»Was meinst du mit ’ Wenn ich überlebe ’? Bei uns bist du behütet wie in Abrahams Schoss!«
»Ossy hat angedeutet, ich soll bei den Prüfungen den Trottel abgeben, der sich im Busch verläuft, über Löwen stolpert, von Hyänen angefallen wird ...«. Sie blickte ihn fragend an. »Das war nur ein Witz, oder?«
»Pustekuchen!«, lachte der Game Ranger, »Morgen beginnt die praktische Abschlussprüfung. Wir gehen zu Fuß in den Park hinaus, wie das die ausgebildeten Trail Ranger mit ihren Gästen auf Touren machen. Die Prüflinge werden von mir mit Problemen konfrontiert und ich schau mir an, ob sie das Gelernte umsetzen können. Dir kommt die Rolle des Touristen zu. Das wird dir einen grandiosen Einblick in das Leben im Park vermitteln!«
›Ihr habt sie wohl nicht mehr alle‹, durchfuhr es Lena. Urplötzlich kam ihr Jan nicht im Geringsten mehr attraktiv und sympathisch vor. Sie konnte nicht verstehen, wie sie den unverschämten Kerl auf einer Stufe mit Yannis hatte stellen können.
»Das ist total harmlos, Lena«, versicherte Jan, der ihre Verärgerung spürte. »Ich stehe neben dir, auf mich kannst du dich verlassen!«
Lena sah in seine graublauen Augen und zerschmolz, sie beschloss, ihr Unbehagen vorerst zurückzustellen. »Cheetahs Problem, Jan, ich habe da eine Vermutung ...«
»Ja?« Gespannt hing er an ihren Lippen.
»Gibt es einen Tierarzt hier im Camp?«
»Natürlicherweise, im Erste-Hilfe-Zentrum. Unser Tierarzt hat sich Cheetah schon angesehen, doch nichts gefunden.«
»Geh noch einmal zu ihm hin und lass den Gehörgang des rechten Ohrs genau untersuchen! Ich glaube, dort hat sich ein Fremdkörper hineingebohrt. Hoffentlich ist das Trommelfell nicht schon geschädigt.«
Jan blickte skeptisch. »Wie kommst du darauf? Studierst du auf Tierärztin?«
»Nein, aber nicht ausgeschlossen, dass ich das tue«, erwiderte Lena unbestimmt. »Du hast ja gesehen, dass ich eine innige Verbindung zu Tieren aufbauen kann.« Ihre Stimme wurde dringlich. »Geh gleich, bitte!«
»Cheetah, komm!«, befahl Jan ohne rechte Überzeugung, »Zum Onkel Doktor.« Der Game Ranger war schon auf dem Weg, als er stehen blieb und zurückkam. »Wenn du richtig liegst, steigt heute Abend ein Buschbraai!«
»Buschbraai?« Verständnislos starrte Lena ihn an. »Was soll das sein?«
»Lass dich überraschen«, sagte er. Im Weggehen schlug er sich mit der Hand an die Stirn. »Ach ja, wir müssen überlegen, wo wir dich unterbringen.« Er wandte sich zu den Schülern um, die bei dem Bronze-Elefanten standen und sich lautstark unterhielten. »Princess, auf ein Wort!«
Eine Schwarze, zwei Köpfe kleiner als Lena, mit kurzem gelocktem Haar, löste sich aus der Gruppe. Jan schnatterte mit ihr in einer Sprache, die Lena nicht verstand. Die nickte und lachte. »Princess ist vom Stamm der Makuleke, sie haben ihre eigene Sprache«, erklärte Jan. »Du kannst mit ihr Englisch sprechen. Sie wird dir alles zeigen.« Er rannte mit Cheetah los.
Lena gab Princess die Hand. Sie schien nett zu sein, aber ein bisschen reserviert. Weil ich eine Weiße bin? Ein kurzer Blick in ihre Augen zeigte anderes, sie war in Ossy verknallt und eifersüchtig auf Lena, weil sie tagsüber mit ihm zusammen gewesen war.
Lena unternahm einen Entspannungsversuch. »Kann man von hier mit dem Handy anrufen, Princess?«, fragte sie. »Ich möchte meinem Freund sagen, dass ich glücklich angekommen bin.«
»Klar, das geht«, erwiderte sie. »Du hast schon einen Freund? Einen festen?«
»Logisch! Du etwa nicht?«, fragte Lena scheinheilig. »Einem der Jungen hier gefällst du garantiert.« Sie wies auf die Gruppe der Prüflinge.
Princess lächelte verlegen, wagte aber nichts zu sagen.
