„Soweit ich weiß sind sie zu viert.“ Unsicher ruht mein Blick auf Mr. Qs rot-schwarz gestreifter Krawatte, während ich meine Antwort noch einmal überdenke. „Spielt man Skat zu viert? Jetzt wo ich darüber nachdenke, muss ich gestehen, dass ich mir noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht habe, wie viele Leute man für ein Skatspiel benötigt. Sie wissen es nicht zufällig?“
Mr. Q sieht mich ungläubig an. „Sie wissen also nicht, mit wem sich Ihr Mann jeden Dienstag trifft?“
So, wie er das sagt, klingt es gleich irgendwie verdächtig. „Nun ja, ich überwache meinen Herbert doch nicht. Er hat seine Kumpel und ich kenne sie natürlich alle. Aber wer da nun regelmäßig dienstags anwesend ist, kann ich ehrlich nicht sagen.“
„Aber Sie sind sich sicher, dass er im Goldenen Elch ist?“
„Natürlich! Wir kennen den Wirt schon seit Jahren und halten ihm die Treue.“ Wieder dieser skeptische Blick von Mr. Q.
„Also gut“, lenkt er schließlich ein. „Haben Sie das Foto dabei?“
„Ja“, sage ich, erleichtert scheinbar doch noch etwas Brauchbares beisteuern zu können. Ich ziehe es aus meinem Portemonnaie und schiebe es, nach einem kurzen Blick auf die Fotografie, über den Tisch. Mr. Q nimmt es auf und studiert es eingehend.
„Ich denke, das dürfte fürs Erste reichen.“ Geschäftsmäßig sammelt Mr. Q all seine Utensilien zusammen und erhebt sich galant. „Wenn Sie mir dann bitte noch die Anzahlung aushändigen würden?“
Ich bin ein wenig verwirrt. Sollte das etwa schon alles gewesen sein? Ich hatte viel mehr Zeit für das Treffen mit Mr. Q eingeplant. Enttäuscht krame ich in meiner Handtasche herum, um nach dem Kuvert zu suchen, während Mr. Q bereits erwartungsvoll und mit ausgestreckter Hand vor mir steht. Endlich habe ich es gefunden.
„Tschuldigung“, nervös überreiche ich ihm den braunen Umschlag. „In meiner Handtasche herrscht immer so ein Chaos, da ...“
„Ist schon in Ordnung“, unterbricht mich Mr. Q unwirsch, wobei er mir den Umschlag förmlich aus der Hand reißt. Ich bin ein wenig empört angesichts seiner schlechten Manieren. Schließlich habe ich ihm gerade meine gesamten Ersparnisse überreicht. 10.000 Euro. Jahrelang mühsam vom Haushaltsgeld beiseite geschafft. Versteckt am unteren Boden des Wäschepuffs in einer extra für diesen Zweck zusammengenähten Unterhose von Herbert. Bei dem Gedanken daran muss ich wieder kichern. Es gibt Orte, da kann sich Frau sicher sein, dass kein Ehemann der Welt dafür gesteigertes Interesse aufbringt. Und dreckige Wäsche gehört mit Abstand zu den sichersten Orten. Für so viel Raffinesse kann man doch wirklich etwas mehr Respekt erwarten.
Noch bevor ich Gelegenheit habe, Mr. Q auf sein unangemessenes Benehmen anzusprechen, geht er schon zum letzten Punkt der Tagesordnung über.
„Sobald nächste Woche das restliche Geld in meinem Postfach liegt, werde ich wie besprochen mit meiner Arbeit beginnen.“ Mr. Q steht jetzt direkt vor mir, um nicht zu sagen über mir, weil ich ja noch sitze. Den Kopf weit zurückgelegt, blicke ich angestrengt zu ihm nach oben. Hoffentlich verrutscht das Kopftuch nicht.
„Für Sie bedeutet das dann Abwarten und Tee trinken“, weist Mr. Q mich an und nickt in Richtung meiner Schwarzwälder Kirschtorte, die noch immer unangetastet vor mir steht.
Mein Halswirbel knackt, als ich ihm zur Bestätigung zunicke.
„Wenn alles wie geplant läuft, werden wir uns nicht noch einmal begegnen.“
Wieder ein Knacken im Nacken. Ein leises Kichern entweicht meiner Kehle angesichts des unbeabsichtigten Reims.
Und dann ist er weg. Einfach verschwunden. Ohne sich zu verabschieden. Wie versteinert sitze ich da, bis ich schließlich registriere, dass er wohl nicht wieder zurückkommen wird.
