„Willst du nicht rangehen?“, blafft Herbert mich an, wobei er angewidert auf meine mit Kapernsauce besprenkelte Bluse starrt.
Mit zittriger Hand greife ich zum Telefonhörer, ohne Herbert dabei aus den Augen zu lassen. Warum ausgerechnet jetzt?
„Ja, hallo?“, bringe ich zögerlich hervor.
Erst höre ich nichts, nur ein undefinierbares Rauschen, bis schließlich eine gedämpfte Stimme an mein Ohr dringt. „Zahlungsschwierigkeiten?“
Mein Herz droht aus der Brust zu springen. Was soll ich tun? Was soll ich sagen? Ich kann doch nicht …
Zögerlich lege ich meine Hand auf die Sprechmuschel. „Deine Mutter!“, raune ich Herbert verschwörerisch zu.
Es dauert keine zehn Sekunden, da höre ich nur noch das dumpfe Zuknallen der Wohnungstür.
„Morgen haben Sie Ihr Geld, versprochen.“
„Gut, denn Sie wissen ja, ein Zurück gibt es nicht. Ich bin Geschäftsmann und ich mache keine halben Sachen. Schließlich habe ich einen Ruf zu verlieren. Deswegen habe ich bereits alles in die Wege geleitet.“ Mit diesen Worten legt Mr. Q einfach auf.
Hastig krame ich in meiner Handtasche nach der Visitenkarte von Herrn Knaur.
„Schlinger mein Name. Ich muss dringend mit Herrn Knaur sprechen.“ Ich habe jetzt keine Zeit für überflüssige Floskeln oder großartige Erklärungen.
„Herr Knaur befindet sich im Urlaub. Kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?“
„Im Urlaub? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Wann kommt er denn zurück?“
„Lassen Sie mich kurz nachsehen. In drei Wochen.“
„Was? Aber er wollte mich doch zurückrufen!“
„Oh, das tut mir sehr leid. Hier war Einiges los in letzter Zeit. Wir hatten eine hausinterne Lotterie ausgeschrieben, wissen Sie? Sie können sich gar nicht vorstellen, was da für Arbeit dahintersteckt. Aber vielleicht kann ich Ihnen ja helfen. Worum geht es denn?“
Oh nein! Nicht noch einmal von vorn das Ganze. Und nur, weil ich dem netten Herrn Knaur eine Chance geben wollte. So nicht! Jetzt sollen die mich aber mal kennenlernen.
„Also hören Sie, ich habe das alles schon mit Herrn Knaur besprochen. Es geht genau um besagte Lotterie und es gab da ein kleines Missverständnis. Mir läuft jetzt langsam die Zeit davon und alles, was ich von Ihnen jetzt verlange ist, dass Sie mir meinen Gewinn auszahlen. Und zwar nicht in Häppchen, sondern als Gesamtbetrag.“
Am anderen Ende der Leitung herrscht konsterniertes Schweigen.
„Hallo?“, frage ich ungeduldig. „Sind Sie noch dran?“
„Ja, äh, Entschuldigung. Würden Sie mir nochmal Ihren Namen nennen, bitte?“
Ach Gott, schon wieder so ein Mäuschen.
„Schlinger, Gerda Schlinger. Und jetzt seien Sie so gut und verbinden Sie mich mit Ihrem Geschäftsführer.“
„Ja, äh, einen Moment bitte.“
Es knackt in der Leitung und Beethovens Neunte ist zu hören. Alle Menschen werden Brüder , von wegen. Wäre doch echt mal erfrischend, wenn eine Bank die Fakten auf den Tisch legen und beispielsweise ABBA spielen würde: Money money money . Die Warteschleife dauert an und ich kann mir richtig vorstellen, wie herzlich mich die Mitarbeiterin in die Chefetage empfiehlt. Ich wappne mich auf einen deftigen Schlagabtausch mit einem gewieften Bänker. Doch dann:
„Es tut mir wirklich aufrichtig leid, Frau Schlinger, aber ich fürchte, wir können da wirklich nichts weiter für Sie tun. Glauben Sie mir, ich habe alles versucht, aber ...“
„Herzchen, jetzt passen Sie mal auf und das können Sie auch gerne Ihrem Chef erzählen. Wenn hier demnächst ein Unglück passiert, dann sind SIE schuld. SIE und IHRE ganze gottverdammte Bank!“ Wutentbrannt lege ich auf.
Noch einmal durchsuche ich hektisch meine Tasche nach dem Scheck über die erste monatliche Gewinnausschüttung, den mir Herr Knaur bereits nach unserem Gespräch in die Hand gedrückt hatte.
