Sie unterstrich ihren geistreichen Witz mit einem sehr unnatürlichen Lachen. Edward und ich zwangen uns jeweils zu einem höflichen Lächeln. Dann wurde der Weg gemeinsam fortgesetzt. Mr LeFroy und ich gingen auf dem schmalen Weg voran, Emma und Aphrodite hinterdrein, wobei Emma immer wieder versuchte, zwischen uns zu gelangen. Da keiner von uns Anstalten machte, etwas zu sagen, fuhr Emma fort:
„Mr LeFroy, wie geht denn der Wiederaufbau Ihres Anwesens voran?“
Nun mußte der Angesprochene sich notgedrungen äußern. Die Antwort fiel knapp aus, wie um zu zeigen, daß er über diese Fragerei nicht sehr erfreut war:
„Es geht recht gut voran. Wenn das Wetter hält, können wir Weihnachten bereits wieder im neuen Heim feiern. Vielleicht auch schon früher, das bleibt abzuwarten.“
Damit schien das Thema für ihn ausreichend behandelt. Mrs Gallingher ließ aber nicht locker.
„Ach, wie schön!“ Sie klatschte in die Hände. „Und wird das Haus dann sein wie früher? Oder bauen Sie etwas moderner?“ LeFroy stöhnte und erwiderte dann noch knapper:
„Es soll alles so aussehen wie vor dem Brand. Allerdings werde ich wohl Gasbeleuchtung installieren lassen.“
Mrs Gallingher drängte sich nun endgültig zwischen uns. Wollte ich nicht durch das feuchte Gras laufen, mußte ich nach hinten ausweichen. So gesellte ich mich neben Aphrodite und versuchte, ein Gespräch mit ihr zu beginnen. Mir fiel nichts Besseres ein, als sie nach ihrer Unterkunft zu fragen:
„Wie gefällt dir dein Zimmer, liebe Cousine?“
Aphrodite war es nicht gewöhnt, daß jemand sie nach ihrer Meinung fragte. Deswegen reagierte sie anfangs etwas kurz angebunden.
„Recht gut, Cousine Elizabeth, danke. Es war sehr freundlich von dir, es für uns zu räumen.“ Sie schwieg einen Moment, bevor sie nachdenklich fortfuhr: „Ich glaube, wir haben uns noch nicht einmal bedankt. Das möchte ich hiermit tun. Danke, daß wir in deinem Zimmer wohnen können!“
Sie griff nach meiner Hand und drückte sie fest. Für einen Augenblick vergaß ich meinen Groll auf ihre Mutter. Offenbar war Aphrodite doch eine Frau, die durchaus eine eigene Meinung hatte – wenn man sie denn danach fragte. Und das tat ihre Mutter mit Sicherheit nie. Darum antwortete ich: „Für dich habe ich es gern getan.“ Für deine Mutter nicht, fügte ich in Gedanken hinzu.
Aphrodite spürte wohl auch die weitere unausgesprochene Frage, die mich bewegte. Sie konnte sie aber nicht beantworten, was sie sehr bedauerte:
„Ich weiß, was du fragen möchtest, Elizabeth. Doch leider weiß ich nicht, wann dein Zimmer wieder zu deiner Verfügung steht. Mama scheint sich in den Kopf gesetzt zu haben, länger hier zu bleiben.“
Sie verlangsamte ihren Schritt und zwang mich, Gleiches zu tun. Beim nächsten Satz senkte sie die Stimme.
„Ich fürchte, sie beabsichtigt, mich – oder womöglich gar sich selbst - mit Mr LeFroy zu verheiraten.“
Ungläubig sah ich sie an.
„Aber... das kann ich mir nicht vorstellen. Wie kommst du auf einen solchen Gedanken?“
Aphrodite verlangsamte das Tempo noch weiter, so daß wir ein ganzes Stück hinter Emma und Mr LeFroy zurückfielen.
„Ich weiß, daß Mama ursprünglich angedacht hatte, nur drei Tage zu bleiben und dann weiterzureisen. Gestern sprach sie mir gegenüber von mindestens zwei Wochen. Und sieh doch nur, wie sie Mr LeFroy in Beschlag nimmt. Sie blamiert uns unsäglich. Ich kann dich nur bitten, ihr Verhalten zu entschuldigen. Wie sie dich eben fortgedrängelt hat... das ist einfach unmöglich! Ich kann nur hoffen, daß Mama sich nicht noch mehr...“
Sie wagte nicht, ihren Gedanken auszusprechen. Zudem war die, über welche gesprochen worden war, soeben mit einem überraschten ‚Oh!’ stehengeblieben. Als sie sich zu uns umdrehte, sah ich ihren enttäuschten Gesichtsausdruck. Dann wandte sie sich an Aphrodite, die inzwischen mit mir herangekommen war:
„Stell dir vor, Aphrodite...“
Mr LeFroy faßte sie am Arm und unterbrach sie:
„Mrs Gallingher, bitte, das soll vorerst unter uns bleiben.“
Doch Emma schien sehr empört und vermutete wohl hinter LeFroys Bitte eine Finte, die sie sofort aus dem Weg zu räumen gedachte. Sie schüttelte seinen Arm unwillig ab und sagte aufgebracht:
„Aber Mr LeFroy, weshalb denn? Elizabeth weiß ja wohl Bescheid, und vor meiner Tochter habe ich keine Geheimnisse. Stell Dir vor, Aphrodite, Mr LeFroy beabsichtigt, Elizabeth zu heiraten!“
Die Überraschung war zu groß, als daß ich auf irgendeine Weise reagieren konnte. Entgeistert sah ich Mr LeFroy an. Der stand hinter Mrs Gallingher und versuchte verzweifelt, mir zu bedeuten, daß ich das Spiel mitspielen sollte. Als ich nicht zu begreifen schien, schlug er sich rasch an meine Seite und faßte mich am Arm.
