„Möchtest du mir absichtlich wehtun?“
„Natürlich nicht“, versicherte Jodie, der die harten Worte schon wieder leidtaten. „Dafür liebe ich dich zu sehr. Aber versteh mich bitte. Ich möchte endlich am Leben teilnehmen. Natürlich weiß ich, dass du nur mein Bestes willst, aber was glaubst du hält mich noch hier? Deine Verbote? Vaters Distanz? Gestern hat er mir sogar eine Ohrfeige gegeben.“
„Alan hat dich geohrfeigt?“ Ihre Stimme war kaum hörbar.
„Das ist nicht schlimmer als sein Desinteresse.“ Jodie holte schnell Luft, bevor sie der Mut verließ. „Ich habe beschlossen, euer Schweigen zu respektieren. Aber im Gegenzug solltet ihr respektieren, dass ich endlich ein eigenständiges Leben führen möchte. Keinen Tag länger als nötig halte ich es hier aus.“
Die Mutter war kreidebleich geworden. „Hat dein Vater mit dir gesprochen?“
„Nein, warum?“ Jodie faltete ihre Hände ineinander. „Ich schätze, ihn trifft es zuletzt wenn ich fortgehen würde. Deswegen werde ich ihn bitten mich zu verheiraten. Ich muss endlich meinen eigenen Weg gehen.“
Die Mutter zog sich die Haube vom Kopf. „Du hast ja recht“, lenkte sie unerwartet ein und legte die Haube auf den Tisch. Ihr erneutes Seufzen schien aus dem tiefsten Inneren zu kommen. „Als … uns diese Männer überfallen haben“, begann sie mit brüchiger Stimme und wich ihrem Blick aus, „das war kein …“
Lautes Gepolter drang zu ihnen. Ein Blick in das verschlossene Gesicht der Mutter sagte alles. Der Mut, endlich alles zu sagen, war so schnell verschwunden wie er gekommen war. Jodie wäre John und dem Vater am liebsten an die Kehle gesprungen, als sie plaudernd zur Tür hereinkamen. Wie eine ertappte Sünderin erhob sich die Mutter und strich sich das braune Kleid glatt.
„Sieh an, die Damen des Hauses lungern faul herum, während wir für das Abendessen gesorgt haben“, stellte John fest und spitzte die wulstigen Lippen. Seine Wangen hatten die Frische des Winters, die braunen Augen funkelten und die abstehenden Ohren glühten. Über seine rechte Schulter lagen zwei tote Kaninchen, die er an den Pfoten festhielt. An seiner Hand klebte eingetrocknetes Blut wie auch am erdfarbenen weiten Umhang. Die Gugel hing schräg auf dem Kopf, unter der sein schwarzer Haarschopf hervorlugte. Auf der hohen Stirn zeigten sich Spuren feuchter Erde. Johns Blick war stolz wie der eines Triumphators, der nicht zwei hilflose Tiere erlegt hatte, sondern bedrohliche Drachen.
„Was für ein herrlicher Tag.“ Schwungvoll entledigte sich Jodies Vater seines Bogens und legte ihn auf den Tisch. Dann fiel sein Blick auf die Schuhe und er runzelte die Stirn. „Neu?“, fragte er, während er den feuchten Umhang auszog und ihn mit Nachdruck auf die Schuhe warf. Seine gute Laune war wie fortgeblasen. „Der Größe nach zu urteilen wieder einmal für William. Schade um das gute Rindsleder und die vergeudete Zeit.“ Der Vater schnaufte einige Male tief durch, als müsste er sich zur Ruhe zwingen. „Wie viele zum Teufel willst du noch für ihn machen? William streunt wie ein Verfolgter durch die Wälder und ich bin es leid, mich seinetwegen vor jedermann rechtfertigen zu müssen.“
Die Mutter fasste sich ans Herz. „Wie sprichst du von deinem Sohn?“
„Genauso, wie es ihm gebührt.“
„Versündige dich nicht, Alan Wallace!“
„Ach, hör doch auf. Eine umfassende Bildung habe ich dem Lümmel ermöglicht, aber was tut er? Lebt seine Abscheu gegen die Engländer aus, ohne dabei an uns zu denken. Sein rücksichtsloses Handeln bringt uns alle in Gefahr.“
„Du bist so …“, die Mutter stockte und hob hilflos die Arme. „Ich bin stolz auf ihn. Auf jedes unserer Kinder. Und William tut das, was tausende Schotten machen: Er tritt für die Freiheit unseres Vaterlandes ein. Wenn du mich fragst, hat er mehr Mumm in den Knochen als manch anderer, der sich nur mit einer Ohrfeige zu helfen weiß.“
Die Zornesfalte auf der Stirn des Vaters vertiefte sich. „Pack die Schuhe weg! So lange sich William nicht besinnt, will ich ihn weder im Haus haben noch seinen Namen hören. Und jetzt sag in der Küche Bescheid. Comyn und Menteith haben ihren Besuch angekündigt. Sie werden zum Abendessen eintreffen.“
„Comyn und Menteith? Was wollen sie hier?“ Die Mutter griff zu ihrer Haube.
