„Was er nicht sagte“, spottete Oates. „Da muss ich also wirklich höllisch aufpassen.“
Wieder allein setzte sich Oates auf den Schreibtisch und ließ die Beine baumeln. Der Untergebene für das nächste Briefing musste jeden Augenblick zur Tür hereintreten. Als er ausblieb, fragte Oates über die Gegensprechanlage nach. „Er ist bereits da“, piepste Miss Douglas. „Hat im Besucherraum II Platz genommen. Ich schicke ihn zu Ihnen.“
„Das lassen Sie schön bleiben“, befahl Oates. „Ich komme rüber.“
In besagtem Besucherraum saß, ein Bein unter den Körper gezogen, ein US-amerikanisch gekleideter Gentleman mit Stetson und Cowboystiefeln, ein Mann nicht ganz leicht bestimmbaren Alters und olivefarbenem Teint, dicklich, gedrungen, schütteren Haares und blank rasiert, auf einem Diwan, mit weitgeöffnetem Mund vernehmlich schnarchend.
Oates fing ein paar Fliegen, riss ihnen die Flügel aus und warf sie, eine nach der anderen, in den geöffneten Mund des Schläfers. Die Reaktion trat prompt ein: Die flügellosen Tiere krochen in der Mundhöhle des Dicken herum und gerieten in den Schlund. Das Schnarchen brach ab, derweil der fast gleichzeitig einsetzende Hustenanfall ein paar Fliegen hinausschleuderte, andere dagegen, in die Nase gelangt, ein heftiges Niesen hervorriefen, wobei der Stetson ins Zimmer kollerte.
Oates lachte trocken auf, indessen die mitgeeilte Miss Douglas eine nach beiden Seiten verbindliche Haltung einnahm.
„Ich habe von Wölfen geträumt“, keuchte der Korpulente mit merkwürdig sanfter Stimme, auf die angesichts der Dimensionen seiner Leibesfülle niemand gewappnet war, und begann, sich schlaftrunken die Augen zu reiben.
„Nein, Skinney, es sind noch nicht einmal Esel, sondern lediglich Fliegen“, griente Oates und gab Miss Douglas mit einem Wink zu verstehen, die Tür von außen zu schließen.
„Oates? Oates? Endlich!“ rief Skinney und sprang mit kaum zu erwartender Agilität auf die Beine, riss die Augen auf und fuhr fort: „Gott sei Lob und Dank! Als ich Sie zuletzt gesehen habe in San Alfredo ...“
„Es war in San Antonio, wenn ich mich recht erinnere, wo ich Sie vor einem peinlichem Interview mit der Polizei rettete“, versetzte Oates, amüsiert auf die kindlichen Züge des anderen schauend. „Wie ich sehe, sind Sie einem normalen Menschen noch immer nicht ähnlicher geworden.“
Der Dicke legte los, eine Reihe salbungsvoller, kunstvoll mit obszönen Flüchen vermengter Phrasen von sich zu geben, bis ihn endlich Oates harsch unterbrach: „Danke, Mister Nicolas Freeman Skinney, Stopp! Ich kenne das Programm zu Genüge. Damit können Sie hierzulande, allerdings an anderer Stelle durchaus brillieren. Nun, mein Lieber, ich habe Sie längst erwartet ...“
„Ich... wir...“, stammelte der Dicke, „wir waren so ziemlich an einem toten Punkt angelangt.“
„Sowohl tot wie Punkt ist übertrieben, wie ich Sie kenne“, antwortete Oates. „Also, Skinney, Sie kommen keine Sekunde zu früh. Was vor allem unverzüglich in Angriff genommen werden muss, ist die Rohopiumsache im Norden.“
„Warum so eilig?“ fragte Skinney und zeigte ein kaum merkliches Lächeln um seinen dünnlippigen Mund.
„Erstens, weil der Ertrag aus dieser Aktion die Betriebskosten einer anderen zu decken hat. Zum zweiten ist die Situation auf dem Opiummarkt gerade äußerst günstig.“
„Infolge der Restriktionen bestimmter...“, warf Skinney ein.
Oates schnitt ihm das Wort ab. „Shut up. Aber es stimmt schon. Seither sind die Preise in Afghanistan auf das Neunfache, über die Grenzen des Landes freilich auf das Vierzehnfache gestiegen. Wir sind selbstredend nicht die einzigen, die das wissen. Wie ich gerade erfahren habe, bereitet eine Gruppe Paschai in Nordpakistan einen ganz großen Coup vor, der, wenn er gelingt, natürlich die Preise wieder hinabsausen lassen wird. Wir müssen den Kerlen da oben also zuvorkommen.“
Skinney nickte eifrig mit dem Kopf, zog einen Bleistift heraus und begann auf einem Notizzettel zu rechnen.
