uns solche Lügen zu erzählen, verdammter Russki!“
„Ich habe euch gar nichts erzählt. Ich habe hier mit meinen Tischnachbarn gesprochen. Hast du mal gezählt, wie lange dein hochfliegendes Flugzeug gebraucht hat, um von Südwest nach Nordost zu kommen?“
„Quatsch! Wieso?“
Mit dem „wieso“ ist mir klar, dass Dick nicht zuschlagen wird - zumindest nicht spontan und sofort. Er will Argumente.
„Ich habe zwar nicht direkt gezählt, aber nachträglich die Zeit geschätzt. Es müssen ungefähr 90 - 120 Sekunden gewesen sein, vom ersten Sichtkontakt bis zum Verschwinden. Wenn ein Flugzeug das schaffen will, dann muss es schon sehr niedrig fliegen und dann hörst du den Motor. Je höher ein Flugzeug fliegt, um so langsamer sieht es aus. In zehn Kilometer Höhe kannst du ein Flugzeug mehrere Minuten lang beobachten. Außerdem hören scharfe Ohren die Motoren. Hast du irgend etwas gehört?“
„Jau! Hab ich!“
„Bist du sicher, dass es von oben kam?“
„Jawoll!“ Jetzt protestiert ein Matrose hinter ihm: „He Dick! Das Geräusch kam einwandfrei aus dem Dorf. Das haben wir doch direkt gesagt.“ Auch andere Matrosen murmeln Zustimmung. Dicks Position bröckelt. Wut verschwindet aus seinem Gesicht und macht Missmut Platz. Da ruft der Bootsmann: „Lass den Willi mal rüberkommen und uns was vom Sputnik erzählen. Er hat zwar nichts zu sagen, aber erzählen kann er uns doch was.“
Dick guckt mich feindselig an und schlenkert mit seinem rechten Arm wie ein Gorilla bis dicht vor meinen Körper. Ich schaue ihm fest in die Augen. Da wendet er sich von mir ab und setzt sich schwerfällig.
Auf diesem Schiff muss ich 27 Tage aushalten: Die Ostsee einmal rauf und wieder runter. 23 mal habe ich dem Bootsmann die Karten gelegt. 46 Überstunden hat mir der Bootsmann dafür angeschrieben.
In Kiel-Holtenau gehe ich von Bord und habe nach einem alten Seemannsbrauch noch einmal kräftig gegen den Schiffsrumpf gepinkelt - als allgemeines Symbol für Scheißdampfer! Oben an Deck steht reglos die massige Gestalt des Bootsman-nes und schaut zu.
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