Sieht man einmal davon ab, dass sie lieber die Zurückgewiesene gespielt hätte, verlief soweit alles nach Plan, wenn auch nach Plan B. Benjamin war nett und freundlich und entpuppte sich als guter Kumpel, mit dem sie viel Spaß haben konnte, der sich in der Öffentlich gegen einen Kuss nicht wehrte und sich nicht zierte, wenn es um obligatorische Verhaltensweisen ging wie Schmusen, Umarmen, Händchenhalten und dergleichen mehr. Sofern Tania nicht lernen musste und Benjamin Zeit hatte, weil er gerade nicht mit seinen Kumpels zum Zocken oder Fußballspielen verabredet war, trafen sie sich gelegentlich und gingen entweder in ein Café, in den Park, oder unternahmen etwas mit ihren Freunden.
Auf diese Weise vergingen Wochen, bis Tania sich fragte, wie es sich anfühle, wenn er ihre Brüste berühre. Ein wenig war sie irritiert über ihre eigenen Gedanken und konnte sich keine Antwort darauf geben, wo diese auf einmal hergekommen waren. Gegen ihren Willen versuchte sie in den folgenden Tagen, die Vorstellungen von Benjamins Händen, ihren Brüsten sowie der Gefühle, die seine Berührungen hervorrufen mochten, in ihrem Kopf zusammenzubringen. Ihre Einbildungskraft aber zeigte sich mit diesen drei unvereinbaren Dingen vollkommen überfordert. Auch deshalb erlaubte sie ihm eines Tages, als sich eine günstige Gelegenheit bot, seine Hände wandern zu lassen. Sie konzentrierte sich so sehr auf die erwartete Berührung, dass sie nicht einmal mitbekam, wie er sie von Shirt und BH befreite.
Sie schloss ihre Augen und fühlte und horchte in sich hinein. Sie bemerkte, wie seine Hände ihre Brüste mal sanft drückten, um sie dann abwechselnd in die eine oder andere Richtung zu bewegen. Das alles fühlte sich beileibe nicht schlecht an, wirklich umwerfend war es aber auch nicht. Als er allerdings ihre Brustwarzen vorsichtig zwischen seinen Fingern hin und her zu rollen schien (was tat er da nur?), wurde es ihr unangenehm, da sie sich derart empfindsam nicht kannte; sie schob ihn weg. Ohne sich über die Zurückweisung im Mindesten zu beklagen, sah er sie an und strahlte übers ganze Gesicht, so als ob er gerade eine weiß Gott wie große Wohltat empfangen hatte. Tania hatte mit beinahe jeder Reaktion gerechnet: dass er sie schelten würde, dass er protestiere, dass er versuche, sie noch einmal zu berühren, dass er etwas sage; doch Benjamin saß einfach nur da und grinste und strahlte von einem Ohr zum anderen.
»Was ist?«, fragte Tania, als ihr sein Grinsen unangenehm zu werden drohte.
»Och!«, platzte es fröhlich aus ihm heraus: »Ich bin so verliebt in dich!« Und er strahlte sie an mit diesem Lächeln, das so gar nicht zu ihm passen wollte, wie Tania meinte, und er fuhr fort und sagte, dass er unbeschreiblich glücklich sei, mit ihr zusammen sein zu dürfen. Sie hätte ihm schon immer gefallen, nur konnte er sich nicht vorstellen, dass das auf Gegenseitigkeit beruhe. Schon einmal sei er drauf und dran gewesen, sie anzusprechen, vielleicht sogar einzuladen, um herauszufinden, was sie von ihm halte. Ja!, er sei ganz und gar froh darüber, dass er solange gewartet habe, denn genauso gut hätte alles auch ganz anders kommen können. Schließlich schloss er seine kleine Offenbarung mit den viel zu feierlichen Worten: »Tanja! Wirklich! Ich will für immer mit dir zusammen sein! Ich bin so verliebt in dich und möchte mit dir schlafen.«
Als Tania Benjamin das sagen hörte, verschlug es ihr die Sprache. Regungslos saß sie da und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sein erwartungsvoller Blick forderte jedoch eine Reaktion und so dachte sie darüber nach, was sie erwidern könne. Aber was sollte sie sagen, nachdem ihr plötzlich klar wurde, worauf sie sich eingelassen hatte? Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass er zu solchen Emotionsausbrüchen fähig wäre. Hatte sie einst geglaubt, er wolle nichts von ihr wissen, so dachte sie später, sie würden nicht lange zusammen bleiben. Doch nun hatte sie eine Liebeserklärung aus seinem Munde vernommen, aus dem Munde eines Jungen, den sie mochte, der immer lieb und nett zu ihr war, den sie hin und wieder in der Schule sah und seltener außerhalb derselben, der aber nun einmal ihr Freund war.
