Siegfried Ahlborn - Veronika

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Beigetreten war sie dem Kreis, weil sich vor genau fünfundzwanzig Jahren ein Schüler ihrer Klasse, mit dem sie ein kurzes Liebesverhältnis eingegangen war, das Leben genommen hatte. Daraufhin hatte sie das Kind, das sie von ihm unter dem Herzen trug, abgetrieben.
Aber nun will sie nicht länger auf ein Zeichen Gottes warten und stellt ihn sogar infrage, da sie glaubt, dass er – wenn es ihn überhaupt gibt – weder hilft noch helfen will.
Da begegnet ihr auf einem einsamen Wiesenweg eine Blumengärtnerin, die ihr von einem Weg zu Gott durch die Natur hindurch spricht.

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Siegfried Ahlborn

Veronika

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Der Zweifel

Im Blumengarten

Die Entstehung der Welt

Der Stein der Weisen

Ein gottgefälliges Leben

Die Frucht der Sehnsucht

Auf dem Heimatstern

Zurück im Leben

Das zweite Ich

Gott und die Welt

Ende und Anfang

Impressum neobooks

Der Zweifel

„Liebe Freunde, warum haben die Menschen Sehnsucht nach etwas Höherem? Warum sehnen sie sich nach Gott oder überhaupt einer höheren Macht?

Weil den Menschen Geburt und Tod als Grenzen ihres Lebens undurchschaubar geworden sind. Sie empfinden die Beschränktheit ihres Daseins innerhalb dieser Grenzen und wenden sich an eine höhere Macht. Und das ist auch berechtigt, liebe Freunde, denn hinter diesen Grenzen von Geburt und Tod steht die Macht Gottes, die uns ins Leben führt und uns behütet, wenn wir das Leben wieder verlassen.

Aber nicht nur hinter diesen Grenzen finden wir Gott, sondern wir finden ihn in allen Dingen, die uns tagtäglich umgeben. Deshalb haben wir uns hier versammelt, um Gott in uns aufzunehmen, bis über den Tod hinaus. Hier finden wir die Kraft, die wir brauchen, um unser Leben so zu führen, dass es Gott gefällt.“

So begann der Leiter des Glaubenskreises seine Ausführungen an jenem Vormittag, an dem sich für Veronika alles ändern sollte. Er war gerade einmal sechsunddreißig Jahre alt und hatte die Leitung dieses Kreises vor kurzem erst übernommen. Die Zuhörer nickten und er fuhr mit tiefer Überzeugung fort:

„Und ein gottgefälliges Leben zu führen, liebe Freunde, ist die Voraussetzung für ein gesundes und glückliches Leben. Und ein gesundes und glückliches Leben stärkt wiederum unseren Glauben und unsere Zuneigung zu Gott.

Warum kann ich das so sicher sagen? Weil wir die Früchte sehen. Wir sehen sie an den vielen Heilungen, die wir in diesem Kreise schon erfahren haben und an der geistigen Kraft, die wir durch unseren Glauben jeden Tag aufs Neue bekommen.“

Er machte eine Pause und schaute fragend in die Runde: „Was können wir dafür tun? Wir dürfen an Gott nicht zweifeln, liebe Freunde. Der Zweifel ist eine Kraft, die unsere Seele dem Bösen in die Hände gibt. Denn der Zweifel zerreißt die Einheit der Seele und zerstört die positive Kraft, die ihr durch den Glauben gegeben ist. Durch den Zweifel geht uns diese Kraft verloren. Wer allen Zweifel aus seiner Seele entfernt, der ist reif für die Heilung, der befindet sich in Gott und führt somit auch ein gottgefälliges Leben.“

Seine Augen wanderten aufmunternd durch die Reihen der Zuhörer und blieben auf Veronika haften. Veronika, eine sechzigjährige Lehrerin für Deutsch und Religion, hatte den Kopf gesenkt und schien mit einem Zweifel zu kämpfen. Sie war seit fünfundzwanzig Jahren Mitglied dieses Kreises.

„Veronika“, sagte er, „möchtest du vielleicht etwas sagen?“

Sie reagierte nicht. „Veronika“, wiederholte er, „du hast lange nichts gesagt. Du hast bestimmt Gott in dir erfahren. Bitte erzähle uns doch davon.“

Veronika erhob sich etwas zögernd und gedankenverloren. Sie war immer eine gute Rednerin gewesen, zumal sie schon durch ihren Beruf in Glaubensfragen sehr bewandert war, und es war ungewöhnlich, sie jetzt so zu sehen.