»Lass mich raten«, sagte Lena. »Es ist Ossy! Richtig?«
»Ja, aber er ist ein Zulu und ich nur eine Makuleke«, sagte Princess bitter. »Er wird mich nicht mögen. Unser Stamm lebte im Norden von hier, im Grenzgebiet zu Simbabwe. Von dort wurden wir vertrieben und erst vor sechs Jahren hat man uns unser Stammland zurückgeben. Das Volk der Zulus hält uns für schwächlich. Wir sind nur ein paar Leute und die sind so viele.«
Lena legte den Arm um Princess. »Das mit Ossy und dir, das wird schon. Unter Umständen kommt ihr euch heute Abend näher«, versuchte sie das Mädchen aufzumuntern. »Komm, zeig mir, wo ich schlafen soll.«
Das Zelt stand unter einem Marula-Baum und war mehr ein Bungalow mit einer stabilen Tür. Eine Plane in Form eines Satteldaches schützte vor Regen und herabfallendem Dreck der Bewohner des Baums. Lena sah in die Krone hinauf. Mit dem Kopf nach unten hingen dort seltsame Wesen. »Was sind das für Tiere?«, fragte sie. »Fledermäuse?«
»Nein, das sind Flughunde«, erwiderte Princess und öffnete die Tür. »Komm jetzt, ich zeig dir, wo du deine Sachen lassen kannst und wo du schläfst.«
»Wo sind die Toiletten und Duschen?«
»Du musst nur zwei Minuten gehen.« Princess gab Lena eine Taschenlampe. »Wenn du nachts raus musst, leuchte genau deinen Weg aus, damit du nicht auf eine Puffotter trittst. Die machen dir keinen Platz!«
Nachdem Lena ihre Sachen verstaut hatte, steckte sie ihr Buch über den Park in die Tasche und machte sich auf, das Camp zu erkunden. Daumendicke Stahlseile und zusätzliche elektrische Drähte sicherten es gegen die Außenwelt ab. Würden die einem Angriff von wütenden Elefanten standhalten? Jenseits der Absperrung machte sie im hohen Gras eine Bewegung aus. Hyänen! Ein Rudel dieser unangenehm aussehenden Tiere patrouillierte am Zaun des Camps entlang, mit Sicherheit in der Hoffnung, dass sie von den Besuchern gefüttert wurden. ›Die könnten, wenn sie die Scheu vor Menschen überwinden, cool über den Zaun springen‹, mutmaßte Lena. ›Ob die Menschen angreifen?‹
Sie kam an einen Aussichtspunkt, von dem man ewig nach Osten ins Land sehen konnte. Unten strömte der Letaba, die Ufer des Flusses waren bedeckt mit Mopani-Büschen. Die untergehende Sonne färbte das Wasser rot, das Grau der dicken, runden Felsblöcke im Wasser erschuf einen fremdartigen Gegensatz, die Strömung bildete schimmernde Wellenstrudel um sie herum. Unvermutet bewegte sich ein Felsblock. Es waren Hippos! Störche und Reiher saßen auf Aussichtsplätzen und beobachten die friedliche Szenerie.
Von Lenas Rücken her machte sich ein Rascheln bemerkbar. Ein putzig aussehendes Tier mit weißem Kopf und schwarzem Körper wuselte in aller Seelenruhe an ihr vorbei. Es erkletterte den Zaun zur Außenwelt, gab einen seltsam wohlklingenden Laut von sich und ließ sich auf der anderen Seite herunterpurzeln. »He, ich denke, die Zäune stehen unter Strom!?«, rief sie dem Tier empört hinterher. Ihr Sicherheitsempfinden hatte leichte Risse bekommen, hastig begab sie sich in Richtung des Zentrums des Camps.
Eichhörnchen turnten schnatternd in den Zweigen über ihr. An den von der Sonne gewärmten Mauern der Gebäude klebten regenbogenfarbene Agamen. An einem Schlammloch saßen kupferfarbene Kröten, die sich mit gedämpftem Gegluckse über das glasklare Quaken der perlgrauen Frösche zu beschweren schienen.
Erwartungsvoll standen die künftigen Trail Ranger um eine Grube herum. Unter Aufsicht eines dicken Kochs brutzelten über glühenden Holzkohlen ungeheuere Fleischstücke vor sich hin. Die schmatzenden Geräusche der fallenden Fetttropfen verursachten rundum eine beglückende Zufriedenheit. Körbe mit Getränken und eine Menge von Schüsseln wurden von Helfern herbeigeschleppt, Jans Buschbraai konnte beginnen.
»Was ist das für ein Fleisch?«, fragte Lena misstrauisch und beäugte einen weißlich aussehenden Brocken, dem der Koch außergewöhnliche Beachtung schenkte.
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