Mein Handy brennt schon in meiner Hosentasche. Ich habe es immer dabei, obwohl es ausgeschaltet ist. Vielleicht sollte ich ihn doch mal anrufen ... Ihn wenigstens fragen, wieso sein Name nicht mehr auf seinem Buch steht. Fragen, wie es ihm geht, was er so macht. Ob er glücklich oder traurig ist.
Aber ich habe einfach Angst vor der Antwort. Was, wenn er zufrieden ist? Wenn er jetzt mit Angie zusammen ist, mit ihr zusammen gezogen ist oder irgendetwas derartig abscheuliches.
Ich muss es wissen, ich muss es einfach wissen. Ich habe ihn jetzt fast eine Woche nicht mehr gesehen, nicht mehr seine Stimme gehört, ich muss jetzt einfach wissen, was er macht und fühlt.
Ich bleibe am Straßenrand stehen und schalte den Motor aus. Ängstlich, fast zitternd, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche. Soll ich das wirklich tun? Ja. Ja, ich sollte es wirklich tun. Ich schalte es ein und warte.
Einundzwanzig entgangene Anrufe und eine Nachricht auf der Mailbox. Neunzehn davon von Aiden, die anderen von Dad.
Mir schießt das Blut in den Kopf und alle Luft entweicht aus meinen Lungen. Er hat mich so oft versucht zu erreichen. Ich bin gleichzeitig enttäuscht und froh, dass ich mein Handy ständig aus hatte und ich nicht abheben konnte. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn wir wirklich geredet hätten.
Schluckend gehe ich auf die Nachricht auf meiner Mailbox. Mein Finger kreist über dem ‘Abspielen’ Knopf. Bin ich schon bereit seine Stimme wieder zu hören? Zu hören, was er mir zu sagen hat?
Ich habe Angst. Ich habe wirkliche Angst. Die Nachricht ist von letzter Nacht, zwei Uhr morgens. Wieso ruft er um zwei Uhr morgens an?
Vielleicht hatte er wieder einen Albtraum. Vielleicht ist er aufgewacht und erzählt mir jetzt, wie erbärmlich ich bin, dass ich ihn während seiner Trauer um Tammy einfach verlassen kann.
Ich drücke die Nachricht weg. Mir schießen die Tränen in die Augen. Ich bin ein Feigling, ich bin ein verdammer Feigling. Ich kann mir nicht einmal seine Vorwürfe meiner Entscheidung, ihn zu verlassen, anhören. Ich hätte es verdient, zu wissen, wie es ihm geht. Aber er ist doch derjenige, der alles versaut hat, nicht ich ... Ich bin doch die gepeinigte. Oder?
Kurzerhand wähle ich seine Nummer. Ich weiß nicht, wieso ich das tue und ich weiß eigentlich gar nicht, wieso ich ihn sprechen möchte, aber ich tue es einfach. Es ist halb acht Uhr abends, er muss eigentlich Zuhause sein.
Doch ich werde nur mit der Mailbox verbunden. Ich spiele kurz mit dem Gedanken aufzulegen, doch ich fange nach dem langen Piepton an zu reden, .
"Hallo", sage ich mit weinerlicher Stimme in die Leitung. "Hier ist Rave ... Ravely ..." Ich schniefe. "D-Du hast mal zu mir gesagt, dass ich dich immer anrufen kann, wenn ... wenn ich dich brauche", schluchze ich jämmerlich. "ich sitze in einem verlassenen Auto und spreche auf deine Mailbox... A-Aiden, ich ... Es geht mir nicht gut ... Gerade habe ich einer diese Momente, in denen ich - Keine Ahnung - in denen ich verloren scheine und, und irgendwie ... irgendwie suche ich immer noch nach dir, wenn es mir schlecht geht ... Ich bin schwach, weil ich auf deine Mailbox heule, ich weiß ...." Ich reibe mir über die Stirn, atme tief ein und aus, versuche mich zu beruhigen. "E-Es war ein Fehler, dass ich dich angerufen habe, tut mir leid ... Wahrscheinlich bist du zu sehr mit dem Verkauf von deinem Buch beschäftigt ... oder hängst irgendwo in New York rum ... ich wollte dich dabei nicht stören ... i-ich - Mach's gut, Aiden."
Aiden
Trotz der angespannten Situation zwischen Susan, meinem Dad und mir heute Morgen, haben sie mir Geld gegeben, damit ich wenigstens mit dem Zug nach Holmes Chapel fahren kann. Mit meinem Auto wären die Kosten des Benzins zu teuer und da ich wahrscheinlich in Holmes Chapel bleiben werde, brauche ich auch kein Fahrzeug, um zurück zu kommen. In diesem kleinen Dorf kommt man überall zu Fuß hin.
