Wenn man diese Erkenntnis über das Saturn-Steinbock-Prinzip erlangt hat, dann wird einen klar, dass es wesentlich ist, dass alle Dinge ihren gerechten Platz im Leben zugeteilt bekommen. Denn wenn dieser Platz, den man sich nimmt, den der Mensch sich möglicherweise auch aus seiner subjektiven Kleinheit heraus nimmt, dann kann es sehr gut passieren, und das ist normalerweise auch der Fall, dass es der falsche Platz ist. Das man erst im Laufe des Lebens die Fähigkeit erwirbt, seinen gerechten Platz, der einem schicksalhaft zugewiesen worden ist, einzunehmen. Und bitte nicht falsch verstehen - es geht hier nicht darum, dass es jetzt innerhalb des Menschseins ein fürchterliches Gerangel um die vordersten Plätze im Leben gibt. Sondern es geht darum, dass man den Platz einnimmt, der einem schicksalhaft zugewiesen worden ist. Das heißt man hat hier keine eigenen Entscheidungsfähigkeiten, sondern es gibt - zum Beispiel im Sinne des karmischen Gedanken - einen entsprechenden Platz, den man im Leben einzunehmen hat.
Wenn man diesen Platz einnimmt, dann ist das gleichbedeutend – und das ist eine sehr tiefgehende saturnische Erkenntnis, beziehungsweise eine astrologische Erkenntnis über den Saturn – dass man dann eine ganz tiefe Zufriedenheit, und etwas schlichter formuliert, Glück empfindet. Denn Glück kann auch unter anderem über Saturn dadurch zustande kommen, dass man seinen Platz im Leben gefunden hat, dass man sich selbst gerecht geworden ist. Und das bedeutet auch, dass man in diesem Moment, wenn man seinen eigenen Platz im Sinne von eigener Gerechtigkeit gefunden hat, dass man dann jeden Trug und jede Irrung im Leben überwunden hat.
Einer dieser großen Trugschlüsse, beziehungsweise einer dieser sehr zweifelhaften und oft auch fatalen Verhaltensformen/Selbsteinschätzungen, ist der Stolz. Denn der Stolz gehört sicherlich im Tierkreis vornehmlich zum Prinzip des Löwen, und dort an dieser Stelle ist er auch angebracht und ganz in Ordnung. Weil es zusätzlich ein gewisses Selbstbewusstsein gibt, beziehungsweise das ein bestimmtes Selbstbewusstsein Voraussetzung für einen gewissen Stolz ist – oder auch umgekehrt, wenn man so möchte, das heißt der Stolz ein gewisses Selbstbewusstsein zur Verfügung stellt.
Stolz ist im Unterschied zu dem, was wir jetzt hier nach der Überwindung des Hochmutes oder des Stolzes als Würde bezeichnen, Stolz ist etwas, was der Mensch sich selbst verleihen kann. Würde, im astrologischen Sinne auf Saturn bezogen, ist nichts, was der Mensch sich selbst verleihen kann. Würde ist etwas, das verliehen wird. Sicherlich ist es richtig, dass der Mensch durch sein Tun selbst in der Lage ist, sich Würde zu verleihen. Aber wenn man sich den Begriff anschaut und wenn man zum Beispiel sagt, jemand wird gewürdigt, das Lebenswerk eines Menschen wird gewürdigt, dann hat es immer damit zu tun, dass andere der Meinung sind, dass eine Würdigung vorgenommen werden sollte. Man selber kann eine solche Würdigung oder diesen entsprechenden Vorgang, der mit der Würdigung zusammenhängt, in der Regel nicht vornehmen. Das würde vermessen sein.
Insofern ist Würdigung etwas, was letzten Endes verliehen wird. Stellvertretend oft durch entsprechende repräsentierende Menschen, aber in einem gewissen Sinne von einer höheren Stelle, von einer höheren Instanz. Würde ist etwas, das man sich erwerben muss, normalerweise im Laufe von sehr vielen Jahren. Würde ist etwas, das auch durch fleißige und bescheidene Arbeit, durch ehrliche Arbeit erworben werden kann. Und das ist ein gewisser Unterschied zum Begriff des Stolzes, denn Stolz kann man im Vergleich, wenn man den Begriff versucht zu analysieren, auch auf Dinge sein, die viel weniger Zeit und möglicherweise viel geringerer Anstrengung bedurfte. Würde ist daher etwas, was von einer höheren Instanz verliehen wird. Wir könnten also astrologisch sagen, es kommt aus dem vierten Quadranten. Und dem gegenüber ist Stolz etwas, was der Mensch sich selbst geben kann, also aus sich selbst heraus, und das ist Originalton Löwe.
