Doch ihre Vorahnung war für einen zu spät gekommen; vielleicht sogar für zwei.
Desiderius war fort.
Melecay hatte sofort gewusst, wer dafür verantwortlich war, und versucht, Desiderius zu retten. Vergebens, wie sie nun wussten.
Desiderius war hingerichtet worden.
Luro schloss die Augen, Tränen liefen ihm über die Wangen. Er wusste nicht, was sie jetzt tun sollten. So hätte es nicht ausgehen dürfen.
»Um Wexmell steht es nicht gut.« Allahad wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und schniefte. »Er wacht einfach nicht auf, und das Fieber kocht ihn geradezu. Karrah glaubt, es dauert jetzt nicht mehr lang, bis sein Herz aufgibt …«
»Er wird es nicht schaffen.« Luro musste erneut damit kämpfen, nicht wieder in seiner Verzweiflung zu baden. »Ich kann es nicht glauben, dass Rahff es letztlich doch geschafft hat, ihn zu töten. Nach allem, was wir durchstehen musste, um ihn zu beschützen …«
Allahad sah Luro an und gestand schuldbewusst: »Ich bin froh, dass du noch lebst.«
Lange betrachtete Luro seinen Geliebten. Er teilte die Gefühle, die in Allahads Augen standen, mehr als er in Worten hätte ausdrücken können. Doch sein Blick glitt hinab auf seine Hände. Alte Hände. Es waren die Hände eines gealterten Mannes. Es wunderte ihn ohnehin, dass Allahad all die Jahre treu zu ihm gestanden hatte, obwohl er immer älter wurde, während Allahad der junge, schöne Mann blieb, der er seit sie sich kannten gewesen war.
Allahad legte Luro einen Knöchel unter das Kinn und zwang ihn, ihm wieder in die Augen zu blicken. Liebe und Zärtlichkeit spiegelte sich in Allahads Blick, was Luro sofort traurig lächeln ließ.
»Ich wünschte, ich hätte für dich ebenso ewig jung bleiben können, wie du für mich.«
Allahad schüttelte ernst den Kopf. »Du bist der schönste Mann, der mir je begegnet ist, auch jetzt noch. Und wirst es immer sein.«
Doch Luro spürte schon seit einiger Zeit Allahads Trauer, immer dann, wenn er glaubte, Luro würde ihn nicht beobachten. Allahad fürchtete sich vor dem Tag, an dem Luro gehen und er noch weitere Jahrhunderte weiterleben musste. Daran hatten sie kaum einen Gedanken verschwendet, als sie sich vor zwanzig Jahren ihre Liebe gestanden hatten. Aber egal wie es ausgehen würde, die letzten zwei Jahrzehnte waren es allemal wert gewesen.
Allahad beugte sich vor und küsste mit seiner ihm eigenen Zagheit Luro auf die Lippen.
Luro lächelte etwas aufgemuntert. Er würde noch lange um Desiderius trauern, ebenso wie Allahad. Sie beide hatten einen langjährigen Freund verloren, den sie beide auf ihre Weisen geliebt hatten.
Aber sie hatten sich, um sich zu trösten.
Was würde Wexmell empfinden, wäre es ihm möglich, von dem Tod seines Geliebten zu erfahren?
Vielleicht, so dachte Luro bedauernd, war es ein Segen, dass Wexmells zwar atmete, aber wohl nie wieder die Augen öffnen würde. Vielleicht sollten sie es beenden, überlegte Luro traurig, damit die beiden in der Nachwelt wieder vereint waren.
Allahad wandte Luro das Gesicht zu, kalte Entschlossenheit stand in seinen braunen Augen, als Luro seinen Blick erwiderte. »Ich werde beide rächen, egal wie.«
Luro wandte das Gesicht dem Sonnenuntergang zu und dachte daran, was Desiderius wohl an ihrer Stelle getan hätte. Säßen er und Wexmell hier und wären Luro und Allahad auf so feige Weise getötet worden, hätten die beiden nicht gezögert, dieses Verbrechen zu sühnen.
Grimmig und mit dem Feuer der Rache im Herzen blickte er zu den Bergen, hinter jenen Spitzen das Meer lag. »Melecay muss uns ein Schiff borgen.«
Allahad nickte noch, als sie plötzlich Schritte auf der Mauer vernahmen. Beide drehten sich zu dem jungen Mann um, der zu ihnen gerannt kam, sodass seine eiserne Rüstung klapperte. Seine Eile schreckte einen Drachen auf, der auf dem Dach eines Turms geschlummert hatte und nun mit einem mürrischen Kreischen abhob und einen Kreis um die königliche Burg zog, eher er für ein frühes Abendessen in den Wäldern verschwand.
