Parker hatte Wort gehalten, denn als Stamp aus dem Restaurant trat, wartete der Jeep bereits. Die Mittagshitze war zwar schon vorbei, doch die Sonne stand noch immer hoch, und es war so heiß, dass Stamp am liebsten das Hemd ausziehen würde. Die Fahrt im Jeep verschaffte ihm etwas Kühlung, doch Stamp musste trotzdem daran denken, dass in der Maschine, die sie jetzt zu besteigen hatten, etwa sechzig Grad Wärme herrschen würden, und deshalb wünschte er, sie wären bereits zweitausend Meter hoch.
Parker stand im Schatten des Rotorkreuzes. Er grinste, als Stamp zu ihm trat und sich träge erkundigte: „Wer was?“
„Boy“, sagte der Pilot, „da hat uns der liebe Gott ein Geschenk von kaiserlichem Format vor die Füße gelegt!“
„Ich versteh gar nichts.“
„Du wirst gleich verstehen. Lass uns das Vögelchen erst mal starten.“
Sie kontrollierten die Maschine so schnell, wie das in Faïzabad möglich war, weil es hier zuverlässiges Bodenpersonal gab, und krochen dann über die Eisenleiter in den Rumpf, der mit Kisten und Blechbehältern gefüllt war. Sofort trieb die Hitze ihnen den Schweiß in Strömen aus der Haut, und sie warfen ihre Kleidung ab, bis auf die Shorts, ohne die sie sich auf den heißen Lederpolstern der Sitze Brandblasen zugezogen hätten. So schnell sie nur konnten, checkten sie im Cockpit die Funktion der Aggregate und Leitungen, dann ließ Parker das Triebwerk an, während Stamp bereits mit dem Turm über den Start verhandelte. Es war keine andere Maschine unterwegs, und sie konnten ohne viel Zeitverlust direkt von der Piste losstarten. Parker hob ab, zog steil hoch und ließ das Triebwerk voll laufen, so dass nur Minuten vergingen, bis sich die Temperatur im Cockpit langsam zu mäßigen begann. Frische Luft zischte durch das Ventilationssystem. Bald griff Stamp nach seiner Hose, und als er wieder völlig angezogen war, übernahm er von Parker den Steuerknüppel, so dass dieser seine Kleidung anlegen konnte. Als sich Parker wieder hinter dem Steuer niederließ, sagte er zu Stamp: „So, und jetzt reden wir über ein Geschäft.“
Stamp grinste. „Über Geschäfte ist mit mir jederzeit zu reden. Was liegt an?“
Parker ließ sich Zeit, bis er zur Sache kam. Er fragte: „Wir fliegen Zeug für Rasuls Trupp, nicht wahr?“
„Was du nicht sagst!“
„Und Rasuls Trupp bringt zehn Säcke Stoff aus Pakistan.“
„Hervorragendes Gedächtnis hast du!“
Parker lachte. „Und ob! Ich habe mich sogar in Faïzabad an die Telefonnummer eines Herrn erinnert, den ich vor mehr als einem halben Jahr zum letzten Mal gesprochen habe.“
Stamp mahnte: „Ich würde es schätzen, Steve, wenn du endlich Klartext redetest. Was war mit dem Telefongespräch?“
„Der Boss. Über Satellit. Nur eine Nachricht. Verschlüsselt. Wir werden in Karambar heute unseren alten Freund Mir Khaibar nicht antreffen.“
„Ist er gestorben?“
„Nein. Er sitzt. In Faïzabad. In den nächsten Tagen soll er nach Kabul gebracht werden.“
Stamp schüttelte verwundert den Kopf. „Was kann der schon ausgefressen haben?“
„Opium verkauft. An Mister Oates vorbei. Auf eigene Rechnung.“
„Oha“, äußerte Stamp.
Parker nickte. „Ja, sowas hat der Boss nicht gern. Er muss ihn wohl zur Ordnung rufen. Hat er zwar nicht gesagt, aber so versteh ich das. Nun gut. Also – das ist die Neuigkeit.“
„Sehr interessant“, sagte Stamp, „aber was daran macht dich so fröhlich? Schadenfreude?“
„Merkst du nichts?“
„Gar nichts.“
„Auch nicht, wenn ich dir sage, dass wir in dem Dorf da oben vermutlich nur Jalaluddin antreffen, weil die anderen um diese Jahreszeit auf den Feldern sind?“
„Schöne Aussichten. Das Nest ist schon trist genug. Die Mädchen lassen sich nicht aufs Kreuz legen, zu essen muss man sich von zu Hause mitbringen, und die Hälfte von unserem Bier säuft uns Mir Khaibar noch weg.“
„Er ist nicht da“, erinnerte ihn Parker.
„Na, dann Jalaluddin.“
„Eben“, hakte Parker ein und wurde ernst. „Jetzt hör mal genau zu! Wir haben es bloß mit Jalaluddin zu tun. Sonst ist niemand da. Nur er. Und zehn Säcke voll Stoff. Na?“
Zuerst begriff Stamp immer noch nicht, was der Kollege andeuten wollte, doch dann lief über sein rundes, rosiges Gesicht ein breites Grinsen, und er zog die rotblonden Brauen hoch. „Sooo“, sagte er gedehnt. „Das ist allerdings eine Situation, aus der man einiges machen könnte.“
„Ich habe es schon gemacht“, erklärte Parker. „Mit einem Ferngespräch. Ich habe sofort von Faïzabad aus mit Mister Wali gesprochen.“
„Die alte Bauchfaltenlaus“, bemerkte Stamp abfällig.