„Lassen Sie die Kindereien“, warf ihm Oates zu, „den Gewinn auszurechnen ist man doch nur imstande, wenn man die Gestehungskosten kennt, und davon haben Sie keine Ahnung... Nun, was ich sagen will, ist: Falls die Paschais uns zuvorkommen, ist das Geschäft für uns verloren. Die enorme Menge, die sie hinüberschmuggeln wollen, würde die Preise abstürzen lassen und sie für etliche Zeit niedrig halten. Es kommt also darauf an, dass unser Mann im Pamir die Ware so schnell wie möglich in Händen hat.“
„Wie aber, zum Teufel, wollen Sie die Ware über den Oxus bringen? Dorthin darf doch unsereiner nicht, wie ich gehört habe“, unterbrach ihn Skinney.
„Vermutlich durch deutsche Regierungsluftschiffe“, entgegnete Oates ausfällig.
„Sie sollten sich mehr mit der Bibel befassen, geliebter Bruder im Herrn, dann würden Sie wissen, dass man seinen Nebenmenschen nicht zum Besten halten darf, wenn er eine ernsthafte, zur Sache gehörige Frage stellt.“
„Well, ich werde es mir merken. Für die Zukunft. Jetzt aber lassen Sie uns gefälligst weitersprechen... Die Paschai glauben, wie ich erfahren habe, eine Art afghanisches Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Sie rüsten eine Salzkarawane aus, die in die Salzblöcke verpacktes Heroin transportiert. Was vielleicht gar nicht so dumm ist: Denn zum einen kontrolliert man Salzblöcke nur ganz oberflächlich, wenn es schon einer Patrouille einfallen sollte, die Karawane anzuhalten. Und zweitens sind die Salzhändler im Hochgebirge sozusagen sakrosankt, also unantastbar. Jedenfalls ist noch niemals ein Überfall auf Salzkaufleute vorgekommen. Und in den Salzblöcken der Kamelkarawanen lassen sich hübsche Mengen von Heroin transportieren.“
„Ein unglaubliches Land“, seufzte Skinney, „ich habe bereits Leibschmerzen von all dieser Romantik... Woher kennen Sie eigentlich diesen Banshef?“
„Wie kommen Sie auf Banshef? Nun, ein glücklicher Zufall. Wie Sie sich vielleicht noch erinnern... Aber nein, Sie waren damals bereits versetzt worden wegen allzu eifrigen Einsatzes im Kampf gegen...“
„Mister Oates, Sir“, unterbrach Skinney mit sanfter Stimme, „wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass ich Opfer meines Berufes wurde. Ich hatte den schwersten Teil dieser Mission auf mich genommen, die Bekehrung der schwarzen Schafe. Und um die Wölfe zum Grasgenuss zu bekehren, muss man vor allem mit ihnen heulen. Ich aber konnte eben nur dann heulen, wenn ich etwas getrunken hatte.“
„Und wie war die Geschichte in Corpus Christi, Texas, Euer Merkwürden, als man einen gewissen Nicolas Freeman Skinney in ein Teerfass stecken wollte, weil er im heiligen Eifer seiner Tätigkeit irrtümlicherweise einen falschen Scheck ausgegeben, gutes Geld eingenommen und dann noch ein Schäfchen seiner Gemeinde zu verführen versucht hatte?“
„Lassen wir das, Oates“, stöhnte Skinney und erhob beschwörend die Hände, um sie, mit einer überraschend schnellen und plötzlichen Bewegung, als geballte Fäuste dem grinsenden Oates unter die Nase zu halten. „Falls Sie sich erinnern wollen, hatten diese Fäuste...“
„...vor vielen Jahren einmal in New Orleans die Mittelgewichtsklasse für die Südstaaten gewonnen, ich kenne Ihre Akte“, nahm ihm Oates beschwichtigend das Wort aus dem Mund und drückte Skinneys Fäuste herunter. „Zurück zu unserer dringlichsten Aufgabe...“
„Wollen Sie eine Jeepkolonne gegen die Kamelkarawane ausrüsten?“
„Quatsch, Skinney, uns wird ein einziger Chinook ausreichen.“
„Solange es nur über Pässe unterhalb fünftausend Metern geht...“
„Das wird es, Skinney, das wird es. Und wenn es sein muss, suchen wir ein Zwischenlager und fliegen zweimal...“ Oates lachte flüchtig auf. Ein trockenes, unpersönliches Lachen.
„Sie haben leicht lachen, Oates“, sagte mit sanftem Augenaufschlag der dickliche Skinney. „Sie kennen sich in diesem Land aus, vertragen die Hitze und die Kälte, verstehen die Sprachen, während ich eigentlich Spezialist bin für Lateinamerika und zudem...“
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