Ich werde euch alle vernichten.
Cohen beobachtete aus blinzelnden Augen, wie die königliche Leibgarde mit Schwertern und Schilden um den Drachen herum Stellung bezogen. Keine Klinge konnte die Schuppen durchbrechen.
Da kam Cohen ein Geistesblitz: »Es sind die Waffen.« Er wusste das, weil er gegen Dämonen gekämpft und versagt hatte. Einige unter ihnen waren gegen Eisen immun. Es verletzte sie, doch die Wunden heilten wieder. »Eisen kann nur Menschen töten.«
»Was?« Cocoun sah ihn verwirrt an.
Aber Cohen wandte sich nur zu seinem Vater um: »Es ist das Eisen! Es kann den Schuppenpanzer nicht durchdringen. Er ist kein Mensch, kein Tier!«
Die harte Miene seines Vaters verriet Cohen, dass er verstanden hatte.
Cohen wusste, dass es eine Waffe in der Burg gab, die nicht aus Eisen war. Es war das Schwert, das der Luzianer bei sich getragen hatte, bevor er in den Kerker geworfen worden war.
Cohen überlegte nicht länger, er sprang auf und rannte in die Burg zurück.
Die Besitztümer des Luzianers befanden sich in einer Truhe in den Gemächern des Königs. Cohen fand sie recht schnell, während draußen die Schreie noch lauter wurden und der Drache sich über die Menschenmenge hermachte.
Warum flog er nicht fort, fragte Cohen sich, während er die Truhe durchwühlte. Er könnte in die Freiheit entkommen. Aber es schien, als wartete der Drache auf etwas.
Aber worauf?
Cohen fand das Schwert unter der dicken Lederrüstung. Er betrachtete die Montur eine Weile, bis er draußen etwas hörte, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Der Drache brüllte, aber es hörte sich dieses Mal seltsam erstickt an.
Das Flüstern sagte: »Toeou.«
Feuer.
Und dann hörte er die qualvollen Schreie derer, die in das Feuer gekommen waren.
Cohen befühlte noch einmal das dicke Leder und rieb es zwischen den Fingern. Er hatte keine Rüstung am Leib, und ihm blieb keine Zeit, nach Hause zu laufen um sich seine eigene anzuziehen. Kurz entschlossen legte er alles an, was dem Luzianer gehörte.
Als er auf den Balkon trat, riefen der König und Lord Schavellen Befehle zu ihren Männern. Der halbe Hof war verbrannt, verkohlte Leichen lagen herum. Cohen stellte jedoch erstaunt fest, dass der Stein, aus dem die Burg bestand, dem Drachenfeuer standgehalten hatte.
Der Drache wütete noch immer, er stand über den Trümmern des Podiums und schien sie zu beschützen.
Aber natürlich!
Cohen begriff, dass der Drache den Dieb beschützte, der irgendwo unter den Trümmern liegen musste.
Cohen nahm Cocouns hübsche Frau an die Hand und zog sie aus dem Stuhl. Er winkte einer Leibwache und bat diese, die verängstigte Frau in einen sicheren Raum zu bringen.
Als er sich umdrehte, packte der König ihn an den Schultern. »Er darf nicht entkommen!«
Cohen nickte und machte sich los. Er blickte hinab auf den Drachen. Die Soldaten hatten von unten keine Chance. Ihm blieb nur eine Wahl. Er musste versuchen, auf den Rücken des Drachen zu springen.
Cohen zog das Drachenflügelschwert, das Heft wurde heiß, als wollte die Klinge sich gegen ihn wehren, aber er hielt sie tapfer fest. Er kletterte behände auf das Geländer und sprang mit gezogener Klinge auf den Rücken des Drachen.
Er landete auf einem ausgebreiten Flügen, die Klinge bohrte sich durch ihn hindurch und schnitt ihn auf, während Cohen hinabrutschte. Der Drache brüllte und schlug mehrmals mit den Schwingen, sodass Cohen mehr unbeabsichtigt als geplant am Ansatz des langen Schwanzes landete, die Klinge noch fest in der Hand. Er drehte sich um und hielt sich gerade rechtzeitig fest, als der Drache herumsprang. Das große Maul schnappte nach ihm.
»Nein!«, schrie Cohen erschrocken, als ihn die Zähne fast erwischten.
Noch einmal holte der Drache mit dem Kopf aus, um nach ihm zu schnappen, als Cohen erneut brüllte: »Nein! Stopp !«
Die Zähne hätten ihn dieses Mal erwischt, wenn der Drache nicht innegehalten hätte. Unmittelbar vor Cohens Gesicht – der den heißen, nach Schwefel riechenden Atem spüren konnte – klappte die Kreatur die Zähne wieder zusammen.
