Herbert Rensing nahm diesen Druck an, und schon nach einem Jahr stand er oben auf der Liste. Drei erfolgreiche Jahre später hatte er das Image des Topsellers. Er gehörte zu dem kleinen Kreis von nicht einmal zwanzig Verkäufern in Deutschland, die das Häubchen auf der Sahne der Top-Salesmen-Crew waren. Für diesen Erfolg investierte er viel. Er schuftete wie ein Stier, aber er verdiente auch viel Geld. Als es ihm gelang, die Telemedia für MicroData als Kunden zu gewinnen, galt er als einer, dem alles gelang.
Der erste Auftrag war schon groß, und es folgten weitere. Der IT-Chef der Telemedia war Dr. Fritz Eggebrecht. Er hätte Herbert´s Vater sein können, denn er war fast zwanzig Jahre älter. Er erkannte in dem jungen Verkäufer der MicroData sich wieder, seinen Ehrgeiz und seinen Willen, sich durchzusetzen. Als Herbert Rensing in einer schwierigen Projektsituation mit seinem Krisenmanagement den reibungslosen Einsatz der Systeme sicherstellte, passte zwischen Dr. Eggebrecht und Herbert Rensing kein Blatt Papier mehr. Zwischen den beiden ungleichen Partnern entstand eine persönliche Freundschaft, die bis zur Pensionierung von Dr. Eggebrecht, zwanzig Jahre später, währte.
In dieser Zeit machte Rensing Karriere, bis er schließlich Direktor wurde. Auch in dieser Position hielt er engsten Kontakt zur Telemedia und Dr. Eggebrecht. Natürlich gab es eine Vertriebsmannschaft, die den Kunden in all seinen Verästelungen betreute, doch über allem schwebten Herbert Rensing und Fritz Eggebrecht, die ohne große Worte die Weichen stellten und die neuen Projekte und Geschäfte auf den Weg brachten.
Reinhard Saatkamp wusste das. Er unterbrach die Stille, so als wenn er ahnte, was in Herbert Rensing´s Kopf vorging.
»Lebt Dr. Eggebrecht eigentlich noch?« Herbert Rensing erwachte aus seinen Gedanken.
»Ja. Er lebt in Garmisch in einem Seniorenheim. Leidet unter Alzheimer. Ich habe ihn vor ein paar Monaten besucht, doch er hat mich nicht mehr erkannt. Trauriges Ende.«
»Er hat Dir damals sehr geholfen.«
»Was meinst Du damit?«
»Als ein paar Jahre vor der Fusion GlobalTech mit der Telemedia ins Geschäft kommen wollte und Dich deshalb desavouieren und kompromittieren wollte.«
»Ach, die Geschichte meinst Du? Warum reden wir eigentlich über so alte Kamellen?«
»Wir fahren zu einem Nostalgietreffen. Hast Du das vergessen? Da geht´s nur um alte Kamellen.«
»Ja, das war was. Ich musste zum Vorstand wegen der Anschuldigungen der GlobalTech. Die hatten bei der Telemedia gestreut, ich sei hochverschuldet und hätte den Offenbarungseid nur deshalb nicht leisten müssen, weil ich von der Mediasystem, die damals ein ernsthafter Wettbewerber der Telemedia war, Geld für interne Informationen der Telemedia erhalten hätte.«
»Und? Hast Du?«
»Quatsch. Jetzt fängst Du auch noch an. An der Sache war absolut nichts dran. Ich hatte Mitte der achtziger Jahre an der Börse viel Geld verloren. Das war alles. Unser Vorstand wollte wissen, was an der Sache dran war. Der einzige, der nie an mir zweifelte, war Dr. Eggebrecht. Er entlarvte GlobalTech und stellte sich hinter mich. Als der Europachef von GlobalTech einen Gesprächstermin bei Dr. Eggebrecht wünschte, erklärte er ihm, dass er weder ihn noch irgendeinen anderen Repräsentanten seiner Firma sehen wollte. Jetzt nicht, und auch in Zukunft nicht.
Damit war die Sache erledigt.«
Herbert Rensing hatte Dr. Eggebrecht viel zu verdanken, nicht nur in der Angelegenheit mit GlobalTech. Auch ansonsten war Fritz Eggebrecht für Herbert Rensing ein wichtiger Mann. Durch ihn erweiterte sich sein Horizont, und im Laufe der Jahre entwickelte sich auf diesem Wege der eloquente und auf jedem Parkett eine gute Figur abgebende Herbert Rensing.
Das war ihm nicht in die Wiege gelegt worden. Er war als junger Mann ungeschliffen, wuchs in einer Arbeitersiedlung auf. Für seinen Vater bedeutete Karriere, dass sein Sohn als Großhandelskaufmann mit Hemd und Krawatte ins Büro gehen konnte.