2.500 Euro. Ich bin gespannt, wie weit ich damit komme. Aber es nützt ja nichts, da muss ich jetzt durch, besser gesagt: Mr. Q. Als erfahrener Geschäftsmann, wie er sich schimpft, wird er schon wissen, was zu tun ist. Außerdem hat er ja schon eine Anzahlung von 10.000 Euro von mir bekommen. Den Rest gibt es halt in Raten, das kann ich jetzt auch nicht ändern.
Kurzerhand schnappe ich mir meine Jacke und werfe den Scheck mit einem kurzen Hinweis auf Ratenzahlung in das vereinbarte Postfach ein. So, das wäre erledigt. Nun bleibt mir nur zu tun, was Mr. Q mir empfohlen hat: Abwarten und Tee trinken.
„Herbert?“ Es ist doch einfach nicht zu fassen. Noch gestern haben wir vereinbart, dass wir uns heute gemeinsam die Sachen ansehen, die ich im Keller für den Wohltätigkeitsbasar beiseite gelegt habe. Die Szene am Samstagmorgen beim Abtransport der gepackten Kisten möchte ich mir nämlich gerne ersparen.
Seit dem frühen Morgen habe ich schon den gesamten Keller auf- und die Kisten mehrfach umgeräumt und Herbert lässt sich noch immer nicht blicken. Wird wohl wieder feuchtfröhlich zugegangen sein bei der gestrigen Skatrunde. Das wäre allerdings nicht verwunderlich. Nur selten bekomme ich Herbert am Dienstagabend noch zu Gesicht. Inzwischen ist es sogar so, dass ich – sobald ich den Schlüssel im Haustürschloss höre – schnell das Licht lösche und ins Bett springe, gern auch noch in voller Montur. Wenn Herbert so angetüdelt nach Hause kommt, ist er nämlich schlichtweg nicht zu ertragen.
Meine Güte, was dann alles ausdebattiert werden muss. Sachen, die schon seit einem halben Jahr erledigt sind. Oder Dinge, die erst in einem halben Jahr anfallen. Nein danke, das kann ich mir sparen. Zumal er am nächsten Morgen sowieso nichts mehr davon weiß. Wie gut, dass wir seit geraumer Zeit getrennte Schlafzimmer haben.
Du hast ja heute wieder den gesamten Berliner Forst abgeholzt. Diesen und ähnlich charmante Sätze durfte ich mir morgens beim Frühstück anhören. Auf solch ein übellauniges Gegenüber kann ich gut und gerne verzichten. Zumal ich bis heute nicht an mein Schnarchen glaube. Ganz im Gegenteil, wenn ich den guten Berliner Forst abholze, den, mit den lang aufgeschossenen, schlanken, hohen Fichten, dann will das gar nichts heißen. Herbert schafft in derselben Zeit nämlich einen ganzen Regenwald! Mit sämtlichen Mammutbäumen!
Doch sei es wie es sei, dank der getrennten Schlafzimmer kann ich mich nach Herberts diversen Zechereien flugs verflüchtigen. Allerdings bekomme ich dann oft auch nicht mehr mit, wann Herbert nach Hause kommt. Gestern jedenfalls scheint es mal wieder später geworden zu sein.
Wütend stampfe ich die Kellertreppe hinauf und knalle provokativ die Kellertür zu. „Herbert!“
***
Acht Jahre später betrete ich erneut meine Bank, um mir meinen monatlichen Scheck über 2.500 Euro abzuholen.
Herbert war an jenem verhängnisvollen Abend gar nicht nach Hause gekommen. Irritiert stand ich am Morgen in seinem Schlafzimmer und blickte auf sein unberührtes Bett. Sollte Mr. Q etwa bereits tätig geworden sein? Sollte mein Elend wahrhaftig schon ein Ende haben? Ich musste noch eine geschlagene Stunde warten, bis man mich über das tatsächliche Schicksal von Herbert unterrichtete.
Wie jeden Dienstag war Herbert in jener Nacht vom Goldenden Elch angesäuselt durch den kleinen Park nach Hause marschiert, als ein neu aufgestelltes, kleines Holzschild seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Pinkeln verboten! Herbert fasste das scheinbar weniger als Warnung, als vielmehr als Aufforderung auf. Kurzerhand ließ er die Hosen runter und trat siegessicher und mit blankem Hintern auf das Schild zu. Die 2,3 Promille, die er intus hatte, taten dabei ihr Übriges. Noch ehe der erste Tropfen kam, strauchelte er. Der markerschütternde Schrei, der daraufhin durch den kleinen Park und die angrenzende Umgebung schallte, holte sämtliche Nachbarn aus dem Tiefschlaf. Bis heute ist es uns allen ein Rätsel, was jemand damit bezweckte, in einer so gut behüteten Gegend wie der unseren, ein verrostetes Fangeisen aufzustellen. Mir war jedenfalls nichts von freilaufenden Wildschweinen bekannt.
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