***
Eagle stieß die Trümmer von sich und kam hustend aus dem Schutthaufen hervor. Erst bemerkte er nur am Rande die große Kreatur, die über ihm ragte, denn zu allererst nutzte er das Chaos, um mit den Zähnen seine Fesseln zu lösten und seine Hände zu befreien.
Er schüttelte sein rotblondes Haar aus, das von Staub und Spänen bedeckt war, und sah nach, ob das Tagebuch noch immer unter seinem Arm klemmte. Es war erstaunlich, dass die Wachen nicht bemerkt hatten, dass er es wie einen Schatz hütete.
Er griff sich in den Nacken, nur um festzustellen, dass er hinterher kein Blut an den Fingern hatte. Wer hätte gedacht, dass seine Krankheit auch mal etwas Gutes zutage brachte? Ohne die Schuppen befände sich sein Kopf nun nicht mehr zwischen seinen Schultern, er verdankte es seiner grässlichen Haut also, noch am Leben zu sein.
Ein Brüllen erfüllte die Umgebung, das ihm in den Ohren wehtat.
Erst dann begriff er, dass er sich unmittelbar in der Nähe eines Drachen befand. Mit großen Augen drehte er sich um und blinzelte an dem Ungetüm hinauf, das mit seinen großen, krallenbesetzten Klauen erstaunlich geschickt um ihn herumtanzte, als wüsste es, dass er hier stand.
Eagle drehte sich aus einem Fluchtreflex heraus um und wollte davonrennen, als er sich plötzlich einer Wand bewaffnetet Soldaten gegenübersah.
»Oh, Mist!«, fluchte er.
Sie griffen den Drachen an, aber einige von ihnen erkannten ihn und wollten ihn natürlich davon abhalten, das Chaos zu nutzen, um zu fliehen.
Eagle überlegte nicht lange, er nutzte seine Kenntnisse, die ihm auf der Festung seiner Mutter beigebracht worden war, um sich zu verteidigen.
Ein Soldat sprang auf ihn zu und schlug mit dem erhobenen Schild nach ihm. Eagle hob die Arme zur Abwehr. Es tat weh und er taumelte zurück, konnte sich aber auf den Beinen halten. Der Soldat ließ die Deckung fallen, um mit der Klinge nach Eagle zu schlagen. Doch Eagle war außerordentlich schnell. Er sprang zur Seite, packte das Handgelenk des Soldaten, drehte es herum, bis die Klinge in dessen Richtung zeigte und er die Finger öffnete.
Egale nahm ihn die Klinge ab und stieß sie dem überraschten Soldaten in den Bauch, bevor dieser den Schild heben konnte. Eagle konnte vielleicht kein Tier jagen, aber er hatte Kenntnisse im Schwertkampf, wenn auch nur durch Duelle ohne Blutvergießen.
Sein unerwarteter Erfolg lockte andere Soldaten der Garde an.
Eagle verlor sein Lächeln, als er sie auf sich zukommen sah. »Ach kommt schon!«, fluchte er und sah gen Himmel. Er stand den Göttern nicht sehr nahe, und manchmal war ihr Humor wirklich mieser als seiner, aber er glaubte zumindest, dass es sie gab. Jedoch nur zur Sicherheit – wenn er starb und es gab sie wirklich, war er immerhin kein Ungläubiger. Wenn er starb und es gab sie nicht, dann war es ohnehin egal.
Er hob den Schild auf, da er jedoch noch nie mit einem Schild gekämpft hatte, gelang es seinen Angreifern, ihm den Schild wieder abzunehmen.
Eagle parierte die Schwerthiebe, die auf ihn niedergingen und wurde dabei immer weiter zurückgedrängt, er kam nicht dazu, erneut einen Soldaten zu verletzten. Sie waren zu gut. Der erste Soldat, den Eagle besiegt hatte, war wohl nur dem Anfängerglück zum Opfer gefallen.
Eagle nutzte seine einzige Chance. Er rollte sich unter den Drachen, der sich um Kreis drehte, weil er nach etwas schnappte, das Eagle nicht sehen konnte.
Die Angreifer folgten ihm siegesgewiss. Es war ihr Fehler.
Der Drache hielt für den Bruchteil eines Augenblicks inne. Dann drehte er sich unerwartet und fegte Eagles Angreifer mit dem Schwanz fort.
Eagle atmete fassungslos aus, als er die Männer der Garde an der Burgmauer zerschellen sah. Er glaubte nicht, dass sie die Wucht des Aufpralls überlebt hatten.
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