Doch noch ungewöhnlicher war das, was sie dann sagte. Sie schritt zum Mikrofon auf die Bühne vor die Freunde, die mit offenen Herzen und erwartungsvollen Blicken im Saale saßen und sagte: „Ein gottgefälliges Leben führen? Wer ist Gott?“

Alle schauten aufmerksam, lehnten sich zurück oder nach vorne und erwarteten eine seelenerwärmende Ausführung über die Wesenheit Gottes und die Absicht seinem Willen zu folgen, denn sie wusste immer so schöne Sachen zu sagen.

Aber was dann kam, war unerwartet. Veronika holte tief Atem und sagte mit einer Stimme, die man sonst nicht an ihr kannte:

„Ich habe nachgedacht und habe die Frage, ob es Gott überhaupt gibt oder ob er nur eine Einbildung unserer Wünsche ist.“

Noch blieb die positive Spannung bei den Zuhörern bestehen, denn jeder wusste, dass jetzt die erlebte Begründung der Existenz Gottes käme. Aber dem war nicht so. Sie holte noch einmal tief Atem und sagte dann:

„Ich habe Gott nicht gefunden – während der ganzen Jahre, die ich bei euch war. Ich habe nur aus Angst gehandelt. Aus Angst, krank und unglücklich zu werden, bin ich euch gefolgt. Einzelne sind gesund geworden – durch Gott, wie Ihr sagt. Und auch ich bin einmal besonders schnell von einer Grippe genesen. Aber war das Gott? Warum kann er mich gesund machen, wenn er andere Menschen krank sein lässt. Straft er sie, wenn sie nicht an ihn glauben? Ist Gott dann beleidigt?“

„Was ist denn mit dir passiert?“ flüsterte Edeltraut, ihre Freundin, die in der ersten Reihe saß und die Welt nicht mehr verstand. Veronika hörte es und wusste auch wohl, was mit ihr passiert war, aber sie konnte es nicht sagen. Sie begann zu schwitzen und fuhr fort:

„Wir glauben an Gott und fühlen uns gut. Aber es gibt Menschen, die glauben nicht an Gott und denen geht es trotzdem gut. Sie sind gesund und glücklich. – Ich würde sogar sagen, sie sind frei, denn sie befinden sich nicht in der ständigen Selbstbeobachtung eines gottgefälligen Lebens. Sie sind aber auch nicht böse, sondern liebevoll, rücksichtsvoll und freundlich. – Wie gesagt: ohne Gott.“

Sie hielt inne und sah aus den Augenwinkeln, dass sich der Leiter des Kreises von seinem Sitz erhoben hatte und im Begriff war, einzugreifen. Auch die Zuhörer wurden jetzt unruhig und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihr das Wort entzögen. Also holte sie emotional zum letzten Schlage aus:

„Ich glaubte ja bisher an Gott, aber der Glaube reicht mir nicht mehr. Ich möchte wissen, ob es Gott wirklich gibt. – Wir sollen immer nur glauben und glauben, sollen vertrauen und dürfen nicht zweifeln, weil uns dann der Teufel holt und wir aus der Wahrheit fallen. Aber ist der Zweifel nicht die Voraussetzung, um weiter zu suchen und weiter zu kommen? Was ist, wenn wir gar nicht in der Wahrheit sind, wenn man uns hinters Licht führt? Wo ist Gott, wenn wir ihn wirklich brauchen …?“

Das war genug und im Saal wurde es laut. Da legte der Leiter des Kreises seinen Arm um sie und sagte mit einer den Saal beruhigenden Stimme:

„Liebe Freunde, das war jetzt einmal eine ganz andere Art von Beitrag. Aber wir wissen ja, dass wir auch gegen solche Gedanken gewappnet sein müssen. Unsere Freundin hier ist in einer Krise und wir wollen für sie bitten. Wir wissen, dass wir uns in der Wahrheit Gottes befinden und dass wir nichts zu befürchten brauchen, wenn wir ihn als Führer haben und sein Wille unser Wille ist. Lassen wir Gott handeln. Bitten wir für Veronika und singen wir jetzt gemeinsam: Gott ist allmächtig.“

Sofort begann der Klavierspieler mit den ersten Akkorden und der Leiter entließ Veronika auf ihren Platz.

Aber Veronika konnte sich nicht mehr zu den anderen setzten. Sie verließ den Saal.

„Ein gottgefälliges Leben“, murmelte sie vor sich hin. „Ein gottgefälliges Leben... und warum hilft er mir nicht?“

Sie stieg in ihr Auto, legte den Kopf auf das Lenkrad und dachte nach. Sie hatte alles verloren, was sie in ihrem Glauben gehalten hatte und konnte in diesen Kreis auch nicht mehr zurück, es sei denn, sie würde öffentlich bereuen und mit ergreifenden Worten schildern, wie ihr Gott die Wahrheit wieder offenbart habe.

Aber sie wusste, dass sie das nicht tun würde. Etwas in ihr war zerbrochen und das hatte einen ganz besonderen Grund:

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