Es gibt auch eine herrliche kostbare Kette
aus hellen und bunten Perlen der Erinnerung.
Du trägst sie in dir, fädelst immer wieder neue Perlen
auf die lange Schnur.
Dieses wachsende Vermögen bereichert dich
besonders in schweren Stunden und im Alter.
Duftende Heuwiesen erinnern mich noch heute
an meine Kindheit.
Als Flüchtlingsmädchen hüpfte ich vergnügt
in der Scheune des Großbauern
auf Heubergen
und landete mit nackten Beinen
in einem Mäusenest.
Heute streichelt mich lieblicher Duft
der wilden roten und weißen Heckenrosen,
und ein Kuckuck ruft in der Ferne.
Wie wunderbar sind des Schöpfers Werke.
Beschenkt mit einem Zauber der Erinnerung,
wandere ich heimwärts.
Am Mühlbach meiner Kindheit
haben Mutter und ich Enten gefüttert,
und oftmals schob ich stolz
meinen Puppenwagen am Bachufer entlang.
Das blanke Wasser dieses Mühlbachs
spiegelt noch heute mein Kinderlachen
von damals wider.
Eiseskälte Winterfreuden bescherte.
Der Teich zugefroren und tragfähig.
Trug heiteres Lachen und Glück.
Schenkte mir vergnügte, unbeschwerte Stunden.
Auch ohne Schlitten und Schlittschuhe:
Armes Flüchtlingsmädchen
in den einfachen groben Schuhen geglitscht,
spiegelglatte Rutschbahn – so glatt,
fast spiegelte sie strahlende Augen
und rote Wangen wider.
In der Nacht hat der eisige Winter
Häusern, Bäumen und Straßen
ein weißes Schneekleid angezogen.
Begeistert juchzen die Kinder,
holen den Schlitten vom Boden,
sausen den steilsten Berg hinab,
Wollschal flattert im Winde,
Schneebälle fliegen durch die Luft,
kalter Wind malt rote Bäckchen,
ein stattlicher Schneemann lacht
mit den fröhlichen Kindern.
Augen pflücken auf Waldwegen
Frucht versprechende blühende Walderdbeeren,
am Wanderpfad leuchten Veilchen kräftigblau,
– klein und herzig –
unten im Tal breitet eine bunte Wiese,
gleich einem kostbaren Teppich,
sich allen meinen Sinnen aus,
im zartlila Blütenkleid schmückt sich das Wiesenschaumkraut,
umtanzt von tausend gelben kleinen Sonnen,
dem blühenden Löwenzahn.
Mit diesem bezaubernden Blumenstrauß im Herzen
wandere ich im maigrünen Buchenwald,
reich beschenkt von unserem Schöpfer,
verwandelt in mein Zuhause zurück.
Ich wünsche dir, dass du in Gottes wundervoller heilsamer Natur Trost und Freude finden kannst.
oder: Eine Liebe im Spätsommer
Schon lange schiebt sie die Reise in die Vergangenheit vor sich her. Immer wieder sind leider Arzttermine wichtiger. Außerdem lebt die kreative Frau in ihrem ausgefüllten Ruhestand. Sie hat auch pünktlich Abgabetermine bei Verlagen einzuhalten. Aber für diese Freudequelle will und muss sie auch selber sorgen. Noch blühen in den Gärten Rosen in ihren bezaubernden roten, weißen und gelben Tönen. Doch die ersten Hagebutten leuchten schon an den vielen Büschen, wenn sie mit dem Fahrrad täglich an Wiesen und Feldern entlangfährt. Der Spätsommer mit seiner Fülle ist auch auf den Wochenmärkten zu sehen. Kürbisse leuchten in Gelb und Orange und in neuen Formen, die erst in den letzten Jahren angeboten werden. Die Frau denkt zurück an die Kürbisernte ihrer längst verstorbenen Eltern. Sie möchte auch so gerne noch mal zu der fernen Grabstätte ihrer Eltern fahren. Bevor es draußen kalt wird, will sie endlich die längst geplante Reise in ihre Jugendjahre verwirklichen.
