Ihr war es egal! Sie konnte und wollte sein Gelaber nicht mehr ertragen! Sein ewiges Geheul, wie schlimm ihre Ehe doch sei! Seine ewige Suche nach Wegen und Lösungen! Sie wollte keinen Weg und keine Lösung! Ihr ging es gut, verdammt gut, saugut! Sie war da, wo sie schon immer hingewollt hatte! So musste es sein, denn sie hatte immer genau das bekommen, was sie wollte, schon als kleines Kind! Sie brauchte also keine Wege und keine Lösungen! Ihr ging es gut! Und wenn der Wege oder Lösungen brauchte, dann konnte er sich ja scheiden lassen – oder, wenn er den Mumm hatte, ja das Leben nehmen oder sonst irgendwas! War alles nicht ihr Problem, verdammte Scheiße! Was ging sie der Trottel an?!
Klatt sitzt im Wohnzimmer, und er sieht den Zigarettenqualm hinein wabern, sieht die Rauchwölkchen an der Decke. Klatt schweigt. Er wirkt jetzt trotz seiner Trunkenheit gehemmt und scheu, wie in Erwartung einer großen Bedrohung. Er würde noch ein Bier trinken! Sein viertes Pils heute, längst mehr, als er vertrug!
Klatt geht in die Küche und öffnete die Bierflasche. Sie, am Tisch sitzend, über der Zeitung, nahm keine Notiz von ihm. Gierig saugt sie an ihrer Zigarette, inhaliert tief, etwa so, wie jemand, der bewusst frische Waldluft einatmen will und bläst den Qualm genüsslich zur Decke. Klatt hätte neben ihr zusammenbrechen können, nichts hätte sie gehindert, unbeteiligt in ihrer Lektüre fortzufahren.
Klatt sitzt im Wohnzimmer und gießt das Bier in sein Glas. Er muss jetzt sehr langsam und fast widerwillig trinken. Es fällt ihm schwer, den letzten halben Liter Pils zu schaffen. Er beruhigt sich damit, dass er ja keinen Schnaps trinkt. Seine Augen brennen. Es geht auf elf. Werbung dröhnt aus dem Fernseher. Klatt stellt den Ton leiser. Er hört das genüssliche Inhalieren des Zigarettenrauches aus der Küche, das Rascheln der Seiten der Illustrierten. ‚Ehe! ‘, denkt Klatt verächtlich! Und er hätte jetzt ausspeien können vor Abscheu.
Er weiß, er hat nichts, nur sein Kind, seine Arbeit und sein Bier. Jetzt, betrunken, ist er scheinbar stark und unverwundbar, so wie die Schrock. Aber er ist es nicht wirklich! Nur sie ist so! Die Schrocks sind so! Stark und unverwundbar! Und sie brauchen keine anderen Menschen! Er, Klatt, ist nicht wie sie! Nie kann er so werden! Er kann die Schrock nicht beeindrucken! Sie kennt ihn zu genau! Alles hat ohnehin keinen Zweck, weil sie stärker ist als er mit ihren Eltern im Rücken und ihren Großeltern! Er aber ist allein.
Klatt trinkt mit Mühe sein Bier. Dann sieht er noch einmal nach dem schlafenden Kind. Nimmt den friedvollen Anblick in sich auf, streicht über die weichen glatten, braunen Haare. Haare, die sind, wie seine eigenen. Dann wankt Klatt in sein Bett, und er legt sich zusammengekrümmt auf seine Hälfte, zieht die Decke bis zu den Ohren und weiß, dass ihm morgen das Aufstehen schwer werden wird, nach dem kurzen Schlaf.
Die Schrock sitzt noch immer in der Küche. Sie nimmt von alledem keine Notiz. Sie wird noch ein Weilchen lesen oder fernsehen, ehe sie ins Bett geht. Sie ist zufrieden. Alles ist so, wie es sein soll!