Ungläubig schüttele ich den Kopf. Zu schade, dass wir uns nicht wiedersehen. Mr. Q hätte es wirklich dringend nötig, dass ich ihn einmal über gute Umgangsformen aufkläre. So geht man doch schließlich nicht mit seinen Mitmenschen um. Ich ziehe die Schultern zurück und lasse meinen Kopf auf den Schultern kreisen, um die unangenehme Starre in meinem Nacken zu lösen.
Schwarzwälder Kirschtorte. Wie war ich nur auf den Gedanken gekommen, ich könnte bei solch einer Begegnung etwas essen? Während ich noch überlege, ob ich eigentlich Appetit habe, lässt mich ein Griff auf meine Schulter zusammenfahren.
„Gerda! Wusste ich doch, dass du es bist!“ Ohne weitere Umstände lässt Uschi sich auf den mir gegenüberliegenden Platz sinken. Kurz durchzuckt mich die Überlegung, ob der wohl noch warm von Mr. Qs Hintern ist.
„Hallo Uschi!“, bekomme ich gerade noch heraus. Mehr nicht, denn Uschi ist jetzt alarmiert.
„Was machst du denn hier? Und warum um Himmels Willen trägst du dieses furchtbare Kopftuch? Haben wir schon Karneval?“
Ich merke, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Uschi registriert mein Erröten und setzt sofort ihr Hab-ich-dich-ertappt-Gesicht auf. „Oh, störe ich vielleicht? Erwartest du etwa jemanden?“ Aufgeregt sieht sie sich um.
„Quatsch!“, falle ich ihr sofort ins Wort und bin froh, dass Mr. Q nichts verzehren wollte. Eine zweite Kaffeetasse hätte ich schwerlich erklären können.
Die Antwort scheint Uschi auszureichen, um es sich auf ihrem Stuhl jetzt so richtig bequem zu machen.
„Und“, führt Uschi die bisher eher einseitige Unterhaltung ohne Umschweife fort, „hast du schon alles für unseren Wohltätigkeitsbasar zusammen?“
Ach herrje, der Wohltätigkeitsbasar. Den hatte ich völlig vergessen. Kein Wunder, bei der ganzen Aufregung in den letzten Tagen. Da hatte ich wahrlich Wichtigeres zu tun.
„Sicher Uschi“, flöte ich ihr ungeniert entgegen und nippe elegant an meinem Kaffee. „Du kennst mich doch, wie könnte ich ein so wichtiges Ereignis vergessen?“
Skeptisch blickt Uschi mich an, als sei sie sich nicht sicher, ob sie meinen Worten trauen kann. Also lege ich noch einen drauf. „Ich habe bereits den halben Keller entrümpelt und bin dabei auf ein paar sehr interessante Dinge gestoßen, die sich sicher gut verkaufen lassen.“
Kein Stück hab´ ich bisher zusammen. Herbert kann sich ja von nichts trennen. Das ist doch noch gut, das kann man doch noch gebrauchen. Nur weil hier und da was abgeblättert ist, muss man doch nicht das ganze Service wegschmeißen. Wie ich das hasse. Dieser ewige Geiz. Und dann diese hässlichen Krüge, die er überall in der Wohnung herumstehen hat. Sowas von hässlich. Nur über meine Leiche, hat er gesagt, der Herbert. Na dann …
„Prima! Ich hab ja, ehrlich gesagt, immer Schwierigkeiten, mich von dem Gerümpel zu trennen.“ Uschi lacht mich jetzt offen an. „Aber wenn du so gut bestückt bist, kann ich ja vielleicht etwas kürzer treten.“
Der Kellner kommt und überreicht Uschi ein eingewickeltes Paket.
„Oh, vielen Dank!“ Uschi schnappt sich das Päckchen und ist schon auf den Beinen. „Ich muss los, Hans-Günther wartet.“
Ein fliegender Handkuss und weg ist sie. Zurück bleibe ich und das elendige Stück Torte.
Zaghaft blicke ich mich noch einmal in alle Richtungen um. Das Café hat sich zwischenzeitlich geleert, selbst der komische Kauz mit der Kapuze, der mich ständig beobachtet hat, ist verschwunden. In geduckter Haltung krame ich geheimnisvoll in meiner viel zu großen Handtasche nach dem Schreiben der Lotteriegesellschaft. So etwas trifft einen ja erst einmal völlig unvorbereitet. 250.000 Euro. Was für ein Glück. Erfüllen Sie sich Ihre langersehnten Träume…
Ich musste mir das Schreiben genau zweimal durchlesen, um zu wissen, woraus meine langersehnten Träume bestehen. Jetzt bedurfte es nur noch der Umsetzung. Aber mit 250.000 Euro dürfte das ja nicht so schwer werden. Und so war es dann auch. Ich musste mich nur an Mr. Q wenden, der würde das Kind schon schaukeln.
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