Das Bahnticket ist schnell gekauft. In einem ruhig gelegenen kleinen Hotel, in dem sie sich schon vor etlichen Jahren zum Klassentreffen eingemietet und wohl gefühlt hatte, bestellt sie per Telefon ein schönes Einzelzimmer. Die leichte Reisetasche wird auf der weiten Fahrt mit den unverzichtbaren Sachen wie dem kleinen roten Reisewecker, dem wertvollen blauen Poesiealbum aus dem Jahre 1951 und dem weichen Schlafanzug gefüllt. Als die Frau in den ICE einsteigt, fühlt sie, dass eine freudige Stimmung sich in ihrer Seele ausbreitet. Still setzt sie sich auf ihren reservierten Fensterplatz. Ein kleines Buch mit Kurzgeschichten schlägt sie auf. Aber nach ein paar Minuten merkt sie schon, dass das gelesene Wort keine Chance hat, in ihr Inneres zu gelangen. Ihre Gedanken eilen schneller, als der ICE es vermag. Ihre fröhlich tanzenden Erinnerungen an die Jugendjahre sind schon am Zielort angekommen. Tief in diese heiteren Gedanken versunken, hört sie die Lautsprecherdurchsage des großen Bahnhofs. Mit der blauen Reisetasche in der Hand verlässt sie nach ein paar schönen erholsamen Stunden angenehmer Fahrt erwartungsvoll den Zug. Ein freundlicher Taxifahrer bringt sie wohlbehalten bis zum Hotel. Und dieser zuvorkommende Mann trägt der freundlichen Frau ihr kleines Handgepäck bis vor ihr reserviertes Appartement. Großzügig bezahlt sie den vorbildlichen Fahrer. Beim Betreten der Unterkunft für eine unbestimmte Zeit schweift ihr prüfender Blick zuerst zum frisch bezogenen Bett und der kleinen Leselampe am Nachttisch. Weil sie aus Gewohnheit vor dem Einschlafen immer so gerne noch etwas liest, ist für sie diese Leuchtquelle so wichtig. Über den Schreibtisch, der mit natürlichem Tageslicht vom Fenster verwöhnt wird, freut sie sich besonders. Auch das sehr saubere Duschbad mit den vielen weichen Verwöhnhandtüchern hat eine einladende Wirkung. Es ist inzwischen Spätnachmittag, und die Frau fühlt sich nicht mehr taufrisch wie am heutigen Morgen. Eine kleine Entspannung auf ihrem schönen Bett tut ihr gut. Einschlafen kann sie jedoch nicht. Sie wechselt ihre Kleidung und zieht bequeme Laufschuhe an. Der September verschenkt seine milden goldgelben Sonnenstrahlen auch in diesem ehemaligen Kohlenrevier. Die altvertrauten Straßen nimmt sie unter ihre schnellen Füße. Ihre wachen Augen, die noch keine Brille benötigen, saugen alle neuen Eindrucke begierig auf und speichern sie ab.
Zielstrebig geht sie zuerst zum Friedhof. Unter den hochbetagten Bäumen findet sie eine Bank im Schatten, die zum Verweilen einlädt. Auf den Wegen schaut sie aufmerksam auf die Inschriften der Grabsteine. Da findet die Suchende auch das Grab einer ehemaligen Klassenkameradin, die nicht mal fünfzig Jahre alt geworden ist. Dieses Mädchen war zur Schulzeit immer viel größer und kräftiger als sie. Dann steht sie lange vor der gepflegten elterlichen Grabstätte. Sie verspürt den dringenden Gedanken, mit ihrer toten Mutter zu sprechen. Leise sagt sie: „Mutter, warum ist es zwischen uns beiden nicht zu tiefgreifenden Gesprächen gekommen? Jetzt möchte ich dich noch so viel fragen.“ Sie pflanzt die zuvor gekaufte lilafarbene Heide auf das alte erinnerungsträchtige Grab.
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