Klatt fährt aus dem Schlaf hoch, sein Kopf schmerzt heftig, und er verspürt eine seltsame Mischung aus Durst und Übelkeit, die, wie er weiß, vom Biertrinken kommt. Ein Wecker piepst, ein hoher, unangenehmer, rhythmischer Ton. Klatt weiß, es ist ihr Wecker. Der Wecker der Schrock hat geklingelt. Es ist fünf Uhr. Die Schrock müsste aufstehen, denn um sieben beginnt ihr Arbeitstag. Aber sie bleibt liegen und rührt sich nicht, wie immer: Klatt richtet sich mühsam auf und tastet in der Dämmerung nach dem weißen Fleck auf dem Regal, der ihr Wecker sein muss. Er patscht ihn aus. Er würde das nicht tun, und er tut es nicht um ihretwillen. Aber er weiß, dass die Schrock den Wecker lärmen lassen würde, bis zur Erschöpfung der Batterien. Das stört Klatt, und er weiß auch, dass die Wände hellhörig sind: die Nachbarn. Die Schrock weiß, dass Klatt, der Trottel, schon wach werden wird. Auf den kann sie sich verlassen. Der funktioniert präziser, als ihr Wecker. Klatt patscht den Wecker aus, und dann rüttelt er die Schrock, das zusammengekrümmte Bündel unter der Decke neben sich, dass seine Frau sein sollte, dass ihm fremd und feind ist, wie ein unheimlicher Eindringling. Auch das tut er nicht um der Schrock willen. Aber er weiß, sie wird sonst verschlafen, irgendwann wird sie aufwachen und aggressiv feststellen, er hat sie nicht geweckt. Er und das Kind würden es ausbaden müssen, ihre Aggression und ihre Laune. Vielleicht würde sie dann wütend das Bad blockieren und extra lange duschen, und das Kind würde dann nicht rechtzeitig fertig werden und womöglich seinen Schulbus verpassen, was ihr ganz egal zu sein schien. Also weckte Klatt die Schrock lieber, indem er sie rüttelte. Sie wusste, sie konnte sich darauf verlassen. Aber sie reagierte mit einem bösen verhaltenen Knurren unter ihrer Decke hervor. Sie war wütend, nicht auf ihre Arbeit oder den Wecker, sondern auf diesen Trottel, der sie da aus dem Schlaf riss, wie jeden Morgen! Hätte er sie nicht geweckt, wäre sie aus diesem Grunde auf ihn wütend gewesen, das wusste sie genau! So oder so hätte er ihre Wut zu spüren bekommen, ihm blieb keine Alternative, aber das war nicht ihr Problem, denn dazu war er ja schließlich da! Warum hatte er sie denn geheiratet?! Sie konnte sich auf den Trottel verlassen. Der würde sie immer wieder wecken, ganz gleich, ob sie ihn anschrie oder nach ihm schlug oder trat, was auch hin und wieder schon passiert war. Sie knurrte also ein wenig, drohend, nicht allzu laut. Es war eine Warnung an den Trottel. Und der würde sie nun noch ein paar Minuten liegen lassen, ehe er wieder versuchen würde, sie zu wecken. Und so geschah es jeden Morgen, drei- oder viermal, bis sie endlich wütend aufstand und ins Bad ging, um sich zu duschen. Klatt lag dann noch ein wenig wach. Die Hände unter dem Hinterkopf verschränkt, lag Klatt im Bett. Und draußen, in den anderen Blocks, gingen die Lichter an, bei denen, die noch Arbeit hatten. Klatt lag im Bett, und er wartete darauf, dass die Tür hinter ihr ins Schloss fallen würde. Aber sie trödelte zu lange herum, die Schrock, mit Duschen und Haare waschen und Zähneputzen und Schminken. Dann qualmte sie ihm schon am frühen Morgen die Küche voll, zwei oder drei Zigaretten rauchte sie hastig, noch vor dem Weggehen. Ihm wäre es lieber gewesen, er hätte das Bad allein für sich, aber er konnte nicht länger warten, das Kind würde sonst den Schulbus verpassen. Und so stand Klatt auf, kochte Kaffee und deckte in der Küche den Tisch für sich und das Kind. Für die Schrock deckte er nie, denn aß erst mit ihren Kollegen. Hier, mit ihm und dem Kind, aß sie nie.
Klatt stellte zwei Frühstücksteller auf den Bistrotisch, zwei Tassen und zwei Messer, Butter. Die Vitaminmarmelade, die sein Kind gern aß und die Sauerkirschmarmelade. Dann nahm er ein Brötchen aus dem Schrank und legte es auf den Teller des Kindes. Jeden Morgen dieselbe Prozedur. Er öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm das Schulbrot des Kindes, damit es nicht vergessen wurde.
Dann steht die Schrock in der Küche. Schon fertig angezogen und geschminkt und mit ihren sechs Ringen an den Fingern.
Ihre Augen sind noch kleiner und böser. Klatt weiß nicht, ob er sie ansprechen soll oder nicht. Man kann nie vorhersagen, wie die Reaktion sein wird. Da ist es am besten, er schweigt. Genau das war verkehrt! Aber vielleicht wäre auch das Reden verkehrt gewesen! Die Schrock jedenfalls, bellt mit vor Wut heiserer Stimme in die kleine Küche: „Guten Morgen, heißt das! Schon mal was von Grüßen gehört? Anscheinend nicht! Was erwarte ich überhaupt von so einem Idioten?!“
Damit hat er sein Fett weg und ist in den Arbeitstag entlassen. Soll der doch sehn, wie er klarkommt! Und sie setzt sich an den Tisch, schenkt sich eine Tasse Kaffee ein, blättert in ihrer Illustrierten und raucht noch ein- oder zwei Zigaretten, denn sie hat noch ein paar Minuten Zeit.
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