Wenn der Mensch in der Lage ist, seinen ihm zugewiesenen Platz zu erkennen, wenn er seinem Lebensziel gerecht wird, dann ist er auch in der Lage, Stolz und Hochmut, oder etwas schlichter ausgedrückt, sein Ego zu überwinden. Das macht einen gewissen Unterschied zwischen Mensch und Tier aus. Wobei ich keineswegs einer derjenigen bin, die der Meinung sind, dass Tiere niedere Lebewesen als der Mensch sind - das habe ich damit in keinem Falle gesagt. Aber es gibt eine gewisse transzendente Dimension, die der Mensch im Unterschied zum Tier offensichtlich zwar genauso besitzt wie das Tier, aber wenn er es denn will, aus freier Entscheidung, selber bearbeiten kann. Das heißt man kann sich in ein transzendentes spirituelles Wesen hin verändern, was für ein Tier aufgrund des andersgearteten Bewusstseins in der Regel relativ schwer ist - beziehungsweise wir unterstellen es mal, nicht möglich ist.
In dem Moment, wo der Hochmut und der Stolz überwunden werden, entsteht das, was wir menschliche Würde nennen. Und Saturn würde sagen, dass er dann sein Werk vollbracht hat. Das ist jetzt aus meiner Sicht bezogen auf die bisherige astrologische Erfahrung auch die Quintessenz dessen, was Saturn dem Menschen sagen will. Er würde sagen: Du besitzt Würde, erarbeite sie dir. Und wenn du das tust, dann hast du automatisch deinen dir zugewiesenen Platz eingenommen, und das bedeutet für dich Glück. Das sind – wie immer in diesen wichtigen Fällen – ganz, ganz einfache Worte, aber dennoch ist der Weg dorthin ein, im saturnischen Sinne kann man sagen, sehr steiniger, schwieriger und steiler Weg.
Denn alles, was Saturn betrifft, ist an die Zeit gebunden. Das heißt es dauert. Und insofern ist die entsprechende Arbeit, die zu verrichten ist, zwar einerseits eine der wichtigsten überhaupt im Leben, aber wir können nicht davon ausgehen, dass wir nach zwei Tagen Arbeit bereits entsprechende Erfolge oder gar den entsprechenden Lohn kassieren können. Derartige Belohnungen, wenn man das überhaupt noch so ausdrücken möchte, stellen sich nach langen Jahren des Arbeitens an sich selber ein. Das allerdings auch mit absoluter Gewissheit. Aber sie stellen sich nicht ein, wenn man es will.
Es verhält sich hier genauso mit dem, was man unter Erleuchtung versteht. Wenn man Erleuchtung erlangen will, dann wird es mit Sicherheit nicht geschehen. Erst wenn man diesen Wunsch, der ja aus dem Ego stammt, aufgibt, dann geschieht es. Dann geschieht es in dem Sinne, wie es in vielen Zen-buddhistischen Büchern beschrieben ist, dass die Erleuchtung zum Menschen kommt, so wie der Schnee in der Frühlingssonne vom Blatt abrutscht. Der Schnee selber will nichts, der ist nur an einem bestimmten Punkt, nämlich im Frühling, angekommen, und die Dinge um ihn herum werden dafür sorgen, dass er schmilzt. Wobei das Schmelzen des Schnees, das Abrutschen des Schnees vom Blatt, das in der Sonne erwärmt wird, dem Erleuchtungserlebnis gleichkommt.
Hätte der Schnee die Absicht, vom Blatt abzurutschen, würde es nicht gelingen. Aber da er diese Absicht nicht mehr hat, weil er so weit schon gekommen ist, weil der Winter vorbei ist, braucht er sich um nichts mehr aus sich selbst heraus zu bemühen, sondern braucht die Dinge nur noch geschehen zu lassen. Und das, was wir menschliche Würde nennen, ist einerseits unser ur-eigenster persönlicher Verdienst. Aber wenn wir mit der Absicht arbeiten, Würde zu erlangen, dann werden wir, solange wir diese Absicht haben, Würde nicht erlangen können. Daher sollte man diesen Wunsch, obwohl er ein verständlicher Wunsch ist, aufgeben. Und wenn wir das tun und dennoch fleißig und in einer gewissen saturnischen Demut sind - das muss auch dazu gesagt werden, denn wir haben es hier beim Saturn mit dem Prinzip der Askese und der Reduzierung zu tun - wenn man das in diesem Sinne tut, dann wird man Würde erlangen und den einem zugewiesenen Platz auch finden. Das heißt: dann wird man glücklich.
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