Seine Frau Renate lernte Herbert Rensing bei seinem Zahnarzt kennen. Sie arbeitete dort als Zahnarzthelferin. Als er sich von der Behandlung und seiner Angst erholt hatte, lud er sie zum Tanzen ein. Sie war kess und sagte ihm, dass sie eigentlich nicht mit ängstlichen Typen ausgehen wollte. Er ließ nicht locker, und er gewann. Drei Jahre später heirateten sie.
Als er beruflichen Erfolg hatte und sich sein Lebensstil damit veränderte, traten auch bei ihr Veränderungen ein. Sie kleidete sich vornehmer, trug Kleidung und Accessoires von Markenfabrikanten, blieb aber in ihrem Innersten bodenständig. Wenn Herbert zu sehr übertrieb, hielt sie ihn zurück, was ihr anfangs gut gelang. Im Verlauf der Jahre allerdings verlor sie immer mehr an Einfluss auf ihren Mann. Herbert Rensing hatte den Reitsport für sich entdeckt, und auch sie und die Kinder ritten, doch Herbert verlor das Gefühl für das angemessene Maß. Er kaufte Reitpferde für sehr viel Geld und stellte sie in einem sehr renommierten Reitstall unter. Wenn Renate ihn mahnte und darauf hinwies, dass es auch ein billigerer Stall sein könnte, oder wenn sie ihn fragte, warum er denn nun schon das dritte Reitpferd für sich kaufen müsste, obwohl ihm seine Arbeit kaum die Zeit lässt, auf einem zu reiten, tat er ihre Einwände ab und nannte sie kleinkariert.
So blieb es nicht aus, dass sich die beiden mit den Jahren auseinanderentwickelten.
Herbert Rensing schaute in die Ferne. Der Himmel vor ihnen war wolkenverhangen und die Berge waren nicht zu sehen.
Reinhard Saatkamp drehte das Radio lauter. Ö3 berichtete über den seit einigen Tagen über Tirol tobenden Schneesturm, der schon erhebliche Schäden verursacht hatte.
»Hast Du gehört, Herbert. Heftiger Schneefall. Hoffentlich ist die Straße zum Wildspitzhof frei.«
»Wird schon, Reinhard.« Er zögerte.
»Zum Umdrehen ist es jetzt zu spät.«
Herbert Rensing drückte sich in die Polster. Vielleicht war es ein Fehler, zum Hof von Helmut Sikorra zu fahren.
Tiroler Landeskrankenanstalten, 12. Dezember 2010
Hauptkommissar Gerstel schaltete das Licht in dem Zimmer an, da es draußen schon dämmerte.
»Eine E-Mail sagen Sie?«
»Ja, eine E-Mail. Ich war völlig überrascht, als ich sie erhielt. Sie kam von Helmut Sikorra. Der war einmal einer meiner besten Kollegen gewesen. In Anlehnung an Frank Sinatra und ein paar weiteren Künstlern nannten wir uns nach einem feuchtfröhlichen Abend »The Rat Pack«.«
»Rat Pack?«
»Ja. Wie in den fünfziger Jahren als Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Dean Martin, Joey Bishop und Peter Lawford so genannt wurden.«
»Und das fanden Sie gut?«
»War nur ein Scherz. Sie wissen ja wie das ist, wenn man etwas getrunken hat. Da kommt man auf die ulkigsten Ideen. Jedenfalls hielten wir uns für unzertrennlich. Das Geschäft hatte uns zusammengeschweißt. Wir hatten gemeinsame Interessen.
In den zwölf Jahren zwischen neunzehnhundertachtzig und neunzehnhundertzweiundneunzig entwickelten wir das Geschäft mit elektronischen Bauelementen und Rechnern in den verschiedenen Regionen der Welt und machten die MicroData zu einem der großen Fünf auf den globalen Märkten. Wir standen ständig im Wettbewerb zu den vier anderen, und je nach Region oder Branche war es meistens entweder die GlobalTech oder die DCL, gegen die wir uns behaupten mussten. Die ASC hatte ein starkes Geschäft mit der amerikanischen Rüstungsindustrie, für uns tabu, und die CIG trat neben Frankreich nur in Afrika, wo wir uns erst im Aufbau befanden, ernsthaft in Erscheinung. Neunzehnhundertachtundachtzig hatten wir es geschafft. Ein deutsches IT-Unternehmen war in die Championsleague aufgestiegen, und dies war unser Erfolg.
Aber das war lange her, als ich die E-Mail erhielt. Von Helmut Sikorra hatte ich seit der Fusion vor achtzehn Jahren nichts mehr gehört. Umso mehr war ich überrascht. Der Inhalt der Mail war abgefasst, als wenn sich seit damals nichts geändert hätte.«
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