„Männersache.“ Schlurfenden Schrittes verließ Jodies Vater das Zimmer, der blass gewordene John folgte ihm. Nach einigem Zögern verließ auch die Mutter den Raum. Als sich die Tür schloss, war Jodie den Tränen nahe. Selbst die klägliche Scherbe, die von ihrer Familie übriggeblieben war, zerbrach vor allen Augen. Wie konnten ihre Eltern das zulassen?
Zornig warf Elizabeth den Brief auf das zerwühlte Bett. „Zum Teufel, Mutter, das kannst du nicht allen Ernstes von mir verlangen!“, wütete sie, wobei sich ihr strafender Blick auf die alte Marquise heftete, die in der Ecke des Zimmers auf ihren Einsatz wartete. „Was gafft Ihr so?“
„Habt Ihr eine schlechte Nachricht erhalten?“ Die heisere Stimme der Hofdame schürte Elizabeths Wut. Ihre geduckte Haltung, der Geruch nach Siechtum und die unnütze Frage taten ihr Übriges. Andererseits war sie die Einzige, deren Nähe sie ertrug. Die Alte zog stets dieselben Roben an, als würde sie sie bis zum bitteren Ende auftragen wollen. Dabei hieß es, dass sie vermögend sei. Aber ihr vernachlässigtes Äußeres machte sie erträglicher, wobei das schönste Kleid ohnehin nichts genützt hätte. Die verknöcherte Marquise hatte ihr Leben fast hinter sich, was man ihr deutlich ansah.
„Eure Beobachtungsgabe ist bemerkenswert, Marquise.“
Beschämt senkte sie den rattengrauen Kopf. „Verzeiht, ich wollte Euch nicht zu nahe treten.“
„Immerhin seid Ihr einsichtig.“ Elizabeth schnappte sich das Pergament und warf es in die heiße Glut im Steinkamin. Zufrieden schaute sie zu, wie sich der Brief aufrollte und an den Rändern braun verfärbte. Feiner Rauch kräuselte sich in die Höhe.
Bisher hatte sie sich über jede Nachricht ihrer Mutter gefreut, weil ihr jede Zeile Geborgenheit schenkte, von Sehnsucht und Liebe sprach. Diesmal hatte sie jedoch einen Bittbrief erhalten. Inständig flehte die Mutter sie darin an, sich die Sache mit Robert zu überlegen, da der Vater fuchsteufelswild sei. Lebhaft konnte sich Elizabeth vorstellen, was das für ihre Mutter bedeutete. Genau deswegen war sie wütend. Weil ihm die Mutter nicht die Stirn bot, obwohl sie ihr vor der Abreise das Versprechen abgenommen hatte. Vielmehr ließ sie sich wieder vom Vater vor den Karren spannen. Sicher, sie zog es vermutlich vor, ihm nach dem Mund zu reden statt sich schlagen zu lassen, aber war ihr das Glück der Tochter so egal? Etwas mehr Kampfeslust hätte ihr durchaus gut gestanden, aber ein Wort von ihm und sie knickte ein wie ein Grashalm. Dabei hatte sie versichert, ihre Pläne zu unterstützen und es hatte gutgetan, mit jemandem über die Liebe zu Robert reden zu können. Das konnte sie sich allerdings künftig sparen, weil es klar auf der Hand lag, dass der Vater jeden Brief abfangen würde. Also war sie ab jetzt auf sich allein gestellt.
Als vom Pergament nur noch graue Asche übrig war, wandte sie sich wieder der Marquise zu. „Fragt nach, ob Robert the Bruce inzwischen angekommen ist.“ Edward hatte ihr kein Sterbenswörtchen davon gesagt, dass Robert heute im Schloss erwartet wurde. Wäre die Marquise nicht gewesen, hätte sie nichts gewusst. So viel dazu, dass ihr der König seine Unterstützung zugesagt hatte. Glaubte er denn, dass sie Robert aus der Ferne erobern würde?
„Sehr wohl, Mylady.“ Die Marquise knickste, bevor sie den Raum verließ. Elizabeth stellte sich zum Frisiertisch und griff zum Zinnkrug. Den bereitgestellten Becher übersah sie geflissentlich und trank ein paar Schlucke des schweren Weins, bevor sie den Krug wieder neben die Schmuckschatulle stellte. Mit dem Handrücken wischte sie sich über den Mund und ordnete dann die Falten ihres roten Seidenkleides. Das Haar hatte ihr die Marquise kunstvoll hochgesteckt und sie trug den schweren Familienschmuck: Eine Goldkette mit Smaragden und dazu passende Ohrringe. Heute würde sie nichts dem Zufall überlassen, sondern selbst die Initiative ergreifen. Auch wenn sie in Roberts Gegenwart regelmäßig ihre übliche Courage verließ. Aber mit etwas Wein im Magen würde sie bestimmt sicherer auftreten.
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