„Sie haben übrigens ein bemerkenswert geschmackvoll eingerichtetes Haus, wenn ich mir diese Feststellung erlauben darf. Nicht wahr, Louis?“
Er sah aufmunternd zu seinem Sohn, der sich gerade die nassen Haare glattstrich und versuchte, wieder etwas Form hineinzubekommen. Er antwortete:
„Ja, Vater, du hast vollkommen recht. Eine solche Stilvollkommenheit findet man auf dem Lande selten. Die meisten Leute haben eine sehr seltsame Ansammlung aller möglichen Epochen der englischen Möbelgeschichte in ihren Zimmern zu stehen. Nichts paßt da zusammen. Aber das ist bei Ihnen gänzlich anders...“
Mrs Devane fühlte sich sehr geschmeichelt. Sie würde bald eine neue Stufe für ihre Prädikatvergabe einführen müssen und sah nun endlich eine Gelegenheit, in das Gespräch einzugreifen:
„Vielen Dank, meine Herren, Sie sind zu liebenswürdig! Ja, wenn der erste Schwiegersohn hier seinen Zweitwohnsitz haben wird, sollte er sich sehr wohlfühlen.“
Sie konnte sich diese Bemerkung einfach nicht versagen. Stets kreisten ihre Gedanken darum, wie sie denn Helena am besten verheiraten könnte. Im Grunde ist das die ehrenwerte Aufgabe einer Mutter, aber sie sollte sich doch etwas geschickter anstellen und nicht zu offensichtlich mit der Tür ins Haus fallen. Diplomatie wird in jedweder Beziehung stets mehr von Erfolg gekrönt… Aber diese sich so unverhofft bietende Gelegenheit mußte sie einfach nutzen. Und sie nutzte sie gründlich:
„Darf ich mir vielleicht erlauben, Ihnen das Haus zu zeigen, meine Herren? Inzwischen wird ein kleiner Imbiß bereitet sein.“
Die Angesprochenen stimmten bereitwilligst zu.
Mrs Devane begann gleich an Ort und Stelle im unteren Stockwerk. Da es das Haus ihrer Vorfahren war, überließ ich ihr die Erklärungen:
„Sie befinden sich also hier in unserem Salon, der sozusagen der Dreh- und Angelpunkt unseres Hauses ist. Ganz besonders stolz sind wir auf den Kamin. In die Umrandung wurde ein Feldstein eingemauert, auf dem der Herzog von Wellington während des Krieges anno 1815 Rast gemacht haben soll. Einer meiner Vorfahren war als Offizier zufällig dabei und nahm den Stein mit. Wir wissen allerdings nicht mehr, welcher genau es war, da vor einigen Jahren das zum Markieren gedachte Kreidekreuz von einer übereifrigen neuen Hausangestellten entfernt wurde.“
Der junge Mr LeFroy schien sich seine eigenen Gedanken zu machen. Er bemerkte lächelnd zu seinem Vater:
„Wie konnte besagter Offizier den Stein einfach mit sich umhertragen, mitten in der Schlacht von Waterloo?“
Doch Mr LeFroy senior winkte unwillig ab und bedeutete seinem Sohn, lieber zuzuhören. Mrs Devane tat, als ob sie die Bemerkung nicht gehört hätte, und führte die Herren zum nächsten Raum. Die Familie folgte griesgrämig hinterdrein. Ich sah Helena an, daß sie auf diese Hausführung gern verzichtet und den guten Louis LeFroy lieber anders umgarnt hätte. Auch Lizzie wirkte sehr ungeduldig und mißmutig. Sicher hatte sie nicht gedacht, daß der Tag nach ihrem Geburtstag – im wahrsten Sinne des Wortes – dermaßen ins Wasser fallen würde. Sie trat neben mich und bat mich flüsternd um die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen. Ich fragte sie nicht nach dem Grund, denn ich sah die Traurigkeit in ihren Augen. Also nickte ich, und Lizzie zog sich unauffällig zurück. Dann widmete ich mich wieder unseren Gästen. Eben tönte Mrs Devane:
„Kommen wir nun zu einem weiteren Glanzpunkt – zu unserer Bibliothek. Sie ist nebenbei auch das Arbeitszimmer von William (wenn er einmal etwas zu arbeiten hat.)“
Hier mischte sich zu meinem Entsetzen Helena ein und sagte: „Man erzählt in unserer Familie, es beginne dort ein Geheimgang. Aber wir haben ihn bis heute nicht gefunden...“
Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Warum mußte sie so geschwätzig sein? Manche Dinge sollten nur innerhalb der Familie bekannt sein und nicht dem erstbesten Fremden anvertraut werden, dachte ich zornig bei mir. Und woher wußte sie überhaupt von dem Geheimgang? Ihr gegenüber hatten wir nie etwas davon erwähnt. Unglücklicherweise ging Louis LeFroy auf die Bemerkung ein:
„Wenn Sie erlauben, Mrs Devane, könnte ich Ihnen vielleicht helfen, diesen Geheimgang zu finden. Sie müssen wissen, daß ich in unserem alten Haus in Paris einen Gang gefunden habe, von dessen Existenz bis dato niemand etwas wußte...“
Edward LeFroy unterbrach seinen Sohn:
„Louis, übertreibe bitte nicht. Es war doch wohl eher Zufall, daß du mit deinen zehn Jahren über den Schwanz des Marmorlöwen gestolpert bist und dabei den Mechanismus ausgelöst hast.“
Er sah nicht, daß er seinen Sohn mit dieser Bemerkung verletzte, denn Louis wandte sich mit leichter Röte im Gesicht ab. Es entstand eine unangenehme Pause, die Edward LeFroy durch die belanglose Frage überspielte:
„Welche Bücher sind denn der Stolz Ihrer Sammlung, Mr Devane?“
Ich war froh, endlich auch einmal zu Wort zu kommen. Die Gelegenheit war günstig, da meine Frau nicht viel von Büchern hielt und verstand – eine von ihren vielen Schwächen, die ich aber mit Freuden tolerierte. Dadurch hatte ich wenigstens von Zeit zu Zeit meine Ruhe, wenn ich mich in meine geliebte Bibliothek zurückziehen konnte. Ich setzte zu einer Präsentation meiner Sammlung an:
„Nun, sicherlich Dantes ‚Göttliche Komödie’ in einer Ausgabe von 1592.“ Ich holte das Buch aus einem der Regale und zeigte es ihm voller Stolz. „Sehen Sie, wie abgegriffen der Einband schon ist. - Dann besitze ich einen großen Teil der Werke von Shakespeare. Ich denke, er gehört einfach in jede gute Bibliothek. Er ist einfach der größte Dichter unseres Landes, ja, wenn nicht gar der ganzen Welt. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, meinen Töchtern sein Gesamtwerk zu hinterlassen und bin fleißig am Erwerben. Neulich erst habe ich bei einem Antiquitätenhändler in London (ich vermied das Wort ‚Trödler‘, da Catherine sonst das Buch sofort dem Kamin überantwortet hätte) den ‚Hamlet‘ erstanden. Ein großartiges Werk, voller Dramatik und Tiefe, nicht wahr?“
Mr LeFroy nickte zustimmend. Ich fuhr fort, „Weiterhin findet sich noch einige ausländische Literatur, die Deutschen Goethe und Schiller zum Beispiel, teils sogar in Originalsprache, und auch Werke von moderneren Dichtern unseres Landes. Da gibt es zum Beispiel eine ganz besondere junge Dame - leider viel zu früh verstorben -, die in einem ganz reizenden Stil schreibt. Miss Jane Austen, vielleicht haben Sie schon von ihr gehört? Schließlich...“
Ich wollte noch eine Reihe weiterer Dichter aufzählen, wurde aber von Mrs Devane unterbrochen, die ihr eigenes Schweigen nicht lange ertragen konnte (schon gar nicht, wenn jemand in ihrer Gegenwart über Bücher redete):
„William, ich denke, darüber könnt ihr später gemütlich nach dem Diner plaudern. Wenn ich die Herren nun zu dem Raum mit unseren Sammlungen führen dürfte?“
Ich stimmte notgedrungen, aber murrend zu. Bevor wir jedoch die Bibliothek verließen, warf Edward LeFroy noch einen neugierigen Blick auf eine gerahmte Darstellung über dem Kamin und fragte:
„Mr Devane, ist das der Stammbaum Ihrer Familie?“ Ich nickte, wollte mich auf keine tieferen Betrachtungen einlassen, doch er ließ nicht ab: „Eine ungewöhnliche Darstellung, muß ich sagen. Es sind keine Familiennamen angegeben, und ich sehe auch nicht die Namen der Ehemänner…“
Ich verspürte kein Bedürfnis, ihm diese Darstellung zu erklären und tat seine Beobachtung mit einer harmlosen Bemerkung ab:
„In der Tat, gut beobachtet, Mr LeFroy. Wir wissen allerdings nicht, wer diese Darstellungsart gewählt hat und warum. Dieses Exemplar ist schon mehrere hundert Jahre alt und wurde immer nach der Geburt eines Kindes ergänzt. Ich kann Ihnen leider nicht mehr dazu sagen. Kommen Sie, wir wollen weitergehen.“
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