Der junge Mann von der Wache war vor dem Drachen zusammengezuckt, nachdem das Tier jedoch fort war, eilte er wieder auf Luro und Allahad zu.
Er zog den Helm ab, darunter kam sein jungenhaftes Gesicht und langes, blondes Haar zum Vorschein.
»Herr Allahad, Herr Luro«, begrüßte er sie und verneigte sich kurz vor ihnen.
Sie nickte ihm stumm zu. Wenn jemand eine Wache nach ihnen schickte, konnte dies nichts Gutes bedeuten.
»Lady Karrah schickt mich zu euch«, erklärte der junge Mann und runzelte bedauernd seine Stirn. »Ihr beide sollt unverzüglich in den Krankenflügel kommen.« Er machte eine bedeutsame Pause, obwohl allen deutlich vor Augen stand, weshalb Karrah nach ihnen rief. »Wenn ihr noch Abschied nehmen wollt, sagt sie, solltet ihr euch besser beeilen.«
Luro und Allahad waren bereits aufgesprungen und eilten in die Burg zurück.
Dann war es jetzt wohl soweit, dachte Luro voller Trauer, aber immerhin waren Wexmell und Desiderius wieder vereint. Jetzt konnten sie die Ewigkeit zusammen verbringen.
Seufzend setzte er sich ans Lagerfeuer, zog ein Bein an und stellte das andere auf.
In einer kleinen Höhle im Berg hatten sie Zuflucht vor der Nacht gefunden. Ein dunkler Gang führte tiefer in den Berg hinein, doch da jeglicher Tiergeruch fehlte, glaubten sie nicht, dass Gefahr von dort drohte.
Sie waren jetzt auch zu erschöpft, um einen geeigneteren Lagerplatz zu suchen, außerdem legte sich bereits der Mantel der Nacht über den Berg.
Cohen hatte das Feuer angezündet, Desiderius suchte vor der Höhle nach weiterem Kleinholz, während Eagle bereits mit Cohen am Feuer saß. Eagle hatte das Bein so verdreht, dass er seine nackte Fußsohle unmittelbar vor den eisblauen Augen hatte. Er zog sich unter derben Flüchen Dornen aus der Haut.
Endlich hatte Cohen Zeit, gründlich über seine Lage nachzudenken. Er hatte keine Seile, um sicher hinab zu klettern, er hatte kein Pferd, was die Reise zurück erheblich länger und anspruchsvoller gestalten würde. Ihm fehlten die Vorräte, die er als Soldat durch die Armee zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Und er saß mit zwei Männern auf einem Berg fest, die von seinem König zum Tode verurteilt worden waren.
Doch sie hatten Frieden geschlossen, zumindest so lange sie sich aufeinander verlassen mussten. Denn eines war gewiss, keiner von ihnen könnte sich allein durch die Wildnis schlagen, sie brauchten einander.
Das Wichtigste war jetzt, eine Wasserquelle zu finden und von diesem Berg runter zu kommen. Dann mussten sie irgendwie zurück in das bewohnte Land.
Doch was dann geschehen sollte, wusste er beim besten Willen nicht.
Blutdrache . Der Luzianer war ein Blutdrache.
Cohen erinnerte sich noch sehr gut an die alten Prophezeiungen, die er im Laufe seiner Ausbildung gelesen hatte.
… durch Krieg werden die Dämonen erneut erwachen und alles Sterbliche und Göttliche bedrohen. Der Verräter wird den dunklen Thron besteigen, seine Krone wird der Schatten sein, der den Himmel verdunkelt. Und wenn die Dämonen sich in Scharen in die Welt der Sterblichen begeben, wird sich der Blutdrache erheben, dem allein es bestimmt ist, den Obersten Fürsten von seinem Thron zu stoßen …
Wenn der Blutdrache bereits existierte, war den Göttern doch wohl schon länger bewusst, dass eine dämonische Bedrohung auf die Sterblichen zukam.
Es hatte Gerüchte über den Blutdrachen gegeben, gewiss, und nun hatte er auch die Bestätigung dafür.
Was, wenn es bereits einen Fürsten auf dem dunklen Thron gab?
Es lag schon länger ein seltsamer Schatten über den Wäldern, überall dort, wo die Dämonen umgingen.
Was, wenn sie nicht mehr genug Männer hatten, weil sie sich gegenseitig bekriegen mussten, um jetzt erfolgreich eine organisierte Dämonenarmee abzuwehren?
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