1 ...7 8 9 11 12 13 ...20 »Das auch« winkte er ungeduldig ab. »Stell dir vor, sie hat mir eine Botschaft für Lena gegeben!«
Mit erstaunten Augen blickte Kalja ihn an. »Wieso kam sie zu dir? Sie kennt dich überhaupt nicht!«
»Eben. Aber das hab ich mich erst gefragt, als sie schon weg war.«
»Was hat sie gesagt?«
»Überkandideltes Zeug. ’ Schick den Zettel sofort deiner Freundin, für zwei Menschen bedeutet er Leben. ’ Was soll das?« Er kratzte sich am Kopf, kramte in seinen Taschen herum und zog einen zerknitterten Zettel heraus. »Kannst du dir einen Reim darauf machen? Für mich steht da nur wirres Zeug!«
GEFÄHRTINNEN!
DIE SPHINX WIRD IMMER BÖSARTIGER,
JE LÄNGER IHR WARTET!
DURCHTRENNT DIE NABELSCHNUR
MIT DEM SCHWARZEN MESSER AUS EBENHOLZ!
ACHTET AUF DAS PORTAL!
RUFT MICH, WENN IHR MICH BRAUCHT!
»Ich weiß nicht«, überlegte Kalja, »Lena hat hie und da ein Hang zum Übersinnlichen. Am besten schreibst du auf die Rückseite, was Selina dir gesagt hat.« Sie schob den Zettel zurück. »Mit dem nächsten Brief schicke ich den Wisch an Lena, sie wird wissen, was das bedeutet.«
»Okay, tu das. Ich mach mich wieder auf den Weg. Muss noch eine Lieferung in Zagora zustellen.« Er umarmte sie und fühlte, dass sie heiß war. »Du hast Fieber, leg dich ins Bett. Versprich mir das!«, drängte er.
Sie nickte, strich ihm über das noch feuchte Haar und schob ihn hinaus in den trüben Novembertag. Mühselig schleppte sie sich die Treppe empor und legte sich auf ihr Bett.
Unbeachtet blieb Selinas Botschaft auf dem Küchentisch liegen.
4. Im Kruger National Park
Um 5 Uhr 10 donnerte es an Lenas Tür. »Good morning! Beeilung, in dreißig Minuten ist Abfahrt!«
Lena schreckte auf. Stimmt, heute sollte es für drei Tage in den Kruger National Park gehen, und zwar ohne ihre Eltern, die wollten sich stattdessen in der Lodge entspannen. ›Wieso brüllt Innocent schon so frühzeitig herum? Da ist noch massig viel Zeit.‹ Gehorsam öffnete sie das glockenförmige Moskito-Netz, unter dem sie geschlafen hatte, stieg aus dem Bett und schleppte sich schlaftrunken zur Dusche.
Draußen war es dämmrig, die Vögel machten einen Höllenlärm. Der Gecko, der gestern Abend in Lenas Schlafzimmer an der Decke gehangen hatte, klebte jetzt mit seinen dicken Zehen kopfüber direkt vor ihren Augen an einer Fliese der Duschwand. Vorwitzig beäugte er die nackte Lena. »Hier gibt's nichts zu glotzen, schieb ab«, fuhr sie ihn an. «Fang gescheiter die Mücken im Schlafzimmer!«
Nach einem kurzen Frühstück im Stehen saßen sie im Auto und brausten vierzig Kilometer nordwärts zum Paul Kruger Gate.
»Wie vertreiben wir uns geschlagene drei Tage lang die Zeit?«, fragte Lena fröstelnd. Sie kuschelte sich in ihre warme Jacke und gähnte. »So ausgedehnt ist der Park doch nicht, oder?«
Innocent schmunzelte. »Na, 12 000 Quadratkilometer sind eine Menge Holz. Lass dich überraschen, langweilig wird es dir nicht werden. Ich habe für dich eine Reihe von Besonderheiten arrangiert.« Mehr wollte er nicht verraten, obwohl Lena ihn mit Fragen löcherte.
Sie fuhren auf einer einsamen Straße durch eine karge Landschaft.
»Gleich sind wir da«, tröstete Innocent. »Da vorne ist schon die Brücke über den Sabie River, dann kannst du das Tor und die Statue von Paul Kruger sehen.« Unvermittelt trat er auf die Bremse und blieb mitten auf der Straße stehen.
»Du lieber Himmel! Da vorne!« Aufgeregt deutete er auf die Fahrbahn der vor ihnen liegende Brücke. »Sagenhaft.«
Lena stieß einen erschreckten Laut aus. Mitten auf der Brücke liefen zwei Löwinnen, gefolgt von drei Jungen. Als die Tiere die Brücke überquert hatten, wandten sie sich nach rechts, stiegen die Flussböschung hinunter und verschwanden in den Büschen.