Ich hasse den Gedanken, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zurück zu meiner Mutter zu ziehen. Ich war mehr als froh, dass ich in London endlich ein eigenes Leben leben konnte und jetzt kann ich nicht mal mehr aufs College gehen. Ich muss wieder ganz von vorne anfangen.
Außerdem hat mich während der Zugfahrt mein alter Verlag angerufen und mich wissen lassen, dass der komplette Verkauf von ‘ Als wir unendlich waren’ in England gestoppt wurde, weil sie ja jetzt, genauso wie ich, die Rechte daran verloren haben. Dieses Arschloch von Black Poe haut wirklich richtig auf die Kacke. Es war mir zwar schon vorher klar, dass so etwas passieren wird, aber ganz realisieren kann ich es erst jetzt. Ich habe tatsächlich ‘ Als wir unendlich waren’ , meine Seele, verloren.
„Willst du einen Kaffee, Liebling?", fragt mich meine Mutter fürsorglich, als ich mich an den Esstisch im Wohnzimmer setze. Sie hat von der ersten Sekunde an gemerkt, wie es mir geht. Ist auch nicht zu übersehen.
„Ja", murre ich leise und stemme den Kopf in die Hand. Ich bin heute Morgen um sechs Uhr wieder aufgewacht und hatte den verdienten Kater. Wenn ich daran denke, wie ich Raven letzte Nacht auf die Mailbox gequatscht habe, könnte ich sofort wieder kotzen. Nicht, dass mein Magen sowieso nach letzter Nacht komplett leer ist. Auf jeden Fall kann ich echt nicht verstehen, wieso sich mein Vater jedesmal betrinkt, wenn es ihm schlecht geht.
Mit einem sorgenden Blick stellt meine Mutter eine Kaffeetasse vor mich und setzt sich mir gegenüber. Ich ziehe mit die Tasse heran und trinke einen Schluck. Und als könnte es nicht schlimmer kommen, verbrenne ich mir auch noch die Lippen.
„Mach langsam", sagt meine Mutter. „ ... Du siehst wirklich nicht gut aus, Aiden."
Ich richte mich etwas mehr auf. „Mir fehlt Schlaf."
Kurz schweigt sie, dann meint sie: „Dein Zimmer ist oben noch eingerichtet, wie du es damals verlassen hast. Soll ich dir irgendetwas geben, damit du besser schläfst?"
Ich schüttele den Kopf. „Nein, ich bin kein Fan von Schlaftabletten."
Robin kommt die Treppen herunter. „Aiden, schön dich zu sehen!" Er setzt sich neben meine Mutter an den Tisch. „Hast du nochmal über mein Angebot nachgedacht? Ich habe schon mit meinem Chef gesprochen."
Ich starre in die gefüllte Tasse vor mir. Ich hasse es, dass ich das sagen muss. „Ja, habe ich, auf dem Weg hier her. Ich denke, mir bleibt nichts anderes übrig, außer zuzusagen."
Er nickt und sieht mich gleichzeitig mitleidig an. „Okay, dann werde ich nachher sofort anrufen. Wenn du möchtest, kannst du morgen nochmal Zuhause bleiben, damit du dich ausschlafen kannst, du siehst sehr erschöpft aus."
„Nein, ist schon in Ordnung. Ich werde morgen kommen."
„Einverstanden. Um sieben Uhr macht der Laden auf und wir müssen um halb sieben da sein. Sei bitte um viertel nach sechs fertig, damit wir fahren können, ja?"
Wieder nicke ich nur stumm. Die Vorstellung, dass ich ab morgen ein verdammter Mitarbeiter in einem Baumarkt sein werde, kotzt mich an. Vor einer Woche war ich noch ein halbwegs erfolgreicher Schriftsteller in New York und jetzt bin ich .... für mich ist das einfach nichts. Ich schreibe, ich räume keine Regale ein.
„Habt ihr vielleicht noch ein Handy für mich?", frage ich Mum und Robin, fast schon beschämt darüber, wie widerlich ich schnorren muss. „Meins ist letzte Nacht kaputt gegangen." Es ist mir nicht ganz ausversehen in den Whiskey gefallen, nachdem ich Raven angerufen habe.
Mum nickt. „Ja, ich habe noch eins. Aber das ist nicht mehr das neuste."
„Das macht nichts. Ich muss nur Leute erreichen können."
Es herrscht wieder Stille am Tisch. Es ist mir so scheiße unangenehm, dass ich hier sitze wie ein Haufen Elend und Robin und Mum mich anstarren, als hätten sie mich von der Straße geholt. Theoretisch haben sie das ja. Sie haben Mitleid mit mir und das nervt mich.
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