Entsetzt blickte Lena ihn an, die schrecklichen Bilder der blutverschmierten Löwen vor Augen. »Aussteigen, hier? Wo hast du dein Gewehr?«
Ossy zuckte mit den Schultern. »Hab keines! Sei unbesorgt, gefährliche Tiere sind nicht in der Nähe!« Er stieg aus, öffnete ihr die Tür. Zögerlich kletterte sie aus dem Auto heraus und vergewisserte sich mit einem Rundblick, dass nichts Gefährliches ihr auflauerte.
Genauso hatte sich einen Affenbrotbaum vorgestellt! Kurzer, extrem dicker Stamm mit einem Durchmesser von sicher zehn und einer Höhe von zumindest zwanzig Meter. Die ausladende Krone trug nur vereinzelte Blätter.
»In unbelaubtem Zustand erinnert die Astkrone an verzweigte Wurzeln«, schulmeisterte Ossy. »Bei uns sagt man, ein Affenbrotbaum sei ein vom Teufel verkehrt herum gepflanzter Baum.«
›Ihr verrückten Zulus‹, dachte Lena, ›überall wittert ihr Dämonen, Hexen und Teufel. Mit einem Mal tappte ein grünes Wesen schwerfällig an ihnen vorbei. ›Huch, was ist das? Ein Chamäleon?‹ Sie fragte nicht nach, wollte von dem Bücherwurm Ossy keine langwierigen Erklärungen heraufbeschwört haben.
Immer intensiver brannte die Sonne vom Himmel, die Luft über dem heißen Asphalt begann zu flimmern und zu wogen. ›Wir fahren auf einen See zu‹, empfand Lena. ›wunderbar, eine Fata Morgana, sogar Büsche und Bäume glaubt man an dem Ufer des blauen Wassers erkennen zu können.‹
Wenn eine Großfamilie von Pavianen auf der Straße ein Picknick veranstaltete oder wenn Gnus, stur wie die Panzer, das Auto blockierten, mussten sie anzuhalten. Einzigartig war, als zwei Geparden die Piste passierten. Elegant und scheinbar schwerelos, als kämen sie ohne Erdberührung aus, schritten sie dahin.
Lena wollten die Augen zufallen, aber sie zwang sich, munter zu bleiben. ›Wer weiß, wie oft du solch wunderbare Geschöpfe in deinem Leben sehen wirst‹, ermahnte sie sich.
Es war schon Nachmittag, als sie in Camp Letaba einfuhren. Vor einem langgestreckten Gebäude stand eine lebensgroße Bronzestatue eines Elefanten, davor hatte sich eine Gruppe von Leuten posiert. Alle trugen die gleiche Khaki-Uniform wie Ossy, offensichtlich seine Lehrgangskollegen. Ein Mann hinter einem Stativ gab Anweisungen, wie man sich für das Erinnerungsfoto aufzustellen habe.
»Sawubona Sanibona, Ossy!«, riefen sie ihm auf isiZulu zu. »Warum verspätet?«
Die widerstrebende Lena mit sich ziehend, lief Ossy auf die Gruppe zu. »Komm, das sind meine Kollegen!«
»Los, ihr zwei!«, herrschte ein blonder Hüne die Neuankömmlinge an. »Stellt euch in die Gruppe, wir wollen das endlich hinter uns bringen!«
»Ich gehöre nicht dazu«, versuchte Lena einzuwenden.
»Mach schon, das ist unser Ausbilder«, raunte Ossy. »Dem widerspricht man besser nicht!«
Lena grinste verlegen in die Runde und war erleichtert, als alle zurücklächelten. Sie stellte sich in die zweite Reihe, da sie die meisten an Körpergröße überragte. Es waren ausschließlich Schwarze, vierzehn Jungen und vier Mädchen. »Für den Lehrgang waren nur Teilnehmer der Stämme Zulu, Tsonga und Makuleke zugelassen«, flüsterte Ossy ihr zu.
Der Chef baute sich an der rechten Seite der Gruppe auf. »Cheetah!«, brüllte er und Lena sah verblüfft, wie sich ein Gepard aus dem Schatten eines Kigelia-Baums löste und sich malerisch zu Füßen des Mannes drapierte.
Als die Fotos geschossen waren, kam der Ranger auf Lena zu. Er sah blendend aus, in jedem Tarzan-Musical hätte er eine prima Figur gemacht. ›Mit dem würde ich mich in den Busch wagen‹, dachte sie, ›Den wirft so leicht nichts um.