»Normalerweise lasse ich meine Passagiere zu Fuß über die Brücke gehen«, sagte Innocent leicht beklommen. »Wäre heute keine glückliche Idee gewesen, was?«
»Prima Einstieg«, beruhigte ihn Lena. »Bereits vor dem Park laufen Löwen herum! Ist da kein Zaun drum?«
Sie fuhren an einem Monument vorbei, das aus wuchtigen Steinquadern geformt war, passierten das Gate und fuhren auf einen Parkplatz.
Neben einem dunkelgrünen Jeep lehnte ein Heranwachsender. Die Khaki-Uniform wirkte an ihm wie eine Verkleidung. Die Schuhe sahen aus, als wären sie noch nie mit Schmutz in Berührung gekommen. Die kurzen Hosen zeigten perfekte Bügelfalten, sein Hemd war frisch gestärkt, aus der Brusttasche lugte ein Smartphone, auf der Nase saß eine randlose Brille. Er schien eine Akte zu bearbeiteten, temperamentvoll fuhr er mit einem Stift darin herum.
›Unzweideutig der angehende Manager des Kruger National Parks oder ein Assistent‹, fuhr es Lena durch den Kopf. ›Der perfekte Beamte.‹ Von der Morgenkälte steif geworden, kletterte sie aus dem Wagen.
Der Junge klappte den Ordner zu, schob die Mine des Kulis zurück und verwahrte ihn in der Brusttasche. Strahlend ging er auf Innocent zu und Lena sah fasziniert der gegenseitigen Begrüßung der beiden Zulus zu. »Sawubona«, sagte der höhergestellte Innocent und bekam als Antwort »jeebo, saubon« zurück. Beide drückten sich die Hand, dann umgriffen sie den jeweils anderen Daumen, traten wieder zurück und wiederholten den Handschlag dreimal.
»Lena komm her, ich möchte dir Ossy Osborn vorstellen«, rief Innocent. »Ein ehemaliger Schutzbefohlener von mir, aus dem Waisenhaus in Hazyview. Zurzeit macht er eine Ausbildung zum Trail Ranger.« Unverhohlener Stolz schwang in seiner Stimme.
Lena schüttelte die dargebotene Hand und versuchte das Begrüßungsritual nachzumachen. »Trail Ranger?«, fragte sie ratlos. »Was macht ein Ranger?«
»Das erfährst du noch bald genug«, unterbrach Innocent. »Lena, du wirst in den nächsten Tagen den Park auf eine Art erleben, wie es Touristen normalerweise nicht erlaubt ist«, schmunzelte er. »Ich wünsche dir viel Spaß bei den Wildtieren und dir Ossy, viel Erfolg für die Prüfung!» Er wandte sich seinem Auto zu. »Good bye, ihr Beiden!«
»Moment mal, was soll das heißen?«, fragte Lena leicht verstört, »Ich bin keine Ware, die man mir nichts dir nichts weiterreicht!«
Amüsiert nahm Innocent ihre empörten Blicke zur Kenntnis. »Versteh doch, ich muss mich um mein Waisenhaus in Hazyview kümmern«, erklärte er. »In drei Tagen hole ich dich im Camp Letaba ab.«
Perplex schaute Lena zu, wie Innocent sich hinter sein Steuer klemmte und davonfuhr. ›Wie kann er es wagen, mich mit dem Burschen mutterseelenallein zu lassen? In einem Land, in dem täglich Frauen geschlagen, vergewaltigt und ermordet werden!‹ Bisher hatte sie Innocent für einen netten Kerl gehalten, aber das ging ihr doch über die Hutschnur. Sollte sie ihren Vater anrufen und ihm sagen, was sich sein Freund da erlaubt hatte?
In gemächlichem Tempo schob Lena ihre Sonnenbrille auf ihre Haare und blickte Ossy direkt in die Augen. Sein schwarzes Gesicht lächelte sie aus einer grünflammenden Aura heraus an. Die Farbe stand für das Leben, aber auch für Ehrgeiz. Die Bilder, die in sie einströmten, zeigten nichts Beunruhigendes und hastig schob sie ihre Brille auf die Nase zurück. Sie wollte nicht zu massiv in die Gefühlswelt des Jungen einzudringen. Nein, von dem drohte ihr keine Gefahr und als Ossy sie gutgelaunt anlächelte, war die Vorstellung, die nächsten drei Tage mit ihm zu verbringen, rundherum nicht erschreckend.
»So, du willst Trail Ranger werden«, sagte Lena, um die Konversation zu beginnen.
»Ich versuche es zumindest«, erwiderte Ossy, »aber Touristen auf Trampelpfaden durch den Park zu führen, nein, das ist nicht mein Ding. Ich bin eher ein Büromensch und will in der Verwaltung als Park Manager arbeiten. Trotz alledem möchte ich mitbekommen, was in der Praxis abläuft.«
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