„Jawohl, so ist es. Ich bitte Sie aber dennoch, es vorerst für sich zu behalten. Da wir einen Todesfall in der Familie haben, wäre es momentan nicht sehr schicklich, eine solche Nachricht zu verbreiten.“
Damit zog er mich unsanft mit sich fort. Aphrodite wollte umkehren, wurde dann aber von ihrer Mutter gezwungen, uns zu folgen und den Spaziergang fortzusetzen. Von weitem hörte ich noch, wie sie ihr zuraunte:
„Haltung, meine Tochter, Haltung. Ich weiß, wie hart dich das trifft. Aber uns bleibt ja noch Louis.“
Emma hatte die Hoffnung auf eine gute Partie, wenigstens für ihre Tochter, also noch nicht aufgegeben. Außerdem kam ihr wahrscheinlich – und das zu Recht - irgend etwas an der ganzen Sache verdächtig vor. Sie wußte nur noch nicht, was genau. Aber das würde sie herausfinden, nahm ich an.
Mr LeFroy schlug ein höheres Tempo an, wohl um einen gehörigen Abstand zwischen uns und den beiden Damen zu erreichen. Er wählte nicht den geraden Weg ins Dorf, sondern bog in einen Seitenweg ein. Den Kopf starr nach vorn gerichtet, zog er mich so nah an sich heran, daß ich seine geflüsterten Worte verstehen konnte.
„Verzeihen Sie diesen Überfall, Miss Devane. Mir blieb einfach keine andere Wahl. Mrs Gallingher hatte das Gespräch dermaßen auf die Spitze getrieben, daß ich keinen Ausweg mehr sah. Sie wollte unbedingt ihre Tochter mit mir… verkuppeln. Aber Aphrodite ist mir schlicht zuwider. Deswegen kam mir diese Notlüge in den Sinn. Ich hoffe, daß ich auch ein wenig in Ihrem Sinn gehandelt habe, denn dadurch werden die beiden Damen hoffentlich ihr Quartier bald räumen. Ich vermutete schon die ganze Zeit, daß sie nur in der Hoffnung bleiben, daß eine der beiden sich gut verheiraten kann. Wenn diese Hoffnung zerstört ist, werden sie vielleicht bald das Feld räumen. Ich bitte Sie also inständig, spielen Sie das Spiel mit, solange es sein muß. Ihnen entstehen daraus keinerlei Verpflichtungen, denn die beiden Damen sind ja die einzigen, die davon wissen, und ich habe sie um Verschwiegenheit gebeten.“
Noch immer wußte ich nicht, was ich erwidern sollte. Alles war so unwirklich, wie in einem Traum. Es war das erste Mal, daß ein Mann seiner Stellung so mit mir redete, mir so nahe kam und sogar noch eine Art Heiratsantrag gemacht hatte. Ob ihm in diesem Augenblick bewußt war, daß ein solches Versprechen bindend war, zumal es unter Zeugen gemacht worden war? Stumm nickte ich und versuchte, weniger verkrampft zu wirken. Unzählige Gedanken stürmten auf mich ein. Kurz blickte ich zurück, um mich zu vergewissern, daß die beiden Damen noch ausreichend weit entfernt waren, bevor ich mich zu einer Frage durchringen konnte:
„Aber weshalb haben Sie denn ausgerechnet mich gewählt und keine andere? Helena zum Beispiel. Oder Sie hätten doch auch irgendeine Braut erfinden können. Mrs Gallingher wird Ihnen nie glauben, daß Sie jemanden wie mich ernstlich heiraten wollen.“
Er kam nicht zu einer Entgegnung, denn mittlerweile waren wir im Dorf angelangt und von den beiden Damen Gallingher, die auf Emmas Betreiben ebenfalls ihr Tempo erhöht hatten, wieder eingeholt worden. Er gebot mir daher mit einem harten Blick zu schweigen. Laut sagte er:
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