1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Hodler hatte ihm aufmerksam zugehört. Er bestätigte: „In der Tat sollte es sehr schwer sein.“
„Ist es auch“, betonte Oates. „Zum anderen müssen Sie berücksichtigen, dass die Leute in den Bergen natürlich Opium anbauen. Doch nach meinem Wissen verbrauchen sie es im Wesentlichen für sich selbst. Das hängt damit zusammen, dass ihre Ernährung schlecht ist und auch die medizinische Betreuung. In den Bergen gibt es kaum einen Bewohner, der nicht von jung auf Opium in irgendeiner Form zu sich nimmt, regelmäßig oder sporadisch. Vermutlich orientiert sich Ihre Kommission an diesem Sachverhalt. Das müssen Sie berücksichtigen.“
„Sie meinen also, dreißigtausend Tonnen jährlich können nicht aus den Mohnanbaugebieten Afghanistans kommen?“
„Ich halte das auf jeden Fall für sehr unwahrscheinlich.“
„Und woher kommen sie dann?“
Oates hatte auf diese Frage gewartet. Er antwortete bedächtig: „Mister Hodler, wenn Ihnen an einem Tipp gelegen ist, dann würde ich Ihnen raten, einmal das östliche Nachbarland etwas genauer unter die Lupe zu nehmen.“
„Pakistan?“
Oates nickte. „Hierzulande weiß man, dass in den nordwestlichen Bezirken Pakistans ganz erhebliche Mengen Opium angebaut werden. Besonders in den Grenzgebieten zu Afghanistan, in denen solche Stämme leben wie die Paschai, die Nuristani und die Gujar. Es wird Ihnen nicht entgangen sein, dass die pakistanische Regierung ihr Land ziemlich isoliert hat. Ein pakistanisches Einreisevisum ist heute mehr wert als eine Aktie bei Ford. Warum ist das so? Man will sich nicht hinter die Kulissen schauen lassen. So etwas hat immer seinen Grund. Und denken Sie auch an die verschiedenen Parteien des Kaschmirkonflikts und ihren Finanzierungsbedarf. Wenn Sie mich fragen – ich bin nicht der einzige, der annimmt, dass die Quelle, die Sie in Afghanistan vermuten, sich in Pakistan befindet.“
Warum belügt mich dieser Mann, fragte sich Hodler unvermittelt. Er hörte Oates weiter mit interessierter Miene zu, doch er überlegte, was seinen Gesprächspartner veranlassen könnte, ihn von dem abzulenken, was er untersuchen wollte. Pakistan! Hodler war versucht, den Kopf zu schütteln. Offenbar denkt er, dass ich schlecht informiert bin. Soll er es ruhig weiter glauben! Wer sich auch nur im entferntesten mit den Verhältnissen in diesem Teil Asiens beschäftigt, der weiß längst, dass Stämme wie die Pamiri oder die Nuristani seit Jahren in Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung Pakistans leben, mit dem Ziel der Abtrennung ihrer Stammesgebiete von Pakistan. Aus welchem Grund sollten die Rebellen in Pakistans Nordwestgebieten ausgerechnet der Zentralregierung, die sie bekämpfen, ihr Opium zum Weiterverkauf anbieten? Eine absurde Idee. Tauglich nur, um Leute irrezuführen, die überhaupt nichts von dem begriffen haben, was heute in Mittelasien vor sich geht. Warum also will dieser Mr. Oates mir ausreden, was eine Kommission von gut informierten Leuten in jahrelanger intensiver Kleinarbeit zusammengetragen hat? Deckt er jemanden? Und wenn ja, wen? Oder deckt er sich selbst? Doch warum? Er ist der Leiter dieser offiziellen US-amerikanischen Dienststelle!
Schließlich äußerte der Professor: „Sie haben mich da auf einen interessanten Aspekt hingewiesen, Mister Oates. Ich werde das zu überlegen haben.“ Er hob in einer hilflosen Gebärde die Hände. „So ist das manchmal! Man hat seine Theorien, und man hat seine Voreingenommenheiten, aber sobald man sie an der Realität erproben will, erweisen sie sich als falsch.“
Oates lächelte. Er goss sich ungeniert einen weiteren Bourbon ein, blies ein paar Rauchkringel in die Luft und sagte obenhin: „Nun ja, das ist verständlich. Wir, die wir hier leben, haben doch einen besseren Einblick in die Dinge.“
„Sie sind schon lange hier?“
„Jahre. Wissen Sie, wir haben die Aufgabe, industrielle Kooperationsvorhaben zu koordinieren. Das ist eine langfristige Sache. Kein aufregender Betrieb wie in einer Tageszeitung. Und es zahlt sich aus, wenn man das nicht nur kurze Zeit macht, sondern eben über viele Jahre, weil man dann erst das richtige Fingerspitzengefühl bekommt.“
„Fingerspitzengefühl brauchen Sie dafür sicher“, meinte Hodler. Er gab sich Mühe, es nicht ironisch klingen zu lassen.