Der Händedruck des Ausbilders war kräftig. Als er ihren Gegendruck spürte, musterte er sie überrascht von Kopf bis Fuß. Ihr sportgestählter Körper beeindruckte ihn. »Ich bin Jan, Game Ranger«, stellte er sich vor. »Afrikaaner und Chef der Chaostruppe. Das hier ist Cheetah, mein Findel- und mein Sorgenkind.«
Lena fühlte, dass sie rot wurde. ›Was soll das?‹, ärgerte sie sich. Rotzfrech stieß sie »Ich bin Lena, Griechin« heraus, schob die Sonnenbrille auf die Haare und blickte dem Modellathleten prüfend ins Gesicht. ›Erst mal schauen, was mit dem los ist‹, dachte sie. ›Aussehen kann täuschen. So wie der Kerl meinen Körper taxiert hat, werde ich einmal mehr die üblichen Ferkeleien sehen.‹ Aber nein, seine hellgrüne Aura war klar, stand für das Leben, die Natur und für Harmonie. Die Bilder, die in sie einströmten, zeigten Angst um den Geparden und sehnsüchtiges Verlangen nach Partnerschaft und erfüllter Liebe. Hastig schob sie die Brille auf die Nase herunter. »Game Ranger«, sagte sie mit einer samtigen Stimme, »Das klingt nach viel Arbeit, Jan.« ›Warum zum Kuckuck muss der Mann Jan heiße?‹ In zärtlichen Momenten verkürzte sie Yannis' Namen zu Yan . Das klang ja absolut gleich!
»Das kannst du laut sagen«, erwiderte er mit geschwellter Brust. »Der Park ist in zweiundzwanzig Ranger-Sektionen eingeteilt. Jede Sektion wird von einem Game Ranger und von einem Team von zehn Game Guards betreut. Wir in Letaba sind die größte.« Er rief zwei Namen. Aus der Gruppe lösten sich zwei Männer. »Das ist Game Guard Makasani und das Game Guard Samuel, zwei Tsongas«, stellte er vor. »Meine Assistenten für die morgige Prüfung.«
Lena gab den kleinwüchsigen Männern die Hand. Die beiden tuschelten hierauf eifrig miteinander und warfen im Weggehen entgeisterte Blicke über die Schulter. »Sie wundern sich, dass eine Frau eine derartige Körpergröße haben kann«, entschuldigte Jan ihr seltsames Verhalten.
Lena war nicht beleidigt. »Wieso ist der Gepard dein Sorgenkind?« Sie warf dem Tier einen flüchtigen Blick zu. »Er sieht munter aus.«
»Das täuscht blöderweise. Seit Tagen verhält er sich seltsam, legt den Kopf windschief, schüttelt ihn, frisst nicht«, sagte er und kraulte Cheetah unter dem Kinn. »Hoffentlich hat er keinen Tumor im Kopf.«
Zum Erstaunen des Besitzers ließ sich Lena vor dem Tier auf die Knie sinken.
Der Gepard ließ die intime Nähe des für ihn fremden Menschen zu und saß wie eine Statue. Lena sah in ein getupftes Gesicht mit zwei schwarzen Tränenstreifen, die sich von den Augen ausgehend wie eine Kriegsbemalung um die Nase herum zu den Mundwinkeln zogen. Seine weiße Aura war schemenhaft, um ein Haar unfassbar, wie ein Flimmern der Luft über Felsen in der Sonnenglut. Eingehend fixierte Lena die Katzenaugen, sie verlor sich in den vertikalen Schlitzen der geöffneten Pupillen.
Jan spannte die Muskeln an, bereit sich zwischen die Beiden zu stürzen, sollte die Raubkatze sich von Lena bedroht fühlen und auf sie zufahren.
Ein Bild baute sich in Lena auf, anfangs schemenhaft, aber als sie ihre Konzentration verstärkte, erfühlte sie eine bohrende Qual. Behutsam und unendlich gelassen löste sie ihren Blick von den bernsteinfarbenen Augen und erhob sich. Auch Cheetah stand auf, ging einen Schritt auf Lena zu und leckte ihr über die Hand. Die Katzenzunge prickelte auf ihrer Haut.
Fassungslos hatte Jan die Szene beobachtet. »Cheetahs weitgeöffnete Pupillen und sein Lecken, das sind untrügliche Zeichen, dass er dich als seinesgleichen akzeptiert«, stammelte er. »Einen Menschen, einen fremden noch dazu! Das ist unfasslich!« Er geriet aus dem Häuschen. »Du musst eine enorme Ausstrahlung auf Tiere ausüben«, sagte er. »Und nicht nur auf Tiere«, fügte er an. »Willst du nicht bei uns im Park anheuern? Eine Frau wie dich, könnte ich gebrauchen ... Äh, eine Assistentin natürlicherweise«, schob er nach.
Lena tat, als würde sie an einen Versprecher glauben und verzog den Mund zu einem gequälten Grinsen. »Assistentin? Keine schlechte Idee«, erwiderte sie, »zumindest, wenn ich die nächsten beiden Tage überlebe.«
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