Doch Parker fragte nur sachlich: „Weißt du, was er für zehn Säcke Stoff bezahlt?“
„Ich höre.“
„Zweihundertfünfzigtausend Dollar, mein Sohn. Das Kilogramm wird im Augenblick mit dreitausend Dollar gehandelt. Sagt dir das etwas?“
Stamp sah ihn an. „Die zehn Säcke gehören uns?“
‚‚Eben.‘‘
„Okay“, sagte Stamp. Doch sein Gesicht war besorgt. Er dachte an Oates. „Ob wir das so machen können, ohne dass der Boss Wind bekommt?“
„Über Wali geht das. Wali ist todsicher. Ich habe alles erledigt. Null Risiko.“
„Und wie machen wir es?“
Parker antwortete zögernd: „Zuerst will ich wissen, ob du dabei bist. Wenn nicht, reden wir kein Wort mehr darüber. Wenn ja, dann sind das für jeden von uns hundertfünfundzwanzigtausend. Damit und mit dem Rest kannst du deine Garagenkette gleich kaufen und brauchst sie nicht erst aufzubauen.“
Stamp überlegte nicht lange. Hundertfünfundzwanzigtausend Dollar, das war eine Summe, die gewisse Überlegungen ausschaltete. Risiko bestand bei jedem Geschäft. Sogar jeder einzelne dieser Flüge könnte der letzte sein, wenn irgendwo über den Bergen die Maschine nicht mehr mitmachte. Also gab es nicht viel nachzudenken. Man war gewohnt, mit der Gefahr zu leben. Warum sollte man da zögern, wenn es galt, mit einem vermutlich geringen Risiko hundertfünfundzwanzigtausend Dollar einzustreichen? Das Leben war kurz und der Dollar rund. Und ein Pilot, der nach zehn Jahren Dienst in Übersee in die Vereinigten Staaten zurückkam, stand genauso am Ende der Schlange von Arbeitslosen wie alle anderen, wenn er nicht selbst zusah, dass er seine Milch in den Eimer kriegte.
„Okay“, sagte Stamp, „du kannst auf mich rechnen, Steve.“
Der nickte zufrieden. Mit einer Kopfbewegung zur Funkanlage forderte er: „Nun sieh erst mal zu, dass du Rasuls Trupp bekommst. Wir machen es gleich, bevor Banshef seinen Coup mit der Salzkarawane landet. Sag Rasul Bescheid, dass wir unterwegs sind, Austausch heute nach Einbruch der Dunkelheit.“
Während Stamp die Kopfhörer anlegte und das Gerät einstellte, zog Parker die Maschine höher. Vor ihnen türmten sich die himmelhohen Berge. Der UH-1 flog gegen die Sonne. Auf den Kämmen der Felsriffe lag helles Licht. Die Täler waren graue Schlünde. Schluchten zeichneten sich in tiefem Schwarz ab. Von der Höhe aus, in der die Maschine flog, wirkte die Halbwüste zwischen den Höhenzügen wie ein graubraunes Tuch, unterbrochen vereinzelt vom Blitzen eines Wasserlaufes. Dort, auf den Südhängen, wo sich nicht das grünbräunlich gefleckte Grau des djangals, dieser Einöde mit den gelbbräunlichen Grasbüscheln und den raren Dornensträuchern, zeigte, lagen die Felder mit dem Mohn. Man konnte sie gut erkennen. Vom Flugzeug aus ebenso wie vom Satellit. Doch Parker wusste, es spielte keine Rolle. Und die Ernte war in vollem Gange. Parker griente zufrieden, denn das hieß, seine Rechnung würde aufgehen.
8
Die Schlucht lag einen Kilometer westlich von Karambar. Der Trampelpfad, der von der Siedlung zu ihr führte, zweigte kurz vor den ersten Felsen nach Norden ab und verlief dann über langsam ansteigendes Gelände in die Gegend, in der die Bewohner ihre Mohnfelder angelegt hatten. In der Schlucht war es kühl, und es herrschte selbst am hellen Tag ein dämmeriges Licht, weil die Sonne von den flachen ausladenden Kronen der niedrigen Büsche abgefangen wurde, die oberhalb der Felsen wuchsen. Es war einer jener Schluchten, deren safranfarbige, rötlich und violett schimmernde Felsmassen sich fast berührten und nur einen schmalen Spalt knallblauen Himmels freigaben. In der schwindelerregenden Höhe drohten mächtige Steinklötze, als warteten sie nur darauf, von irgendwelchen Unholden auf fremde Eindringlinge hinabgeschleudert zu werden. Ging man durch die Schlucht weiter, einige hundert Meter, gelangte man wieder in offenes Gelände, das stetig anstieg, bis dorthin, wo die Grenze zu Pakistan zum Greifen nahe schien. Es war kein weiter Weg dorthin, kaum eine halbe Stunde musste man gehen, doch die Leute aus Karambar konnten nicht sagen, wo genau die Grenzlinie verlief. Sie war nicht markiert, und wenn sie einmal markiert gewesen sein sollte, so hatte der dschangal diese Markierungen längst überwuchert. Ein breiter werdender Pfad verlief in südlicher Richtung, in das Gebiet, von dem die Leute aus Karambar wussten, dass dort ein oder zwei Tagesmärsche entfernt die ersten Siedlungen der Nuristani lagen. Kleine Dörfer, verlassen wirkend, in tiefem Gehölz versteckt, fast ohne jede Verbindung mit der Umwelt.
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