Was war das für ein Mensch? fragte sich der Schweizer. Ich weiß nicht mehr von ihm als das, was mir der Sekretär der Kommission gesagt hat: ein Mann, der im Regierungsauftrag in Kabul ist. Ein Mann mit viel Einfluss und mit guten Kenntnissen über Land und Leute, genauen Kenntnissen, und mit Verbindungen, besten Verbindungen. Aus dem Mund des Sekretärs hatte es so geklungen, als gebe er Hodler nicht einfach den Rat, sich an Oates zu wenden, sondern als erwarte er, dass der Professor das tue. Hodler hatte durch eine Zwischenfrage erfahren, dass der Sekretär diesen Mr. Oates nie im Leben gesehen hatte. Wer also hatte ihn angewiesen, einen Mann, der im Auftrag der Kommission nach Kabul reiste, bei diesem Mr. Oates anlaufen zu lassen? Man könnte zur US-amerikanischen Botschaft gehen und sich erkundigen, was von Oates zu halten ist. Doch das würde wenig nützen. Wer weiß, auf wen man dort trifft. Oder zur Botschaft der Schweiz? Auch nicht sehr sinnvoll. Auf jeden Fall muss es einen Grund dafür geben, dass Mr. Oates versucht, meine Aufmerksamkeit von dem Opium, das hierzulande produziert und weiterverhökert wird, abzulenken und mir einzureden, dies alles wäre nur in Pakistan aufzuklären. Ausgerechnet in einem Land, das den Opiumanbau ebenso wie den Konsum der Droge seit der Unabhängigkeit verboten hat und nachweisen kann, dass dieses Verbot respektiert wird, außer in jenen Gebieten, die sich im Aufstand gegen die Regierung befinden.
Die Territorien der Aufständischen aber grenzen an Afghanistan. Und Mr. Oates beschwört für die Regionen in Afghanistan, an die sie grenzen, die islamistische Gefahr, um rechtzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass es unmöglich ist, an Ort und Stelle Nachforschungen zu betreiben. Liegt es daran, dass dieser Mann schon jahrelang in Kabul lebt, dass er mich für so naiv hält, ihm das zu glauben?
„Ich denke“, sagte er langsam, „ich sollte mir noch einen weiteren Rat bei Ihnen holen.“
Als Oates ihn freundlich aufforderte: „Aber bitte!“, erkundigte sich Hodler: „Halten Sie es für möglich, dass ich für ein paar Tage in eine dieser Gegenden reise? Ich denke an den Nordosten des Landes, jene Gebirgsgegend, in der wir besonders viele und ertragreiche Felder mit Mohn vermuten und die Produzenten dazu?“
Oates zog die Brauen hoch. „Wie alt sind Sie?“
„Fünfundfünfzig.“
Der US-Amerikaner zuckte die Schultern. Was er sagte, klang besorgt. „Raten würde ich Ihnen das nicht. Es ist eine Strapaze, die selbst jungen Menschen arg zu schaffen macht. Wüstenei und Gebirge, das ist eine tödliche Mischung. Kaum Wege. Kein Trinkwasser. Riesige Entfernungen von einer Siedlung zur anderen. Und dazwischen eine Menge unmittelbarer Gefahren.“
„Sie kennen die Gegend?“
„Nicht besonders gut“, schränkte Oates vorsichtig ein. „Auch ich muss mir überlegen, was ich mir noch zumuten kann. Doch abgesehen davon, würde eine solche Reise nutzlos sein. Niemand würde Ihnen dort die Antworten geben, auf die Sie aus sind. Sie würden so gut wie nichts erfahren. Sie riskieren höchstens, dass jemand sich durch Ihre Neugier gefährdet wähnt und Ihnen von hinten eine Kugel in den Kopf schießt.“
„Keine schöne Vorstellung“, sagte Hodler trocken. „Dies scheint ein Land mit rauen Sitten zu sein!“
„Das ist es. Lassen Sie sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen. Zwanzig Kilometer um Kabul herum wird immer noch nach der Methode verfahren, zuerst zu schießen und danach Fragen zu stellen.“
Er ist ein Fuchs, überlegte Hodler. Er weiß genau, wohin er mich haben will. Jedenfalls nicht dorthin, wo ich Aufschluss über das bekommen könnte, was mich hergeführt hat. Er erhob sich. „Ich habe Ihnen sehr zu danken.“
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