Sie sah ihn an, noch immer nicht wissend, was sie sagen oder tun sollte und stellte sich vor, was geschehen würde, wenn sie miteinander schliefen, nachdem schon die Berührung ihrer Brüste eine solch überwältigende Reaktion hervorgerufen hatte; das hatte sie nicht gewollt! Sie blickte in sein noch immer strahlendes Gesicht und bemerkte, wie ihm das Warten zusetzte. Seine Züge verhärteten sich zunehmend und drohten den Ausdruck puren Glücks einer Lähmung gleich für alle Ewigkeit zu konservieren. Angesichts dieser Aussicht überwand sie die Distanz und schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie klammerte sich so fest an ihn, dass sie kaum sein erleichtertes tiefes Ausatmen hören konnte. Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter und hielt die Augen fest geschlossen, um in den kommenden Sekunden und Minuten nichts mehr sehen zu müssen. In dieser Lage verharrten sie, sodass ein jeder, der die beiden gesehen hätte, nicht umhingekommen wäre, ins Schwärmen zu geraten.
Die Zeit verflog und beide wagten nicht, sich von der Stelle zu rühren, geschweige denn, sich vom anderen zu lösen. Erst als Beine und Arme der Umschlungenen allmählich taub wurden, lockerten sie zögernd ihre Umarmung und lösten sie schließlich vollends auf. Beim Blick auf die Uhr bemerkte Tania, dass es längst Zeit war, nach Hause zu gehen. Sie verabschiedete sich mit einem Kuss und sah in Benjamins Augen, dass er noch immer auf etwas wartete. Aber sie hatte es eilig und war nicht in der Lage, ihm seinen Herzenswunsch – vermutlich nur ein paar liebe Worte – zu erfüllen.
Einige Tage später reifte in ihr nach ausführlichen Überlegungen der Entschluss, dass es weder für sie gut wäre, mit ihm zusammenzubleiben, da er sie viel zu sehr liebte, noch konnte es für ihn gut sein, mit ihr zusammenzubleiben, wo sie ihn doch, wie sie sich eingestand, rein gar nicht liebte. So gut sie es vermochte ging sie ihm aus dem Weg und vergeudete keinen Augenblick, nicht darüber nachzusinnen, auf welche Weise sie sich von ihm trennen könnte. Indem sie sich Benjamin aber entzog, steigerte sie nur sein Verlangen. Langsam dämmerte ihr, dass ihre erste Beziehung vermutlich kein gutes Ende nehmen würde. Tania stand kurz vor der Einsicht, dass es unumgänglich sei, alle Schuld auf sich zu nehmen und zu gestehen, ihn nicht mehr zu lieben. Ganz bestimmt wäre es schrecklich für ihn, malte sie sich in drastischen Bildern aus, die Benjamin in aller nur vorstellbaren Verzweiflung zeigten. Doch noch schrecklicher wäre, wenn sie zusammen blieben und das nicht nur für ihn, sondern vor allem für sie. Vollkommen willkürlich bestimmte sie daher einen Tag, an dem sie ihn verlassen wollte.
Noch bevor der Kalender dieses Datum anzeigte, erschien eine Freundin vollkommen aufgelöst bei Tania. Sie müsse sich unbedingt aussprechen, erklärte Laura unter Tränen. Sie kenne sich selbst nicht mehr, verstehe sich nicht, begreife gar nichts, wisse nicht, wie das geschehen konnte: gestern Nachmittag hatte sie ihren Freund betrogen!
Tania sah sie überrascht an. Mit einer schlechten Note oder familiären Problemen hatte sie gerechnet, aber dass Laura Philip betrogen hatte, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen. Sie solle nur erzählen, ermutigte Tania sie, sie werde zuhören und zu helfen versuchen, wenn es möglich wäre. Die Freundin ließ sich nicht lange bitten und vergaß nicht das kleinste Detail. Sie seien verabredet gewesen, berichtete sie, er aber sei nicht erschienen. Viel zu lange habe sie gewartet und nicht gewusst, warum er nicht kam und wo er war. Immer wütender wurde sie, als er nicht auf ihre zahllosen SMS und Anrufe reagierte. Und als sie sich vor Augen führte, dass er im Grunde genommen nie pünktlich war und sie nicht zum ersten Mal versetzte, erreichte ihr Zorn ungeahnte Dimensionen. Schließlich traf sie zufällig einen seiner besten Freunde, als sie noch immer am verabredeten Ort ausharrte, der berichtete, er habe gerade mit Philip und anderen bei einer Bekannten abgehangen.
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